Tesla
(E13)
Und noch einmal liess er sich die Sätze auf der Zunge zergehen – The pulsations of the air, once set in motion by the human voice, cease not to exist with the sounds to which they gave rise. (…) The waves of air thus raised, perambulate the earth and oceans surface, and in less than twenty hours every atom of its atmosphere takes up the altered movement due to that infinitesimal portion of the primitive motion which has been conveyed to it through countless channels, and which must continue to influence its path throughout its future existence. (…) Thus considered, what a strange chaos is this wide atmosphere we breathe! Every atom, impressed with good and with ill, retains at once the motions which philosophers and sages have imparted to it, mixed and combined in ten thousand ways with all that is worthless and base. The air itself is one vast library, on whose pages are for ever written all that man has ever said or woman whispered. ( ) – sah die Luft mit ganz anderen Augen, sah, wie sie sich allmählich versteifte und Spuren ausbildete, Kratzer bekam, Gravuren, sich langsam überlappende Meinungsstriche und Knötchen formten. Je mehr er sich allerdings auf diesen Vordergrund kaprizierte, umso vager, durchlässiger, dünner und kontrastarmer wurde das Interface. Versuchte er stattdessen dieses für kurze Zeit zu fixieren, nahm jenes an Kenntlichkeit ab, wurde Kaltnadelstich, dieser im schnellen Widerschein wie eine Lehrbuchabbildung eines chaotischen, doch aber leicht magnetisierten Feldes, ein Naturgemälde, wie er es aus dem lange zurückliegenden Physikunterricht in Erinnerung hatte: kleine Eisenfeilspäne, die sich halbentschlossen in einem schwachen Feld richteten.
Dass es sich dabei noch um Text handelte, ging subito verloren, und die Abbildung, die noch eine gewisse Zeit auf seiner Netzhaut nachtrübte, verblasste endlich zu einer Darstellung reiner Richtung, Vektoren, die ein Experte würde vielleicht sagen ein bestimmtes ästhetisches Desiderat offen legten, aber sonst wenig.
Die Verkrustung im Schlemmkanal. Zu benetzende Hornhaut. Benedikt konnte nicht mehr und musste schliesslich blinzeln und schob damit, ebenso plötzlich, das Phänomen wie ein Scheibenwischer in den blinden Winkel seiner Leinwand, wusste aber noch im Nu seines Verschwindens: das war es. Er hatte es auch gesehen.
The air itself is one vast library und die Aufdunstung dieser auf seine Hornhaut, beispielsweise, konnte jene sichtbar machen. Wenn auch nicht gerade lesbar. Die Luftstarre seines Oculars war also ein Weg, diese zumindest nachzuweisen. Aber wie wurde sie haltbar? Wie liess sie sich abziehen? Zitieren? Und wer mochte das entziffern? Benedikt folgerte daraus, dass er sich mit dieser Erkenntnis nun auch über ganz andere Dinge den Kopf zerbrechen musste. Begriffe, die sich in Luft auflösten, zerfallende molekulare Vielheiten, die unbekannte Entitäten, scheinbare, freigaben. Ein beispielloses Protokoll begann sich hinter seinem Rücken zusammenzuballen und zu sammeln. Machte sich bereit zum Angriff. Eins nach dem anderen, hatte Anna gesagt.
Nun hatte er also diesen nicht schmerzlosen Selbsttest unternommen und dieser war in der A-Probe: positiv. Es wurde irgendetwas bewiesen, er hatte es ja selbst erlebt, dass es da etwas gab, und folgerichtig musste er nun, wenn er ehrlich zu sich und Anna sein wollte: ein paar Konsequenzen akzeptieren. Und er freute sich darüber, als er sich eine weitere Zigarette anzündete und auf seinen kleinen Balkon hinaustrat wie ein frischgewählter Bürgermeister. Eigentlich konnte er es kaum erwarten, ihr davon zu berichten: dass es funktioniert hatte. Zweifelsfrei. Und dass er also wie versprochen nach diesem Ereignis mit ihr zusammenarbeiten würde.
Das war also ein Teil des von ihr Bibliotheca caelestis genannten Projektes. Und sie war sich nicht zu schade, ihn da noch mit hineinzunehmen, obwohl er doch fast nichts mitbringen konnte. Er dagegen sah, wie seine Arbeit in Windeseile ganz neue Dimensionen annahm, sah in dieser eine wichtige, vielleicht sogar noch wichtigere Grundlegung des Phänomens, strich diesen berauschten Fortsatz aber sogleich … soweit wollte er denn doch nicht vorgreifen.
Zwei Tage waren verstrichen und Anna hatte sich nicht bei ihm gemeldet, hatte nicht das Ergebnis seines Selbstversuchs abgerufen oder abrufen wollen. Oder abrufen können? Benedikt war etwas gereizt zwischen all den Kartons und Schachteln der Fertiggerichte, Dosensäcken und Kleiderhaufen. Letztere hatte er immer noch nicht in die Waschküche getragen, in dieses fremde System, zu dem ihm der Schlüssel fehlte, aber nur halb so fremd wie die Nachbarschaft, die er vielleicht um Rat hätte fragen können. Waschküchengeschichten. Für solche Dinge hatte es später noch Zeit genug, also zog er sie weiter und weiter mit sich. Setzte er dabei andere Ziele. Formulierte Zielvorgaben. War er auf der Suche nach einem wie Anna zu sagen pflegte praktischen Filter. Oder Medium. Und kam doch nicht voran. In der Tat: nur sie konnte ihm da helfen. Nur im weiteren Gespräch war da etwas fortzusetzen.
Die Blätter hingen schlaff und trocken wie eingeschlafene Hände an den Ästen herunter. Der Blattbestand der Bäume hatte sich in der Zwischenzeit um mehr als die Hälfte reduziert, bildete auf dem Kiesweg und verwilderten Rasenstück einen dumpfen Teppich, und der noch übrige, hängige war bei genauer Betrachtung grossenteils von einer obskuren Patina überzogen. Ein Virus? Ein Bakterium? Oder Käfer? Benedikt hatte die Nachrichten lange nicht verfolgt und war nicht auf dem Laufenden, was den landesweit grassierenden Baumbefall durch Schädlinge betraf. Der Grund, warum er sogleich ein Bänkchen für sich allein fand, ja, warum das Pärkchen fast gänzlich ohne Besucherschaft war, sah er aber eher in der Tageszeit die Gassenküche hatte ihre Pforten geöffnet, gut einige hundert Meter entfernt, und aus dieser Ecke unsichtbar für Benedikt, aber wohl zu hören: das Gejohle der Bedürftigen, die sich noch einmal für heute eine ordentliche Grundlage beschafften.
Er war ein Meister des Wartens niemand konnte ihm da so schnell etwas vormachen, denn er war stets gut mit Lektüren bestückt, und wenn doch einmal nicht so war ihm alles, was ihm vors Angesicht trat ein Buch, ein ordentlicher Laib nur zu zerschneidender und zu verzehrender Zusammenhänge, die in ihm dieses und jenes auslösten, gerade so, als würde er auch einer selbstgewählten Schriftrille folgen.
Er machte es sich also gemütlich, sah bald einen lieblichen Ort, dachte sich einen Ahorn im Urzustand, hörte die Sangeslust und kunst im Gekrächze der Spatzen, spielte mit den Fussspitzen in einer rostenden Pfütze, Labsal eines frischen Quells, und beinahe überzog sich auch ein trüber Busch mit fussigem Fell, wurde rotbraunes Rehlein, zahm, erotisch aufgeladen aber soweit zufrieden.
Diskussionen. Gratwanderungen. Umruderungen von Positionen. Sprachliche Rücknahmen, aber doch: das Beharren auf jeweilige Positionen. Besprechungen werden länger und länger. Ergebnisse, Outcomes, dürftiger und dürftiger, fügte Anna hinzu, nicht ohne ironisch eine Braue zu heben, werden immer unbefriedigender, unwahrscheinlicher, undurchsichtiger. Jetzt haben wir schon die Zeit der Entscheidungen, ergänzte Anna weiter, deren Historisierung schon im Moment der Fällungen angelegt seien. Darum ihr Zuspätsein, und ausserdem: Die Luft wird dünner. Es gab Beweise, dass jeder Tastendruck, jedes Wort protokolliert wurde. Und kommentiert, wie sie denke, aber: Damit möchte ich dich heute nicht belästigen, lieber Benedikt. Schön, dass du da bist, begrüsste ihn Anna noch einmal herzlich und gab ihm einen Kuss auf einen Teil der Wange, der schon beinahe Mund war. Dass du hier bist, sagt wohl alles! Du hast es also getan, oder nicht? Anna breitete sich neben Benedikt auf dem Bänkchen aus, legte ab: Ihren Mantel, eine Tasche.
Beide hatten schon trockene Schleimhäute vom vielen Reden. Diskutieren. Annäherungen. Abmachungen. Entwürfe. Zielformulierungen. Vereinbarungen. Wollen wir es so machen? Benedikt war überglücklich. Ich hohle uns schnell etwas zu trinken, darauf müssen wir doch anstossen. Anna nickte. Für mich nur etwas Wasser, ja? Er entfernte sich leichtfüssig in Richtung Gulaschkanone, in deren Nähe er auch etwas Trinkbares vermutete. Als er beidhändig bepackt wieder an ihren Platz zurückkehrte, war Anna nicht mehr da. Nur noch Jacke und Tasche zeugte von ihren Anwesenheit. Sie war wohl auf dem Weg sich etwas frisch zu machen.
Bestimmt war eine halbe Stunde vergangen, als Benedikt beschloss zu handeln. In der Jacke fand er nichts Persönliches und auch in dem Ordner, dem einzigen Gegenstand in der Tasche, war nichts Brauchbares zu entdecken. Dann fühlte er eine leichte Beklemmung. Auf der Karte seines Mobiltelefons waren nur drei Nummern gespeichert. Benedikt wählte und nach einigem Läuten meldete sich ein sehr verschlafener Röhrling.