Theaterkulissen

Ich lief einige Stunden durch die zerstörten Aussenquartiere Neu-Berns, durch Breitenrain und Lorraine, dann linker Hand über den Behelfsponton wieder hoch in Richtung der recht gut erhalten gebliebenen Altstadt. Die Träger der von Deutschen gesprengten Lorrainebrücke ragten wie graue Gräten aus den eisigen Wassern der Aare. Der Bärengraben war leer, die Faschisten hatten die Tiere vor langer Zeit verhungern lassen. Bei einigen bombardierten Häusern waren nur Hausfronten übriggeblieben, Fassaden. Sie standen am Strassenrand oder etwas weiter hinten auf einem Feld, ohne Dach, nur die Hausmauer selbst war zu sehen. Durch die Löcher der Fenster sah man auf das, was dahinter lag, man sah wie durch eine Kastenkamera in das weissbestäubte Grünbaum, dort auch in das schneebedeckte Stoppelfeld, dahinter der blaue Himmel. Es war erneut, als seien diese ruinierten Häuser Theaterkulissen, die jemand dort hingeschoben oder –gezogen hatte, neben den von deutschen Granaten aufgeworfenen Erdhügeln und den zerborstenen Holzbalken, deren Enden schwarz verkohlt und schartig aufwärts ragten.

In: Christian Kracht, Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten, S.26, 2008