Kannst Du deinen logozentrismuskritischen Ansatz noch genauer erläutern? Welche Grenzen offenbaren sich dabei bei einer rein maschinellen Schrifterzeugung und darstellung? (sja)
Um dem eine noch (wortwörtlicherweise) epochalere Bedeutung zu geben und diese, nach Hoinkis (9) selbst mit einer historischen Zäsursituation in Beziehung zu setzen:
An der Schwelle zum 19. Jahrhundert dagegen kann ein romantischer Ästhetiker wie Friedrich Schlegel schon einen ganzen Aufsatz der Unverständlichkeit widmen und dieses Phänomen nicht nur ironisch feiern, sondern ins Zentrum der ästhetischen Theorie rücken. Und das Bemühen der Autoren, gezielt unverständliche Texte zu produzieren – d.h. daß um 1800 gerade umgekehrt das unverständliche Schreiben zur ästhetischen Norm avancieren kann -, kann nun schon zum Thema der Literatur selbst werden. In gelungener Ironie stellt uns ein aufmerksamer Beobachter der zeitgenössischen literarischen Schreibpraxis – Jean Paul – einen Autor – das vergnügte Schulmeisterlein Maria Wutz (1790) – vor, der aus der Not heraus, auf der semantischen Ebene keinen unverständlichen Text zustandezubringen, darauf zurückgreift, auf der Ebene der Materialität des Mediums – der Schrift – einfach Unleserlichkeit herzustellen (dies gelingt ihm aber nur im Medium der Handschrift (Hervorhebung, H.A.), im gedruckten Text dürfte dies kaum noch eine erfolgreiche Option sein). An die Stelle der Unverständlichkeit tritt einfach die Unleserlichkeit (sicherlich auch eine schöne Selbstparodie der Romantik und seiner eigenen Schreibpraxis, die hier Jean Paul gelingt):
denn da alles in Hexametern, und zwar in solchen, die nicht zu verstehen waren, verfasset sein sollte: so musste der Dichter, da ers durch keine Bemühung zur geringsten Unverständlichkeit bringen konnte …, aus Not zum Einfall greifen, daß er die Hexameter ganz unleserlich schrieb, was auch gut war. Durch diese poetische Freiheit bog er dem Verstehen vor. (Jean Paul 1995/1790, 35)
Will man diese Praktiken also in einen anderen Jargon übersetzen, käme man vielleicht zu dem Befund, dass prä- oder frühromantisches bis hin zu romantischem Schreiben vor allem auf Operationen am Signifikat, dem aber selbst gewisse Flexibilität (Stw: progressive Universalpoetik) bescheinigt wird, ausgerichtet ist. Mit dem Einbezug oder der Verlegung des Augenmerks auf Schriftlichkeit, die in bewusster Unleserlichkeit zwangsläufig Bedeutungs- (wenn nicht Überschüsse oder Vakanzen, so doch) Unsicherheit in poetologische Konzepte integriert, werden Operationen am Signifikanten wieder mit in den Schreibprozess hinein genommen.
Oder etwas drastischer formuliert: eine so avanciertere Zeichentheorie versucht durch Wiedermiteinbeziehung handschriftlicher Signifikationseffekte Verantwortlichkeiten in der Beziehung Idee/Ausdruck umzuverteilen, was aber wie selbstverständlich und theoretisch auch in vorgängigen Konzepten romantischen Schreibens angelegt ist. Binnenspannung und Bedeutungsoszillation in einer so als Zeichensystem gedachten Produktionsanordnung, ist also unter romantischen Gesichtspunkten in gewisser Weise vollumfänglich nur unter Einbeziehung von Manuskriptur denkbar. Typographika, später, verweisen also in dieser Folge (wir haben uns längst daran gewöhnt), doppelt, auf ein Präzisions- aber auch Amputationsverhältnis, das selbst im unverständlichsten Falle eine Lesbarkeit impliziert, die so vielleicht gar nicht gewollt ist.
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(9) In: Tim Hoinkis, Lektüre. Ironie. Erlebnis. System- und medientheoretische Analysen zur literarischen Ästhetik der Romantik. Bochum, 1997. S.35f. Dieses Zitat auch weiter hinten in der Ichschrift Über die Unverständlichkeit.