Du sprichst von gleichzeitig existierenden, gleichberechtigten, unterschiedlich ausgeprägten Formen von Textoriginalität bzw. -authentizität. Liesse sich so eine Konstruktion auf einen – viel weiteren – Subjektbegriff übertragen? (bhfr)
Verfolgt man nun so ein Aufschreibeprojekt und akzeptiert, dass sich wie oben angeführt eine Aufspaltung in zwei Originalskripturen, die manifeste Schrift und jene digitale Urschrift, die eine Bewegung gespeichert hat, ereignet, kann man vielleicht feststellen, dass eine Faksimilierung solch eines Ich-Dokuments (und damit Nichtselbsts, da ich ICH nur im Moment meines Schreibens bin) durch die blosse Existenz jenes 2. Originals verunmöglicht ist.
Möglicherweise hat damit also solch eine Nichtfaksimilierbarkeit des Selbsts (15) auch rückwirkend Einfluss auf einen wieauchimmergearteten Subjektbegriff? Ist ein Schreibprozess dieser Art also eine bedingt subjektrekonstruierende Massnahme?
Das Thema dieser Arbeit umkreist die These, dass durch eine Medienüberspringung oder Auslassung eines handschriftlichen Schreibprozesses (z.B. durch eine direkte Textprozessierung am Computer) Bedeutungsverlust am Text anfällt, was natürlich augenfällig und banal erscheinen mag. Umgekehrt, so vielleicht die unmittelbar anschliessende These, kann behauptet werden, dass durch solch eine Überspringung eine Einbusse an genereller Subjektivität (wenn man sich diese vielleicht als Teil eines Texttortendiagramms vorstellen möchte) im Text zu verzeichnen ist. Oder: Einerseits kann also dieses Verfahren bedeuten, dass Bedeutungsverlust durch (nichthandschriftliche) Textproduktion schon überhaupt vor der Niederschrift eines Textes, ein Defizitverfahren ist, andererseits wird damit eine theoretische Erhärtung jenes Selbstbegriffs (s. Fn. 15), egal wie unscharf dieser zunächst sein mag, eingeleitet, der sowohl konstituierend für Textsubjektivität ist, als auch im Moment des Schreibens, in der Ich nur Textich ist reine Subjektivität sich als Bestandteil dessen formuliert.
Noch nicht geklärt wäre damit aber das Binnenverhältnis der Doppelschrift bezogen auf die obige Differenz. Der Frage also, ob nun manifeste Schrift auch Zeichen jenes Ichs ist und das Urdigitalisat die Anteile des Selbstrests verkörpert, oder eine umgekehrte Speicherung oder gar wechselseitige Verkörperungen stattfinden, wäre in weiteren Überlegungen nachzugehen.
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(15) Zur Unterscheidung Ich/Selbst: gemeint sei hier in stark vereinfachter Form und auch etwas populärpsychologisch: das Ich = jenes, das (nur) sich selbst bewusst ist, im Vergleich zu das Selbst, das die dem Ich unbewussten Teile (Es / Überich) mit einschliesst.