Vom Lektorat (Dranmor, MV4)

Gestern erreicht mich eine Rückmeldung meiner Lektorin, die ich ungekürzt unten einstelle. Ich bin sehr erleichtert und erfreut, was das Gesamturteil angeht – offensichtlich scheint der Text zu funktionieren. Und Luft genug, weiter an dem Manuskript zu arbeiten, vor allem an den zu Recht genannten Punkten, ist auch wieder da. Also warte ich auf den bearbeiteten Manuskriptausdruck und bin ab nächster Woche wieder ganz Dranmor.

Es mag arg konstruiert klingen: aber auf einem der vielen Zettel, die mit Notizen etc. vollgeschrieben sind zu Dranmor, findet sich das eilig aus Canettis “Fackel im Ohr” geschriebene Zitat von der “Dignität des Irreseins” …

Und: Wow. Ich glaube selten einen Roman gelesen zu haben, der mich so geradezu physisch in Mitleidenschaft gezogen hat, und ihn einmal zu lesen erscheint mir geradezu ungerecht … Das, wovon ich lese, scheint zum geradezu selbst Erlebten zu werden. Am tiefsten greift die Einsamkeit, das Abhandenkommen, das Irrewerden. So viel zu nahe mir ICH tritt, so entvölkert bleibt der Roman in Bezug auf das andere Personal. Das bleibt seelenlos, nur formuliert. Und zugleich schaut man auf ICH, auf seine beginnende Verwahrlosung, vor allem am Anfang, insbesondere durch die – freilich wiederum von ICH wiedergegebene – Perspektive der anderen “Figuren”. Aber ich blieb während des Lesens immer in der Ungewissheit, wer oder was Phantasie, Alter Ego ICHs ist – oder eben, auf der fiktionalen Ebene ICHs, real. Oder: schreibt man so einen (fiktionalen) Roman, in dem alles nur Fiktion ist, selbst in der Fiktion?

Ich jedenfalls war einem ständigen “Ebenenwechsel” unterworfen, hin und her, hoch und runter. Ich las den Text mal so, mal so. Man wohnt der auch alles auflösenden und zerstörerischen Kraft allen Kreativen und Intellektuellen bei, geradezu mit- und einfühlend in den Protagonisten, um sich sogleich wieder mit kühlem Blick in einem exemplifizierten poetologischen/erzählteoretischen Diskurs zu wähnen…

(Und großartig dieses Ende, dass einen so hilflos auf den Anfang wirft…)

Aber das sind nur ein paar wenige! dahergeplauderte Aphorismen zu dem Text… Jetzt vielleicht zu dem, womit ich mich nicht so wohl gefühlt habe…

Zunächst halte ich die Positionierung der “Metakommentare” am Ende des Textes (auch wenn das Ganze sich dann ja zum Schluss wieder vereint, bzw. an den Anfang weist) für problematisch. Und das schlicht aus Gründen der Lesepraxis (sprich: man muss immer hin- und herblättern). Ich weiß natürlich nicht, ob Du Dir da noch eine andere Lösung gedacht hast, was wirklich gescheites fällt mir da leider auch noch nicht ein…

Probleme hatte ich des weiteren mit Kapitel 1.12: Mir ist nicht klar geworden, was das da soll – abgesehen davon, dass ich den Text schlicht nicht verstehe – vielleicht weiß ich deswegen nicht, was das da soll.

Die Barcelona-Episode fügt sich für mich auch nicht so recht in das Gesamte. Fernando spricht wohl von der “Paris-Erfahrung”, die nun hier in Barcelona für ICH stattfinde, aber was ist genau damit gemeint? Sicher, ICH offenbart sich (oder er glaubt das zu sehen), dass SIE ein Kind hat, das möglicherweise von IHM ist, und im weiteren befinden sich dann ja auch die Aufzeichnungen zu Dranmor und seinem Kind, wo sich dann die Parallelen auftun. (Und: Fernando, natürlich! aber dazu bzw. zu den Namen gleich mehr). Um es kurz zu machen: mir erschloss sich nicht so ganz der Sinn des ganzen, ich dachte, man könne es vielleicht ein wenig “verdichten”.

Nun zu den Namen: Roman, Fernando, Professor Norma. Hierbei beschlich mich immer das Gefühl eines winkenden Zaunpfahls von stattlicher Größe… Muss das sein? Und wenn ja: warum?

Nun noch ganz Praktisches:

Ich denke, der Gebrauch des “ß” sollte nicht vermieden werden. Wenn es eine sinnvolle Regel der neuen Rechtschreibreform gibt, dann meiner Meinung nach diese, weil sie dem Tempo des gesprochenen Wortes und damit seinem musikalischen Wert “nachfühlt”. Ich hab mir erlaubt, dies im Text, wenn es mir auffiel, zu korrigieren. Ansonsten füge ich noch eine Liste der meistgebrauchten Wörter an, die man dann einfach so ersetzen kann – bei Bedarf.

Über die Kommas haben wir ja schon gesprochen. Hier sind meine “Korrekturen” freilich nur als Vorschläge zu verstehen (wie alle Anmerkungen), aber nichtsdestotrotz glaube ich, es wäre ganz gut, wenn Du den Text daraufhin noch mal durchsehen würdest, da dies nur Du entscheiden kannst. Desweiteren ist mir bisweilen ein mir nicht immer ganz einsichtiger schwankender Gebrauch des Präsens bzw. Perfekts aufgefallen. Auch das wäre vielleicht noch mal zu prüfen.

So. Und mir fallen bestimmt noch viele Dinge ein. Am besten wäre natürlich und sowieso eine “live“-Sitzung, die sich freilich im Moment nicht machen lässt. Aber anrufen, schreiben etc. kannst Du natürlich jederzeit! Und ich denke ja, dass wir uns dann im März sehen?

Das Manuskript mit den Anmerkungen schicke ich Dir dann zu, doch leider hat sich Deine Visitenkarte versteckt, sodass ich Dich bitte, mir doch noch mal Deine Adresse zu senden.

Liebe Grüße und auch Dank für die “Sternstunden” in meinem Halbtagslektorinnendasein.

S.

außer, außen…

bloß…

draußen…

fließen…

Fuß…

groß, Größe…

Gruß, grüßen…

heißt, hieße …

ließ, ließe…

schießen…

schließen, beschließen, schließlich…

Spaß …

Straße …

weiß…