Lange, Hartmut, Das Konzert, Novelle, 1986 (SZ-Bibliothek 2007)
Lange behandelt in dieser Novelle das heikle Thema einer möglichen Versöhnung zwischen Deutschen und Juden nach dem Holocaust und es ist ihm gelungen, dies auf eine völlig unsentimentale, klare, menschliche und gewissermaßen altmodische Weise zu tun.
Der Leser braucht ein paar Seiten, bis er begreift, dass er sich in einem phantastischen Szenario befindet: Vertreter der vermögenden jüdischen Bildungsschicht, die von den Nazis auf elende Weise ermordet worden waren, treffen sich weiterhin als Tote in Berlin, um dem Tod zu trotzen und das Leben in seiner Schönheit und seinem Glanz gewissermaßen zurückzuzwingen. Im Mittelpunkt steht Frau Altenschul, die ehrgeizige Pläne mit dem genialen Klaviervirtuosen Lewanski hat, der schon mit 28 in Litzmannstadt erschossen wurde. Dieser soll sich unter ihrer Ägide künstlerisch vollenden und das Leben nachholen, das ihm (und ihr) versagt geblieben ist. Widerstrebend lässt sich Lewanski darauf ein, gerät aber mehr und mehr unter den Einfluss des Skeptikers Schulze-Bethmann, der im Widerspruch zu Frau Altenschul das Projekt der Versöhnung mit den ehemaligen Mördern betreibt. Als Lewanski kurz vor seinem triumphalen Auftritt in der Altenschulschen Villa steht, in der er die E-Dur Sonate op. 109 von Beethoven spielen will, gerät er, ohne dem widerstehen zu können, in den sog. Führerbunker, wo ihn die reuigen, unerlösten toten Nazis erwarten und wo er anlässlich der Hochzeit von Hitler mit Eva Braun die Sonate zum Besten gibt. (Dies ist die "unerhörte Begebenheit", die nach Goethe zum Charakteristikum einer Novelle gehört - vgl. S.93). Es handelt sich um ein Alterswerk Beethovens, das eine "unwiderstehliche Ruhe und Gelassenheit" (90) ausstrahlt und seine Zuhörer alsbald verzaubert. Lewanski muss erfahren, dass er mit seinen 28 Lebensjahren der Altersweisheit dieser Sonate nicht gewachsen ist und überwältigt vom Gedanken an seinen gewaltsamen Tod verlässt er die Szene. Zurück bleiben Frau Altenschul, der ausgleichende Maler Max Liebermann (der noch vor der Herrschaft der Nazis gestorben war) und Schulze-Bethmann, die die einzelnen Positionen von der Unversöhnlichkeit bis zur Bereitschaft zur Versöhnung vertreten, wobei letztere überwiegt: ">Sehen Sie<, sagte er, >es hat doch keinen Zweck, jene Unterscheidung, die wir im Leben treffen, nämlich die zwischen Gut und Böse, im Tode beizubehalten. Sie haben es selbst erfahren: Wir würden nur die Unvereinbarkeit alles Lebendigen bis in die Ewigkeit fortsetzen und nach einigen Sekunden des Glücks wieder enttäuscht sein und trauern. Und wo bliebe die Chance, von dieser Fata Morgana endlich einmal erlöst zu sein?<" (98)
Die Szene spielt vierzig Jahre nach Kriegsende (vgl. S.95), die Toten können sich frei in der Zeit bis zur Gegenwart bewegen, setzen aber ihr Leben so fort, wie es in ihren gepflegten Kreisen bis zum Krieg stattgefunden haben mag: sie bleiben unter sich, abgeschirmt vom Leben. Dadurch bekommt die Schilderung etwas Phantomhaftes, Traumhaftes und es passt dazu, dass sie in einem sozusagen altmodischen Stil und in klarer Sprache geschrieben ist. Manchmal erinnert der Stil geradezu an Kleists Prosa, indem Lange, der ja auch Theatermann ist, viele komplexe Gefühlslagen in Gesten und Bewegungen der handelnden Personen umsetzt, so dass die philosophische Auseinandersetzung doch wie im Theater konkret wird und der Phantasie des Lesers genug zu tun übrig lässt. Also eine abgeklärte, ruhige Novelle zu einem schwierigen Thema, das natürlich auch von des Autors Optimismus in Sachen Bildung, Kunst und menschlicher Versöhnungsbereitschaft kündet. Aber warum sollte in der Literatur kein Platz für die Hoffnung sein? ">Es gibt eine Hoffnung<, dachte er, >die unangreifbar ist. Es muss sie geben. Morgen, sowie es die Rücksicht erlaubt, bin ich wieder bei Frau Altenschul, und ich werde ihr sagen, dass es keine Gründe gibt, übermäßig besorgt zu sein.>" (100)
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