»Lange, lange Sommernächte hindurch wird hier wunderbar geliebt und gelitten, ideale Lektüre für diesen Frühling, der ein Sommer ist. Wir raten zu.« (Florian Illies, Die Zeit)
»Eine magische Anziehungskraft geht auch heute noch von „Pan“ aus.« (Der Tagesspiegel)
»Stilbildend für die literarische Moderne« (Welt kompakt)
»Exzellent übersetzt« (Westdeutsche Zeitung)
»Leselust erzeugt vor allem Hamsuns virtuose Fähigkeit, spezielle Stimmungen zu erzeugen und seine Figuren durch nie berechenbare Gefühls- Höllenfahrten zu jagen.« (dpa)
»Dass Hamsun der geniale Urvater der literarischen Moderne war, (…) findet man jetzt in (…) dem Roman "Pan" bestätigt.« (Frankfurter Neue Presse)
Über den Autor und weitere Mitwirkende
Knut Hamsun (1859–1952), Sohn eines Schneiders und Landpächters, wuchs zweihundert Kilometer nördlich des Polarkreises auf. Ausgedehnte Reisen führten ihn bis nach Amerika und in den Orient, ehe er vor dem Ersten Weltkrieg schließlich in seine Heimat Norwegen zurückkehrte. 1920 erhielt er den Nobelpreis für Literatur. Bei Manesse sind von ihm der Roman «Pan» und der Erzählband «Die Königin von Saba», beide in Neuübersetzung, erschienen.
Aldo Keel, geboren in Zürich, ist Autor, Herausgeber, Übersetzer und Feuilletonist für die NZZ. Er lebte zwei Jahre in Reykjavik und promovierte über Halldor Laxness. In Norwegen veröffentlichte er eine Biografie des Nationaldichters Björnstjerne Björnson (ausgezeichnet mit dem "Honnör-Preis" der norwegischen Stiftung "Freies Wort"), auf deutsch folgte eine Biographie des dänischen Schriftstellers Martin Andersen Nexö (Ehrengabe der Stadt Zürich). Zuletzt erschien in Norwegen sein Buch "Björnson im Kampf für Europas unterdrückte Völker" mit einem Vorwort des norwegischen Außenministers Jonas Gahr Störe.
Aldo Keel, geboren in Zürich, ist Autor, Herausgeber, Übersetzer und Feuilletonist für die NZZ. Er lebte zwei Jahre in Reykjavik und promovierte über Halldor Laxness. In Norwegen veröffentlichte er eine Biografie des Nationaldichters Björnstjerne Björnson (ausgezeichnet mit dem "Honnör-Preis" der norwegischen Stiftung "Freies Wort"), auf deutsch folgte eine Biographie des dänischen Schriftstellers Martin Andersen Nexö (Ehrengabe der Stadt Zürich). Zuletzt erschien in Norwegen sein Buch "Björnson im Kampf für Europas unterdrückte Völker" mit einem Vorwort des norwegischen Außenministers Jonas Gahr Störe.
Leseprobe. Abdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Rechteinhaber. Alle Rechte vorbehalten.
In den letzten Tagen dachte und dachte ich an des Nordlandsommers ewigen Tag. Ich sitze hier und denke daran und an eine Hütte, in der ich wohnte, und an den Wald hinter der Hütte, und ich beginne, einiges niederzuschreiben, um mir die Zeit zu vertreiben, zu meinem Vergnügen. Die Zeit zieht sich hin, sie will mir nicht so schnell vergehen, wie ich möchte, obwohl ich keinen Kummer habe, und obwohl ich das fröhlichste Leben führe. Eigentlich bin ich mit allem zufrieden, und meine dreißig Jahre sind kein Alter. Vor einigen Tagen erhielt ich von weit her ein Paar Vogelfedern zugeschickt, von einem Menschen, der sie mir nicht schuldete, aber es waren zwei grüne Federn in einem gekrönten Briefbogen, der mit einer Oblate versiegelt war. Es amüsierte mich nicht wenig, die beiden teuflisch grünen Vogelfedern zu betrachten. Und sonst plagt mich nichts als hin und wieder etwas Gicht in meinem linken Fuß nach einer alten Schusswunde, die seit langem verheilt ist.
Ich erinnere mich, dass die Zeit vor zwei Jahren sehr schnell verging, ohne Frage viel schneller als jetzt, ein Sommer war vorbei, ehe ich mich's versah. Es war vor zwei Jahren, 1855, ich will davon schreiben, zu meinem Vergnügen, mir widerfuhr etwas, oder ich träumte es. Jetzt habe ich vieles von dem vergessen, was damals geschah, denn seither habe ich fast nie mehr daran gedacht; aber ich erinnere mich, dass die Nächte sehr hell waren. Vieles kam mir auch so unwirklich vor, das Jahr hatte zwölf Monate, doch die Nacht wurde zum Tag, und nie war am Himmel ein Stern zu sehen. Und die Menschen, denen ich begegnete, waren besonders und von anderer Natur als die Leute, die ich von früher kannte; manchmal genügte eine Nacht, damit sie in ihrer ganzen Herrlichkeit aufblühten, vom Kindhaften zur vollen Reife. Darin lag keine Zauberei, aber ich hatte das nie zuvor erlebt. O nein.
In einem großen weißgestrichenen Haus unten am Meer traf ich einen Menschen, der für kurze Zeit meine Gedanken fesselte. Ich denke jetzt nicht mehr immerzu an sie, jetzt nicht mehr, nein, ich habe sie vergessen; doch ich denke an all das andere, an den Schrei der Seevögel, meine Jagden in den Wäldern, meine
Nächte, die heißen Stunden des Sommers. Es war übrigens reiner Zufall, dass ich sie kennenlernte, und ohne diesen Zufall wäre sie nicht einen Tag in meinen Gedanken gewesen.
Von meiner Hütte aus konnte ich einen Wirrwarr von Inseln, Holmen und Schären sehen, ein Stück des Meeres, ein paar bläuliche Bergspitzen, und hinter der Hütte lag der Wald, ein riesiger Wald. Der Duft der Wurzeln und des Laubes, der kräftige Dunst der Kiefern, der an den Geruch von Verwesung erinnert, erfüllten mich mit Freude und Dankbarkeit; erst im Wald kam alles in mir zur Ruhe, meine Seele wurde ausgeglichen und mächtig. Tag um Tag zog ich auf die Anhöhen, Äsop an meiner Seite, und ich verspürte keinen anderen Wunsch, als dort Tag für Tag umherstreifen zu können, obwohl die halbe Gegend noch immer von Schnee und Matsch bedeckt war. Mein einziger Kamerad war Äsop; jetzt habe ich Cora, aber damals hatte ich Äsop, meinen Hund, den ich später erschoss.
Wenn ich abends nach der Jagd wieder zur Hütte zurückkehrte, konnte mich ein warmes Gefühl des Daheimseins durchrieseln, ja, mein Inneres in freudige Bewegung versetzen, und ich ging hin und her und plauderte mit Äsop darüber, wie gut wir es doch hatten. "So, jetzt machen wir ein Feuer und braten uns einen Vogel", sagte ich, "was hältst du davon?" Und wenn das alles getan war und wir beide gegessen hatten, kroch Äsop auf seinen Platz hinter der Feuerstelle, während ich die Pfeife anzündete, mich ein Weilchen auf die Pritsche legte und dem toten Rauschen des Waldes lauschte. Ein schwaches Zittern lag in der Luft, der Wind wehte zur Hütte hinab, und ich konnte den Schrei des Auerhahns von weit oben deutlich hören. Sonst war alles still.
Und oftmals schlief ich ein, so wie ich dalag, vollständig bekleidet, wie ich stand und ging, und erwachte nicht eher, als bis die Seevögel angefangen hatten zu schreien. Wenn ich dann aus dem Fenster schaute, konnte ich in der Ferne die großen weißen Gebäude des Handelsplatzes erkennen, die Kais von Sirilund, den Kramladen, wo ich mein Brot kaufte, und ich blieb noch eine Zeitlang liegen, verwundert darüber, dass ich mich hier in einer Hütte im Nordland befand, am Rand eines Waldes.
Dann schüttelte Äsop seinen langen, schmalen Körper, drüben bei der Feuerstelle, sein Halsband klirrte, er gähnte und wedelte, und ich sprang nach den drei oder vier Stunden
Schlaf auf, ausgeruht und voller Freude über alles, alles.
So verging manche Nacht.
Es kann regnen und stürmen, nicht darauf kommt es an, oft bewirkt eine kleine Freude an einem Regentag, dass das Glück einen innehalten lässt. Dann stellt man sich hin und blickt geradeaus, dann und wann lacht man leise und schaut sich um. Woran man denkt? An eine blinkende Fensterscheibe, einen Sonnenstrahl im Glas, die Aussicht auf ein Bächlein und vielleicht einen blauen Riss am Himmel. Mehr braucht es nicht.
Zu anderen Zeiten vermögen selbst außergewöhnliche Erlebnisse uns nicht aus einer matten und leeren Stimmung herauszureißen; mitten in einem Ballsaal kann man gleichgültig, ungerührt und unbeeindruckt dasitzen. Denn das eigene Innere ist die Quelle der Sorge oder der Freude.
Ich erinnere mich an einen bestimmten Tag. Ich war zur Küste hinabgestiegen. Regen überraschte mich, und ich betrat einen offenen
Bootsschuppen und setzte mich einstweilen. Ich summte leise vor mich hin, doch ohne Freude und ohne Lust, nur um mir die Zeit zu vertreiben. Äsop war dabei, er lauschte, ich höre auf zu summen und lausche ebenfalls, draußen sind Stimmen zu hören, Leute nähern sich. Ein Zufall, nichts als ein Zufall! Eine Gesellschaft von zwei Herren und einem Mädchen stürzte Hals über Kopf zu mir herein. Sie riefen einander lachend zu: "Rasch! Hier finden wir solange Unterschlupf!" Ich erhob mich.