Alle menschliche Sprache wurzelt in der mehr-als-menschlichen Welt, schreibt der Naturphilosoph David Abram in seinem Werk »Im Bann der sinnlichen Natur«: Vogelrufe, Wolfsgeheul, Donnergrummel – sie alle tragen als Ausdruck der belebten Welt zum Lexikon menschlicher Rede bei. »Ein Mensch ist ein weit durch die Zeit in Sprache geströmter Komet«, drückt diese der australische Poet Les Murray aus. Doch wo sich die mehr-als-menschliche und die menschliche Sprache nichts mehr zu sagen haben, muss man übersetzen. Dieser Aufgabe nimmt sich der Ausnahmepoet in dieser Gedichtsammlung an. Er bearbeitet das Sediment menschlicher Sprache mit den ihm gegebenen Werkzeugen der dichterischen Einfühlung, des poetischen Ausdrucks und der lyrischen Verdichtung, manchmal solange, bis nur noch ein paar lautmalerische Krumen aus Sirren, Grunzen, Gurren, Pfeifen bleiben, und nähert sich so einem in der natürlichen Welt wurzelnden Kern der Sprache an.
Als Vermittler zwischen menschlicher und mehr-als menschlicher Sphäre leiht uns Les Murray seine Empfindungsgabe, um einzutauchen ins Bewusstsein eines Schwarms von Fischen – dem »Aug-und-Auge« (eye-and-eye), dem »Ich der Augen« (the eyes’ I) – oder in das der »Massen« eines Grashalmkollektivs, und leiht uns sein Poetenohr, um dem elegischen inneren Monolog von Rindern auf der Schlachtbank zu lauschen, dem rohen Brechsprech gepferchter Mastschweine, den hochfrequenten Schallkaskaden der Fledermausakustik: »ah, eyrie-ire, aero hour, eh«?
Der verdienstvollen Übersetzung dieser zweisprachigen Ausgabe kommt zugute, dass sie gar nicht erst versucht, jeden Klangeffekt nachzubilden, sondern mit Präzession auf der Ebene der Wortbedeutung arbeitet. Es gibt in der englischen Sprache keine Poesie, lobte Derek Walcott, »die so verwurzelt ist in ihrer Heiligkeit«. Dies allein wäre Grund genug, Les Murrays Gedichte zu lesen. Dass er zu den sprachmächtigsten Vertretern seiner Zunft gehört, ein langjähriger Anwärter auf den Literaturnobelpreis ist und uns in seinen aus der Natur destillierten Gedichten zu unseren Ursprüngen zurückführt, ebenfalls. Nicht weniger wichtig ist aber, dass seine Sprache rundum beglückt.
(Erstmals erschienen in »Oya – anders denken. anders leben«, 14/2012)
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