"Die ewige Stadt gleicht einem riesigen alten Gehirn, das vor langer Zeit jedes Interesse an der Welt - als etwas zu leicht Fasslichem - verloren hat und sich nur noch seinen eigenen Rissen und Falten widmet. Während man sich durch seine Engstellen kämpft, wo schon der Gedanke an einen selbst zu beschwerlich ist, oder über die offenen Flächen, wo das Universum schon als Plan belanglos erscheint, fühlt man sich wie einen abgenutzte Nadel, die die Rillen einer ungeheuren Schallplatte abfährt, zur Mitte und wieder zurück, und ihr mit den Sohlen die Melodie entlockt, die die Tage von einst der Gegenwart zusummen. Es ist das wahre His Master's Voice und verwandelt einem das Herz in einen Hund. Geschichte ist kein Lehrfach, sondern etwas, das einem nicht gehört - was die wesentliche Definition von Schönheit ist."
Drei Menschen haben mich gelehrt was gute Essays sind:
Der Erste ist ihr Meister und gleichsam der, der ihre Begrifflichkeit sprengte:
Jorge Luis Borges
, den zu lesen Lektüre im besten Sinne bedeutet. Der zweite ist der niederländische Schriftsteller Harry Mulisch, von dem leider nur wenige Essays und Reden auf Deutsch erschienen sind (siehe:
Die Säulen des Herkules
). Der letzte ist Joseph Brodsky.
Was ist ein Essay? Im besten Fall, die oberflächlich komplexeste und weitverzweigteste Form von Literatur, die wir kennen. Beschreibend und Erforschend, ist der Essay gleichsam erklärend, weil eine Form der sachlichen Literatur, aber auch erzählend und erfindend in jedem einzelnen seiner Worte, das zu erklären sucht. Die wichtigste Eigenschaft eines Essays jedoch ist eine, die sich nur ganz schwer beschreiben lässt und deren beste wörtlich Entsprechung in diesem Zusammenhang abstrakt anmuten mag: denkend. Die besten Essays sind (Selbst-)Übungen im Denken und im Verbinden von Gedanken und Wirklichkeit zu einem einzelnen, literarischen Gefüge.
Joseph Brodsky, Dichter und Nobelpreisträger 1987, wurde 1972 aus der Sowjetunion ausgewiesen und kam als 32jähriger in die USA. Seine Gedichte nahm man hier zwiespältig auf - für seine Essays wurde er aber im Allgemeinen sehr bewundert.
Die Essays in diesem Band (es ist der zweite der ins Deutsche übersetzten Bände; der erste über Dichter und Dichtung ist
Von Schmerz und Vernunft
) handeln von vielen unterschiedlichen Themen. Sein Leben lang hat Brodsky sich für die Lyrik als reale Empfindung, Bildung und Lebensbereicherun starkgemacht, so auch hier, vor allem in Vorträgen und Reden (auch der Nobelpreisrede und der Nobelpreis-Dankesrede); vielfach aber hat er auch als Dichter des Exils und als Reisender Eindrücke vermittelt und Stellung bezogen. So finden sich auf diesen Seiten auch eine Hommage an Marc Aurel, verknüpft mit Ansichten zur Antike und der Stadt Rom; eine filigrane Brasilienreportage; ein Essay über seine Jugend in Leningrad; ein Brief an den Präsidenten von Tschechien Václav Havel und noch einiges mehr.
"Sicher könnte man eine Relation herstellen zwischen der Kleinheit des Details und der Intensität der ihm gewidmeten Aufmerksamkeit, wie auch zwischen dieser und der eigenen geistigen Leistung, weil ein Gedicht - jedes Gedicht gleich welchen Themas - an sich ein Akt der Liebe ist, weniger der des Autors zu seinem Thema als der Sprache zu einem Stück Wirklichkeit. Wenn oft ein Hauch Elegie, ein Mitleidston anklingen, dann weil es die Liebe des Größeren zum Kleineren, des Dauernden zum Flüchtigen ist."
Brodsky ist auch als Essayist noch ganz Dichter - nicht so sehr im poetischen Sinne, aber - wie der Textausschnitt oben anklingen lässt - in der Art wie er an seine Themen herangeht: immer leicht bedächtig, leicht virtuos, filigran und immer mit einem Zug zur Tiefe und zum Resignativ-hoffnungsvollen. Gerade deshalb ist dieser Band, der eine solche Fülle an brillanten Geschichten und Sentenzen und Betrachtungen enthält, keine leichte literarische Lektüre. Es ist Meisterschaft und die ist in der Literatur immer ein wenig zu groß, als das man alles darin auf einen Blick fassen könnte.
Trotzdem empfehle ich nachdrücklich, Brodsky zu lesen, denn seine Texte sind so vollkommen und intelligent, dass das Angenehme und der Fluss der Wörter trotz latenter Schwierigkeiten nie ausgespart werden. Auch seine Gedichte seien jedem ans Herz gelegt. (Eine Rezension von mir zu einer Auswahl
hier
)
"Gedenke meiner, flüstert der Staub. Und es klingt darin an, dass, wenn wir von der Zeit etwas über uns lernen, umgekehrt die Zeit vielleicht auch etwas von uns lernen könnte. Was das wäre? Das wir zwar an Bedeutung geringer sind, sie aber an Empfindungsvermögen übertreffen."
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