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...und Gott wird weinen

Das neue Album von Johnny Cash, "The Man Comes Around" ist ein Alterswerk
von größter Schönheit. Doch die unerwartete Freude über sein Erscheinen wird
begleitet von der Sorge, dass es das letzte des schwerkranken Godfather
des Country gewesen sein könnte.
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       E
s handelt vom Schmerz eines Mannes und von dem, was wir alle bereit sind, uns zuzumuten, und schließlich der Möglichkeit, das nicht mehr zu tun", sagt Johnny Cash. Er spricht über den Song Hurt von Nine Inch Nails, der neben 14 anderen auf Cashs neuem Album "The Man Comes Around" zu finden ist. Es sei der beste Anti-Drogen-Song, den er kenne, sagte Cash. Und auf diesem Gebiet hat er genug Erfahrung, das wird man ihm ruhig glauben können.
Das Zitat allerdings reicht weit über den Song hinaus. Es steht für Cashs Leben.

Johnny Cash, der im Februar seinen 70. Geburtstag feierte, leidet seit Jahren. Ist das nicht das Schicksal derer, die in ihrer Kunst das Leben und vor allem seine Finsternis verhandeln, mag man fragen. Stimmt. Doch die Qualen Cashs sind schon lange nicht mehr allein seelischer Natur. Es ist kein Verzweifeln an der Welt, sondern ein Verfallen des Körpers, das ihn quält. Gut zwei Dutzend Operationen musste er schon über sich ergehen lassen. Noch niemand konnte ihm endgültig sagen, woran er leidet. Kieferprobleme machten den Anfang, dann wurde Parkinson, später das so genannte Shy-Drager-Syndrom vermutet. Letzter Stand medizinischer Verwirrung: Autonome Neuropathie. "Ich glaube, ich werde langsam alt und tattrig", sagt Cash.

Unter solchen Bedingungen wird jeder Tag zur Ungewissheit. An manchen Tagen habe er gesungen, als sei es "das Letzte, was ich auf dieser Welt tun kann". Er wollte sich nicht unterkriegen lassen, beschloss, durch Willenskraft der Krankheit entgegenzutreten. Dieser Kraft verdanken wir ein Alterswerk von größter Schönheit.

     Eine Biografie wie die Cashs lässt seine Musik unter einem klaren Licht erscheinen. Anfang November erschien "The Man Comes Around". Dass das Album überhaupt erschien, mochte man bei den häufiger werdenden Berichten über Krankenhausaufenthalte kaum noch erhoffen. Ebenso, wie man Anfang der 90er Jahre wenig darauf gewettet hätte, dass Cash überhaupt nach einmal in den Mittelpunkt des Interesses der Popwelt rücken könnte.

Er galt in einer Zeit hedonistischer Ausgelassenheit musikalisch als lebender Toter. Das lag auch an der Enteignung seiner bekanntesten Songs durch ein Schlager-Countrypublikum. Die Zusammenarbeit mit Produzent Rick Rubin rettete Cash nicht nur für alte Fans, sondern erschloss ihm eine neue, junge, auf "Alternative Sound" eingeschworene Hörerschaft.

Rubin, als Mitbegründer von Def-Jam-Records am breiten Erfolg der Hip-Hop-Culture maßgeblich beteiligt und Produzent unter anderem von Red Hot Chili Peppers, Beastie Boys oder Tom Petty, befreite Cash aus jener Umarmung, mit der Legenden zu Tode gedrückt werden. Immerhin haben wir es mit einem der bedeutendsten Songschreiber aller Zeiten (sagte zumindest Elvis zu Cashs Frau June Carter) zu tun, der rund 50 Mill. Platten verkaufte. Mit dem Album "American Recordings" war Cash im Jahr 1994 zurückgekehrt. Spröde, ergreifend klang es. Spärlich instrumentiert, aufgenommen, wann immer es der Gesundheitszustand gerade zuließ. Im Wohnzimmer, selten im Studio. "Unchained" (1996) und "Solitary Man" (2000) folgten und konnten ebenfalls tief beeindrucken.
Doch immer mehr wuchs auch die Sorge, es könnte das Letzte sein, was wir von Cash zu hören bekommen. Jedes Mal glichen die Songsammlungen einem Vermächtnis.

     Neben der Entschlackung von Uraltmaterial und neuen Eigenkompositionen stellte Cash die Verbindung zu einer Popwelt, die auf den ersten Blick so gar nichts mit der existenzialistischen Tradition des Patriarchen des Ur-Country zu tun hat, her. Songs von Tom Petty, U2, Will Oldham und Beck erhalten bei Cash eine neue Dimension, die Dimension ewiger Gültigkeit im Angesicht des Todes.

An diesem Konzept hielten Cash und Rubin für "The Man Comes Around" fest. Neben Nine Inch Nails kommen etwa Simon & Garfunkel (Bridge Over Troubled Water), die Beatles (In My Life), Depeche Mode (Personal Jesus) oder Sting (I Hung My Head) zu Ehren. Unter großen Songinterpretationen ragen allerdings zwei besonders hervor. Mit Nick Cave, dessen eigenes Werk zweifellos in Cashs Schule seine Wurzel hat, singt Cash die Hank-Willimas-Nummer "I'm so Lonesome, I Could Cry". Wem das noch nicht die Tränen in die Augen treibt, der höre den Titeltrack "The Man Comes Around".

     Von der "Offenbarung des Johannes" habe sich der ebenso bibeltreue wie bibelfeste "Man in Black" zu dem Lied inspirieren lassen. Er zitiert die "Offenbarung": "Come and see - and I saw." Das Ende, jener Tag, den dem "the Man comes around", kündigt sich durch Erkenntnis an. Die Rückschau auf das Leben gestaltet sich in Cashs Fall als Erinnerung daran, dass der Tod keine ferne, rasch beiseite geschobene Tatsache ist. Auch beim hier vorliegenden Aufbäumen gegen körperliche Beschwerden wird die Sorge nicht kleiner, dass uns dieser Große bald abhanden kommen könnte. Wieder liegt in jedem Ton der rauen Stimme ein ganzes Leben. Wenn der letzte Ton verklungen ist, herrscht jene Beklemmung, die schon bei den Vorgängeralben den Hals zuschnürte. Die Intensität, mit der Cash unter die Haut geht und an Leid und Sterblichkeit erinnert, ist einzigartig. Sollte er mit diesem Album vor seinen Herrn treten müssen, hat er nichts zu befürchten, außer, dass Gott zu weinen beginnt.


Bernhard Flieher

(Bernhard Flieher ist Redakteur
bei den Salzburger Nachrichten)


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