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Hoffnung im Dunkel

Der australische Literat und Sänger Nick Cave und seine Band The Bad Seeds beenden mit
dem neuen Album "No More Shall We Part" eine vierjährige Pause

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      Aus einem leichten Raunen von Violinen, einer weiten Orgel oder einem schleppenden Schlagzeug erhebt sich große Lyrik. Zwölf ganz offensichtlich lange gereifte Songs beenden eine vierjährige Pause von Nick Cave und seiner Begleitband The Bad Seeds. Keineswegs lassen diese Songs die Sonne strahlen, aber doch zeigen sie, dass Cave den Blick auf seine Themen geändert hat und deren Umsetzung mit neuen, weniger aufrührenden Mitteln erfolgt. Er setzt damit einen Mitte der 90er Jahre begonnenen Weg konsequent und großartig fort.
 
Nick Cave tauscht auf "No More Shall We Part" fiktive Figuren, die er einst bevorzugt als Mörder oder Todeskandidaten, in jedem Fall aber als Zerstörte und Verzweifelte auf seine Songbühne schickte, endgültig gegen das Ich ein. Nicht aber einem trendigen, überheblichen und nicht reflektierten Ich der neuen Reality - Gesellschaft begegnen wir, sondern einem ständig (ver-)zweifelnden.
 
Nur mehr Ansätze erinnern an die wunderbar hemmungslos wilden, zerfetzten Anfangszeiten zu Beginn der 80er Jahre (auf dem neuen Album etwa Teile der Songs The sorrowful wife und Fifteen feet of pure white snow). Damals hielt Cave dem grellen Zeitgeist tiefschwarze terrorisierende Brachialsongs entgegen und wurde zum Poeten der Dunkelheit, zum "Hank Williams und Bob Dylan der 80er Jahre", wie der New Musical Express meinte.
 
    Was damals tobende, drogengetränkte Schreie der Verzweiflung (und wohl auch nach irgendeiner Erlösung) waren, entfaltet sich auf "No More Shall We Part" in atmosphärisch dichten Kompositionen, die freilich immer noch in Moll gehalten sind. Immer noch bestimmt der Blick auf die Abgründe und Tragödien des Lebens Caves Werk. Die Perspektive jedoch ist sehr persönlich, sie ist intimer.
 
Gründe dafür gibt es mehrere. Der 43-jährige Herr der Finsternis hat geheiratet und wurde Vater von Zwillingen. Doziert an Lyrik-Schulen. Längst eingetauscht hat er Drogen und einen Lebenswandel immer am Abgrund gegen konsequentes Arbeiten. Aus der einst unmittelbaren Umsetzung seiner Beschäftigung mit der Heiligen Schrift oder mit klassischen Mythen (vor allem des US-Südens) ist ein abgeklärter, aber keineswegs abgehobener Zugang geworden.
 
Künstlerisch bedeutete das die Abkehr von schnell hingefetzten Zeilen und Melodien. Wie scheinbar einfach Szenen mit fiktiven Charakteren zu Geschichten entwickelt sind, die in Düsternis, Mord und Totschlag enden, bewies er in großer Güte mit dem Album "Murder Ballads". Außerdem wurde mit diesem Werk 1996 - zwölf Jahre nach dem Debütalbum - erstmals eine breite (Teenager-) Öffentlichkeit auf Cave aufmerksam.
Und das war eine weit massivere Zäsur für Caves Schaffen als alle persönlichen Veränderungen. Der düstere Kultstar aus dem Untergrund fand sich an der Seite seiner Landsfrau Kylie Minogue mit Where The Wild Roses Grow in den Hitparaden.
 
Nicht dass es ihm gänzlich unangenehm gewesen sein wird, aber die aus dem Erfolg im Musikgeschäft entstehenden Zwänge wollte er nicht ertragen. Noch dazu, weil Cave sich der Musik doch "nur" als Mittel bedient, um seiner Literatur einen (auch besser verkäuflichen) Rahmen zu geben.
Und schon gar nicht zu ertragen war für ihn, Einblicke in sein Leben geben zu sollen, die über Songs hinausgingen. Ein Rückzug ins Private, auch wenn es in den Songs des neuen Albums ohnehin meist auf eine alltägliche, jedem nachvollziehbare Ebene gehoben wird, blieb einzige Fluchtmöglichkeit.
 
     Cave gelingt mit der selbstverständlich großartigen Unterstützung der Bad Seeds ein Schritt aus dem Dunkel hinaus in eine offensichtlich immer noch schwer ertragbare Welt. Die künstlerische Aufarbeitung von Schmerz und Verlust, das Ende, aber auch die Erfüllung von (Liebes-)Beziehungen, erfolgt nun aber nicht mehr als Selbstzerfleischung. Was er mit dem Album "The Boatman's Call" einleitete, findet nach vier Jahren Pause intensiv Fortsetzung: ein großer Poet eröffnet tiefe, bisweilen schmerzhaft persönliche, ironische, doppelbödige
Einblicke. Diese mögen nun von mehr Gelassenheit und erkennbarer Versöhnung mit dem (eigenen) Leben zeugen, aber was heißt das schon bei einem Mann, dessen riesiger Mythos aus tiefster Dunkelheit erwuchs?
 

No More Shall We Part ist bei Mute/Edel erschienen
.

Bernhard Flieher
(Bernhard Flieher ist Redakteur
bei den Salzburger Nachrichten)


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