______________________
______________________

Unerwünschte Nähe

Warum berührt eine Sängerin, die mit ihrer Stimme vor allem Distanz ausdrückt? Was
macht das Phänomen Suzanne Vega aus, die in ihren kleinen Geschichten über das
Leben erzählt, für den Zuhörer aber stets geheimnisvoll und unfassbar bleibt?

____________________________________


       D
iese Geschichte beginnt mit schierer Fassungslosigkeit, mit nagender Ungewissheit, mit nervösmachender Unsicherheit. Warum kann Zuneigung, ja Identifikation, im Nichts entstehen? Wieso entwickelt sich Nähe, wenn das Erzählte fern der eigenen Welt, nicht existent im Universum selbsterlebter Gefühle ist? Und - damit die Sache einen Namen hat - warum stößt einen die 40-jährige Songwriterin Suzanne Vega in dieses Niemandsland ungelöster Fragen? Wahrscheinlich liegt die Distanz zu der New Yorkerin an ihrer Stimme. Denn deren Charakter ließe sich problemlos mit allen möglichen Begriffen beschreiben, die Mangel ausdrücken, die abgrundtiefe Ablehnung beschleunigen: Der Klang ist zurückhaltend, unterkühlt, schnörkellos, unprätentiös, bisweilen gar emotionslos und steril. Von Spaß, Trauer, lärmender Wut oder hemmungsloser Freude also keine Rede. Die sonst geschätzte Gewalt und Wucht, die brachiale Macht, mit der Songmeister wie etwa Neil Young, Tom Waits oder Nirvanas Kurt Cobain für zittrige Knie und ein bebendes Herz sorgen? Melancholische Wärme, die etwa afrikanische oder karibische Rhythmen schenken? Absolute Fehlanzeige!

Andererseits - und hier beginnt sich eine seit einem verregneten Nachmittag vor 15 Jahren anhaltende Verwirrung etwas aufzulösen - schafft Vegas Stimme alles, was jede Stimme können muss, wenn sie einen berührt. Stimmungen zaubert sie herbei. Geschichten erzählt sie. Und ihre reine Schönheit, das also, was sonst unliebsame Glattheit gebiert, was durch Eintönigkeit so rasch elende Langeweile befürchten ließe, überzeugt ein ums andere Mal.

Das war einst beim ersten Hören von "Marlene On The Wall" so - übrigens in einer von Thomas Gottschalk moderierten Nachmittagssendung auf Bayern 3. Mit dem sofortigen Kauf des ersten Albums erweiterte sich das Gefühl, dem Klang hilflos ausgeliefert zu sein, auf alle zehn enthaltenen Songs. Das änderte sich nicht, als "Luka" zwei Jahre später rauf und runter gespielt wurde: Wenn Heavy Rotation normalerweise zur Tötung jeder Empfindung führt, passierte hier das Gegenteil. Nichts anderes geschah, als die späteren Alben unter Ausschluss irgendeiner Öffentlichkeit nachts liefen und die Zuneigung zur gehörten Nachdenklichkeit trotzdem nur bedingt mit einem sentimentalen Einsamkeitsgefühl, einer Verlorenheit zu erklären waren.

Sicher ist die prinzipielle Vorliebe für Songs in ihrer reinen Form für die Überbrückung der scheinbaren Unvereinbarkeit einer regungslosen Frauenstimme mit einer stark empfundenen Emotion verantwortlich. Was bei Bob Dylan seinen Ausgangspunkt - und gleichzeitig unerreichbare Höhepunkte in schier endloser Fortsetzung - erlebt, muss wohl auch für Suzanne Vega gelten.

Sie erfüllt die kindliche Sehnsucht, dass einem Geschichten erzählt werden. Ohne ablenkendes Beiwerk. Ohne großen Aufwand. Nur Zuhörer und Erzähler. Und in den besten Fällen eine unentrinnbare Vereinigung beider, geboren aus Tonfall und Inhalt auf der einen und aus Aufmerksamkeit und Wohlbefinden auf der anderen Seite. Wenn das Verstehen, die erschöpfende Auslotung des inhaltlichen Hintergrundes fehlt, so kann immer noch die Art des Vortrages dazu reichen, einen Song so intensiv zu fühlen wie einen hinterhältigen Messerstich oder wie die wärmende Hand der Geliebten. Das gelang - nicht zuletzt im Sog der Erfolge von Vega - in den späten 80er Jahren auch anderen wie Michelle Shocked oder Tracy Chapman. Sie haben aber immer persönliche Geschichten eingebracht, ihr Leid und ihre Freuden in Songs (mit)geteilt. Was sie sangen, war ihnen passiert. Chapman war engagiert, wenn sie über Revolution redete. Shocked war gerührt, wenn sie den Brief einer Freundin zum Song machte.

      Suzanne Vega führt jedoch auf eine falsche Fährte. Schwierige Texte stehen nämlich in indirektem Verhältnis zum Charakter der Musik. Beispiel: Ihr bisher größter Erfolg "Luka", veröffentlicht im Frühjahr 1987. Zur beschwingt lebensfrohen Melodie erzählt sie lakonisch von einer Kindesmisshandlung. Lockerleicht sind ihre Geschichten nie. Nervenzusammenbrüche im Park. Mitgelauschte Trennungsgespräche in der U-Bahn. Streitgespräche mit dem treulosen Liebhaber, während im Vorraum der eigene Lover wartet. Gierige Blicke durch die Fenster der Nachbarn. Grausamkeiten. Traurigkeiten. Aussichtslosigkeiten. Es wird erzählt, was irgendwo passiert. Oder besser: Manches wird nicht erzählt.

Denn die Wahrscheinlichkeit, dass es sich um einen guten Song handelt, wächst mit dem Raum, den der Autor und Interpret zwischen den Zeilen lässt. Suzanne Vega beherrscht diese Auslassung und muss dafür nicht viel Energie verschwenden. Gerade weil sie sich scheinbar wenig Mühe gibt, weil sie einfach nur singend erzählt, wirkt alles so selbstverständlich.

Die Sauberheit der Stimme entpuppt sich als reines Stilmittel. Zwischen dem, was sie singend verschweigt, und der Art, wie sie dies tut, entsteht Spannung. Denn sie drückt - recht untypisch für Folk- Singing, in dessen Ecke sie vor allem wegen formaler Parallelen der Instrumentierung gestellt wurde - Gefühle, Intimitäten und Regungen nicht direkt aus. Sie ist nicht zornig oder liebevoll. Sie regt sich nicht über Ungerechtigkeiten auf, setzt aber auch nicht zu Lobgesängen politischer Korrektheit an. Sie beobachtet diese Regungen, macht sie an alltäglichen Kleinigkeiten fest und fasst sie in Worte.

      Wenn das Argument, die Distanz zu Suzanne Vega liege wahrscheinlich an ihrer Stimme, nun ohnehin zu bröckeln beginnt, ist jedoch ganz gewiss, dass ihre Unerreichbarkeit, die Verschleierung ihrer Persönlichkeit diese Distanz schaffen. Denn durch das Hören ihrer Platten kommt man ihr nur wenig näher. Ihre Songs dokumentieren, dass sie eine gute Beobachterin und eine hervorragende Dichterin ist. Wer sie ist, erfahren wir nicht. Was sie denkt, schimmert manchmal zwischen den Zeilen.

Optisch entwickelte sie sich vom Mauerblümchen des Debütalbums, fotografiert in klassischen Folksinger-Posen mit Wanderklampfe und in Schwarz-Weiß, zur perfekt gestylten Lady, immer eingebettet in farblich ausgewogene, an Stilleben erinnernde Umgebung. Wie diese optische Wandlung vor allem mit dem bisher letzten Studioalbum "Nine Objects of Desire" (1996) gleichzusetzen ist, so sind auf diesem Album erstmals klare Bezüge zu ihrem persönlichen (Un-)Wohlbefinden zu erkennen.

Heitere Episoden über mütterliche Bedürfnisse oder seltsame Erlebnisse auf der Hochzeitsreise hören wir da. Nicht aber aus der gewohnten Distanz der Beobachterin erzählt sie, sondern als Betroffene. Kleine Risse entstehen so in der immer wohliger werdenden, aber durch die klare Festlegung der Positionen doch strikt getrennten Beziehung zwischen Hörer und Erzähler. Diese kurz glühenden Funken an Vertrauen, dieser Glaube, dass sich Ungewissheit und Unsicherheit erklären und damit endlich beenden lassen, sind aber schnell wieder weggezaubert. Stimme und Geschichten mögen angekommen und tief gedrungen sein. Der Blick in die Augen der kühlen, makellosen, mysteriösen Schönheit auf dem Plattencover beschert aber die nächsten Geheimnisse und Fragen. Und wieder kehrt man an den Ausgangspunkt zurück. Unfassbar weit entfernt scheinen Songs und Sängerin - und doch so berührend. Wieder beginnt die Suche nach den Gründen für eine Zuneigung, die nicht mit üblichen Vorlieben erklärbar ist. Wieder ist diese Suche erfolglos. Und wieder endet sie in verlorenen Textzeilen und verfängt sich in einer Stimme, die trotz ihrer Emotionslosigkeit das Herz zu erreichen vermag.


Bernhard Flieher

(Bernhard Flieher ist Redakteur
bei den Salzburger Nachrichten)


=== Zurück zur Übersicht ===