______________________
______________________

X und Y
______________________


      G
ibt es Erklärungen dafür, warum eine Beziehung scheitert? Ich spreche von einer heterosexuellen Beziehung. Ich kenne ein Paar x und y, die Namen der beiden will ich nicht anführen, nicht weil mir diese Beziehung einen Spiegel vor das Gesicht hält, sondern weil es grundsätzlich jedes Paar sein könnte, das nicht mehr miteinander will. Übrigens finde ich den x sehr sympathisch. Und erst die y. Obwohl - ihr x möchte ich jetzt nicht sein. Ich bin zwar auch ein x, aber nicht ihr x, dafür ein x-beliebiger, und das unterscheidet x von x. Wie ist das gekommen, daß y mit x nicht mehr kann?

Y klagt über Egozentrik und x klagt über Vereinnahmung und Vorschriften. X hört gerne Musik - und die laut. Y hört zwar hin und wieder auch Musik, aber ihr Geschmack dürfte ein anderer sein als der des x. Y empfindet seinen "Musikdurchsetzungswillen" als Affront. Immer, wenn y nach der Arbeit nach Hause kommt - immer ist die Regel und nicht die Ausnahme - tönt aus den beiden Boxen im Wohnzimmer x-ens Lebenselixier - seine Musik, die er über alles liebt.

Y liebte x. Und x liebte y. Dazwischen ist die Musik, jetzt und schon länger, obwohl früher die Musik auch da war. Y hält das nach acht Stunden Arbeit nicht mehr aus.
X arbeitet nicht. Er studiert. Schon lange. Nicht Musik. Y meint, die Zeit, die sie arbeitend außer Haus verbringt, müßte seinem Verlangen, Musik hören zu wollen, genügen. X ist kompromißlos. Er empfindet ihren Vorschlag als kompromißlos. Er empfindet ihren Vorschlag als Vorschrift, was er nicht billigen kann.
Musikhören ist kein Automatismus, den man einfach einschaltet und wieder ausschaltet. Musik hat für x eine tiefere Bedeutung, die y nicht versteht. Musik ist ein Gefühl, das von ihm Besitz ergreift. Sie läßt sich nicht auf eine gewisse Dauer eingrenzen. Sie ist eine Empfindung, die einen nicht mehr losläßt, und sie kann auch eine Laune des Nachmittags sein, wenn y gerade den Fuß über die Schwelle setzt und nach Hause kommt.

Y fühlt sich mißverstanden. Sie wollte x keine Vorschriften machen. Sie will nur von ihm empfangen werden. Ohne Musik. Sie will nur seine Aufmerksamkeit. Als seine Frau y. Seine Musik macht y eifersüchtig. X brauchte sie nur zu fragen, wie es ihr geht, was los war, was es zu erzählen gäbe. Nur ein Quentchen dieses Gefühls, nur ein Quentchen dieser Empfindung, nur ein Quentchen dieser Laune hätte ihr als Opfer für sie genügt, das er ihr ehrlich, wie sein Verlangen nach Musik, entgegengebracht hätte. Stattdessen löst sich aber die Beziehung auf. Und wie ergeht es der Musik? Ein Komponist sagt: Auflösung. Wir von heute müssen die Musik auflösen. Sie ist der Inbegriff der Auflösung. Gehst du in ein Konzert und hörst einen modernen Komponisten, so löst er sich auf. Es gibt keine Erklärung dafür. Es ist Musik.


Hans Freudenthaler


=== Zurück zur Übersicht ===