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Zwischen Kunst und Kitsch
Über Blumfelds halsbrecherischen Versuch, die Liebe auf ein Album zu bannen
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In mir tausend Tränen tief, erklingt ein altes Lied, es könnte viel bedeuten... oder Manchmal kommt es mir vor als könnte nichts uns beide trennen / dann stehst Du vor mir als würden wir uns ewig kennen / Du und ich...
Darf man solche Zeilen singen, wenn man einen intellektuellen Ruf zu verlieren hat? Darf man so von der Liebe reden, ohne sich unwiderruflich in die Nähe des deutschen Schlagers bzw. des Kitsches zu bringen? Denkt man da nicht zwangsläufig an Roger Whitaker und "Abschied ist ein schaaaarfes Schwert, das oft sooo tief ins Herz Dir fährt" oder an Andy Borg und Howard Carpendale: "Hello again, ich sag einfach nur hello again"? Wollte sich Distelmeyer, der mit die intelligentesten deutschen Songtexte in den 90ern verfasst hat, selbst intellektuell enthaupten? Hatte er von dem ganzen Diskursmodell und der Verkomplizierung der Sprache genug? Oder hatte er einen Gehirnschlag?
"Old Nobody" erschien 1999 und erregte die Gemüter. Was bildete sich dieser Schnösel Distelmeyer denn eigentlich ein? Seidenweiche Popsongs komponieren und dann auch noch solche Texte ins Mikro hauchen. Kein Funke mehr von kritischer Auseinandersetzung mit der Gesellschaft, keine "Ich-Maschine" mehr, keine Zeilen mehr wie "Du brauchst mich?! Ich beherrsche Dich / wolltest Du früher ein Junge sein? Jetzt gehörst Du zum schwachen Geschlecht / ich war im Fußballverein und pisse im Stehn" ("Laß uns nicht von Sex reden"). Stattdessen die absolute Subjektivierung und vor allem: keine Lebensverneinung mehr. (1992 sang er noch: "Montagmorgen erwachte ich als Mißgeburt / halt mich trotzdem fest / ich will morden / den Apparat, der Dich und mich bloß Apparat sein läßt".) Nein. Liebe. Plötzlich Liebe: "Liebe ist möglich / zwischen uns beiden / ich ruf Dich an / ich hör Dich gern / So schlägt mein Herz / es schlägt in mir Stunde um Stunde / Es schlägt für sich / für Dich und mich / jede Sekunde". Sollen wir das glauben? Ist er jetzt endgültig übergeschnappt? Hat er noch immer nicht begriffen, dass Liebe nur ein Wort ist, eine Metapher für das Unmögliche?
Distelmeyer wusste genau, worauf er sich mit diesem Album einließ. Der Mann ist nicht bloß ein Popsänger, er ist Dichter. Cut 1 "Eines Tages" beweist das. Distelmeyer singt hier nicht, er spricht ein 12-Strophen-Gedicht; eines der besten Gedichte, die je in deutscher Sprache geschrieben worden sind. Ich übertreibe? Abwarten:
Eines Tages
Du wirst ihn vergessen
Du trittst aus dem Schatten
und siehst Dich verlassen -
es warn keine Geister
Du schließt Deine Augen
um Dich zu beschützen
Dir schwinden die Sinne
ein Zerfall, kein Verschwinden
Du stürzst und versteinerst
und sinkst ohne Frage
durch schlaflose Nächte
in grundlose Tage
niemand versteht Dich
nichts mehr wird kommen
Deine innere Stimme
niemand hat sie vernommen
sie wollte nicht klingen
Du suchst Dich zu finden
in den Stimmen der andern.
Dieser Mann hat also das Denken nicht aufgegeben. Er hat nur einen Entschluss gefasst: Er will die Liebe ausdrücken. Auf einem Album. Und er hat eine Form gewählt, die riskant ist, aber wer die Liebe ausdrücken will, ihre ganze Schönheit, ihre Unendlichkeit, geht zwangsläufig ein Risiko ein. Distelmeyer macht keine halben Sachen. Wenn schon Risiko, dann volles Risiko; selbst auf die Gefahr hin, dass es völlig in die Hose geht.
Das Album ist eine Gratwanderung zwischen Genie und Wahnsinn,
Wunderwerk und Kitsch. Genauso fielen auch die Kritiker-Meinungen darüber aus. Für die
einen war es das perfekte Scheitern, für die anderen ein genialer Wurf. Und die meisten
konnten schlichtweg nichts mit diesem Werk anfangen.
Was keinesfalls die Schuld von Blumfeld und Distelmeyer ist. Wie sehr Distelmeyer seit dem
letzten Album nach Worten gerungen hat, sich intensiv mit der deutschen Sprache
auseinandergesetzt hat, beweisen Sätze aus "Eines Tages":
Du bist allein
zur Trauer des Tages
verstummen die Lieder
Du giltst als vermißt
und verschwindest noch mehr
in den Bergen der Schrift
findest Du Dich nicht wieder
[...]
Du bist was Du bist
älter, nicht schlauer
zu schwach um zu glänzen
Deine Worte verfaulen
Du nimmst ein Blatt vor den Mund
Deine Hand schreibt
kein verlorenes Leben
die letzte Seite
kein Testament.
Tiefe Skepsis und künstlerische Selbstzweifel sprechen aus diesen Worten. Umso erstaunlicher sind dann die Songs selbst. Musikalische und textliche Harmonien überschlagen sich förmlich. Blumfeld beschwören geradezu den klassischen Popsong:
Komm zu mir in der Nacht
wir halten uns umschlungen
bis der Tag erwacht
küss mich dann
wie zum ersten Mal
("Tausend Tränen tief")
Wer sich nicht näher mit diesen Liedern auseinandersetzt, stempelt sie nur allzu schnell als unerträglichen Kitsch ab. Wer aber bereit ist, genauer hinzuhören, Wort für Wort zu entziffern, wird merken, dass Distelmeyer es sich auch mit den Worten nicht leicht gemacht hat. Er selbst hat auf die viele Kritik, das sei Kitsch, gemeint, dass es für bestimmte Dinge eben nur ganz bestimmte Worte gebe und die müsse man dann eben nehmen, da bleibe einem letztlich gar nichts anderes übrig. Jedenfalls kann man ihm nicht vorwerfen, er hätte sich nicht auf der Metaebene mit der Sprache beschäftigt:
Ich bin der Weg
ich annulliere das Nichts
mit Worten, die wandern
von einem zum andern
wander auch ich
[...]
Ich bin das Wort
ich erfülle die Schrift
verbinde die Welten
mit Gesetzen, die gelten
und folge drängend dem Drift
so wie das Meer
denk ich an Dich
verlass das Papier
und gehe mit Dir
in ein anderes Licht
("The Lord of Song")
Vielleicht ist der Anspruch etwas hoch; deshalb wirken manche Worte auch zu hoch gegriffen - der Absturz ins Pathos droht. Distelmeyer verwendet jedoch keine Phrasen, und das hebt ihn eindeutig vom deutschen Schlager ab, mit dem man ihn ohnehin nicht ernsthaft vergleichen sollte. Nicht nur, weil das Majestätsbeleidigung wäre, sondern weil das einfach dumm wäre. Distelmeyer hat mit Whitaker und Konsorten nicht das Geringste zu tun.
Er bleibt ein Mensch, der interessante Lieder und Texte schreibt und dem man zuhören sollte. Der Mann hat nämlich etwas zu sagen.
Markus Murauer
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