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Reisende soll man nicht aufhalten
(zum 7. Todestag von Kurt Cobain)

Er war Künstler. Er war eine Ikone. Und er nahm sich das Leben.
Deshalb wurde er zum Märtyrer. In erster Linie war er aber ein Mensch,
der unglaublich intensiv lebte.

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      D
ie Nachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer; sie erreichte die Menschen via Fernsehen oder Radio auf Parties, in Lokalen oder auf Bällen: Kurt Cobain ist tot. Er hat sich mit einer Schrotflinte den Schädel weggeblasen. Der Held der melancholischen Twens und späten Teens der 90er ist nicht mehr. Das war am 5. April 1994. Und das ist jetzt ziemlich genau 7 Jahre her.

Sein Selbstmord war zweifellos ein Schock. Cobain hatte die Rockmusik Anfang der 90er bewegt wie kein anderer. Nicht einmal Neil Young oder Pearl Jam konnten zu dieser Zeit mithalten. Cobain trat mit einer Intensität auf den Plan, die alles in den Schatten stellte. Hier war einer auf die Bühne gekommen, der keine Rücksicht nahm - vor allem auf sich selbst nicht. Er sang bzw. schrie sich die Seele aus dem Leib, vergewaltigte seine Gitarre oder saß einfach nur da. Auch das reichte. Der Mann hatte Charisma. Und er trug die Selbstzerstörung in sich.

      Begonnen hatte alles Ende der 80er, als sich Cobain und Krist Novoselic zu einer Band zusammenschlossen, die sie nach mehreren Umbenennungen schließlich Nirvana nannten. Sie spielten mit Dale Crover am Schlagzeug und Jason Everman an der zweiten Gitarre das Album Bleach (1989) ein, das sich vor allem durch bedingungslosen Lärm auszeichnete. Manche Songs waren an der Grenze des Erträglichen, aber daneben gab es bereits Lieder, die etwas Besonderes waren.
"About a girl" war z.B. schon auf diesem Album zu finden. Bleach war noch kein Welterfolg, aber Nirvana setzte sich damit an die Spitze der Grunge-Szene in Seattle. Sie unterschrieben beim Major-Label Geffen und produzierten mit dem 1990 dazugestoßenen neuen Drummer Dave Grohl Nevermind (1991). Everman hatte die Band bereits wieder verlassen. Nirvana - das waren und blieben von nun an: Kurt Cobain (Gitarre), Krist Novoselic (Bass) und Dave Grohl (Drums).

Mit der Singleauskoppelung "Smells like Teen Spirit" zündeten sie eine Bombe. Von nun an war Terror angesagt. Die Musikwelt sollte drei Jahre lang nicht in Ruhe gelassen werden. Allein 10 Mio. verkaufte Alben von Nevermind, Nummer 1 in den US-Charts, in Minuten ausverkaufte Konzerthallen, nicht zuletzt der Grunge-Boom: lange Haare, abgefuckte Jeans, Westen und Holzfällerhemden, viel Weltschmerz und Aggression. Cobain hatte nämlich nicht im Sinn, in Alter und Würde zu sterben. Er war der Prophet und Märtyrer, der die Welt wachzurütteln hatte. Zweifellos keine leichte Rolle, die ihm da zugedacht worden war. Aber Cobain fügte sich. Er führte einen Krieg gegen diese Zeit und nicht zuletzt gegen sich selbst. Er war radikaler und direkter als alle anderen:

"I’m so horny / That’s o.k. my will is good". ("Lithium") "Rape me / rape me my friend / rape me again / I’m not the only one" ("Rape me"). Er schrie bedingungslos ins Mikrophon, wenn ihm danach war ("Stay away"), er griff schneller am Griffbrett seiner Gitarre, wenn es sein musste ("Territorial pissings"), er warf sich auf die Bühne, wenn er nicht mehr konnte. (Live-Auftritte bis zur völligen Erschöpfung.)

Man kann die Selbstvernichtung nicht mehr intensiver zelebrieren und damit gleichzeitig einer kranken Gesellschaft einen Spiegel vorhalten, wie es Cobain Anfang der 90er getan hat:

"I’m so happy / Cause today I found my friends / But in my head / I’m so ugly / That’s o.k. / Cause so are you [...] I’m not scared / Light my candles / In the days cause I found God." ("Lithium") Dazu ist nicht nur Kunst, sondern auch Öffentlichkeit notwendig. Man hat behauptet, er sei mit dem Erfolg nicht fertig geworden. Das ist so nicht richtig. Der Erfolg war die Voraussetzung für seine noch raschere und intensivere Selbstauslöschung.

Selbstmorde kündigen sich bekanntlich an:

Give me a Leonard Cohen afterworld
So I can sigh eternally
I’m so tired I can’t sleep
I’m a liar and a thief

("Pennyroyal tea")

Cobain sang dieses Lied beim MTV-Unplugged-Konzert in New York knapp vier Monate vor seinem Freitod mit einer Inbrunst, die keinen kalt lässt. Das  nächste Lied war "Dumb":

I’m not like them
But I can pretend
The sun is gone
But I have a light
The day is done
But I’m having fun

I think I’m dumb
Or maybe just happy
Think I’m just happy

[...]
Skin the sun
Fall asleep
Wish away
The soul is cheap
Lesson learned
Wish me luck
Soothe the burn
Wake me up

Mehr oder weniger verschlüsselte Botschaften, die andere Künstler verstanden. Neil Young und andere versuchten ihm angeblich zu helfen. Dieser Mann sollte noch nicht gehen, sie wollten, dass er hier bleibt. Es war zu spät. Cobain hatte uns nichts mehr zu sagen:

What else should I be
All apologies
What else should I say
Everyone is gay
What else could I write
I don’t have the right
What else should I be
All apologies

In the sun
In the sun I feel as one
In the sun
In the sun
I’m married
buried

I wish I was like you
Easily amused
Find my nest of salt
Everything is my fault
I’ll take all the blame
Aqua seafoam shame
Sunburn with freezerburn
Choking on the ashes of her enemy

In the sun
[...]
All in all is all we all are


Das ist Auflösung. Oder endgültiges Ausatmen. Abreise ins Nirvana.
Hier singt er 7 Jahre später noch immer, wenn auch nur noch alle "heiligen" Zeiten.


Markus Murauer


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