Red Poet: Über Jack Hirschman
Unlängst ist mit “Red Poet” ein Dokumentarfilm über den amerikanischen Dichter Jack Hirschman erschienen, den sich jeder anschauen sollte, dem die Namen von zeitweiligen Weggefährten Hirschmans geläufig sind: die Namen legendärer Beat-Poeten also wie Michael McClure, Gregory Corso, Bob Kaufman, Jack Micheline oder Lawrence Ferlinghetti.
Jack Hirschman, der 1933 als Sohn russischer Juden aus der zweiten Einwanderergeneration in der Bronx geboren wurde, ist ein sehr produktiver Mensch, ein kompromißloser Dichter, der einen Großteil seines Lebens buchstäblich auf der Straße verbracht und im Verlauf seines Lebens mehr als 100 Gedichtbände (z.B. A „Correspondance of Americans“, „Endless Treshold“, „All That’s Left“, „Front Lines“) entweder selbst geschrieben und veröffentlicht oder als Arbeiten anderer Dichter aus dem Russischen, dem Italienischen, dem Albanischen und sechs weiteren Sprachen übersetzt und dadurch erst in den Vereinigten Staaten bekannt gemacht hat, darunter etwa einen Auszug aus Rilkes „Duineser Elegien“ oder Anthologien von Pasolini und Artaud.
Hirschman ist ein öffentliche Figur, nicht nur in den Straßen von San Francisco, wo er seit über 35 Jahren lebt und u.a. dem Kampf der Obdachlosen um Achtung und Unterkunft seine elektrisierende Stimme verliehen hat, sondern auch in Italien, wo zuletzt sein Hauptwerk, die „Arcanes“, von einem kleinen Verlag in Salerno, den Multimedia Edizioni, zugänglich gemacht wurde. Hirschmans Schreiben ist anfänglich beeinflußt und geprägt von Walt Whitman, James Joyce, Dylan Thomas, Pablo Neruda und Ernest Hemingway, später von Allen Ginsberg, Robert Creeley und Charles Olson.
Als 18jähriger wandte sich Jack Hirschman einmal an Hemingway, der ihm die ermutigende Antwort erteilte: „Junge, ich kann Dir nicht helfen. Du schreibst besser wie ich, als ich so alt war wie Du.“ Hirschmans akademische Laufbahn an der University of California in Los Angeles, er lehrte dort vergleichende Literaturwissenschaften, fand 1966 ein jähes Ende, weil er sich mit den Protesten seiner Studenten gegen den Krieg in Vietnam solidarisiert und dabei etliche Gesetze gebrochen hat. Die zusätzliche Trennung von Frau und Kindern sowie der anschließende Umzug nach San Francisco brachte ihn auf die Straßen und in die Cafés von North Beach, wo er, falls er nicht gerade in Italien weilt, noch heute täglich anzutreffen ist. Mit seiner jetzigen Lebensgefährtin Aggie Falk, einer schwedischen Malerin und Dichterin, bewohnt Jack Hirschman in SF ein winziges Hotelzimmer.
2006 wurde Hirschman in das regelmäßig neu zu vergebende Amt eines Stadtschreibers (poet laureate) von San Francisco eingesetzt. Darin ist er inzwischen von der Beat-Dichterin Diane di Prima abgelöst worden. Hirschman bezeichnet sich selbst als einen Marxisten-Leninisten und erntet damit, wie sich unschwer denken läßt, nicht unbedingt begeisterten Zuspruch. Erhellend ist eine Episode des Films, in der Paul Kantner von Jefferson Airplane dem Dichter auf der Straße ins Wort fällt und dabei gleichermaßen gegen Stalin, Roosevelt, Churchill und Hitler wettert.
Selbst habe ich Jack Hirschman als einen wahren Humanisten und Internationalisten kennen und schätzen gelernt, der im Umgang offen ist, aufmerksam zuhört und auch andere gelten läßt. In einem Tiroler Straßencafé hat er mir den in Vergessenheit geratenen deutschen Dichter Rainer Maria Gerhardt sowie den venezianischen Arbeiterdichter Ferruccio Brugnaro ans Herz gelegt, schon allein dafür bin ich ihm sehr dankbar.
Red Poet, Director Matthew Furey, Producer Francis Furey, Dauer 55 Minuten, erhältlich bei friendsofthepoet@mac.com
Egon Günther
Nachstehendes Gedicht trug Jack Hirschman beim diesjährigen Sprachsalz-Festival in Hall vor:
Das Freundes-Arkanum
in memoriam Rainer Maria Gerhardt
I
Im Leben begann
der Suizid am Ende
vom Tod des Todes,
naziweit, brachte hervor
einen Rainer Maria
der nicht auf der Flucht war
vom Schlosse zur Baronesse
sondern Nahrung suchte auf
den verkohlten Straßen Freiburgs:
ein junger Dichter, Vater zweier Kinder,
alle drei mit Renate
in einem Zimmer, wie Jasmine
die Birmanin, ihr mexikanischer
Mann und drei kleine
Kinder im Eckzimmer
dieses schäbigen Hotels
in San Francisco, in dem ich
60 Jahre später schreibe
über Rainer Maria Gerhardt,
erst 23, einst Hitlerjugend und
Jungsoldat, übergelaufen
zu Titos Partisanen ...
Irgendwo laut auf dem Weg
(ok, ich muss diesem Faschisten-
Sack Ezra zugute halten,
dass er ihn in Kontakt brachte
mit Creeley, dann Olson),
brach hervor ein Funke, steigerte
sich zur Pulsion in der Brachlandschaft
er ist tot, brach es herein
alles und jeder schien
untröstlich erschüttert , zerrissen,
doch langsam kam Hoffnung auf,
deren Beginn ein Glühen
ein neu zeichen zu aufbruch
ein alt zeichen zu untergang,
mit unbekannten, ungeahnten
Möglichkeiten, beginnend
bei Null. Keine Friedensmärsche
in der amerikanischen Zone,
nicht weil es keine gegeben hätte
sondern weil es Not gab.
Es gab nicht einmal etwas zu essen oder
Kohle für den Ofen. Man stand
buchstäblich vor dem Nichts.
II
Und siehe da, als ein Hektograph
(aus dem die Wörter
blaurot und gelatineartig
herauskamen) auftauchte,
wurde die internationale
Revue fragmente (»blaetter fuer
freunde«) geboren.
Eingehende Briefe wurden
beantwortet, ja, frische
Gedichte, neue Freunde,
in Frankreich, England
und Amerika, Manuskripte fürs Radio,
um eventuell Geld zu verdienen
für Renate und die Jungs,
und weiterhin die Herausgabe
der fragmente, der Titel
wie der meines ersten 4-seitigen Heftes
mit Gedichten, selbst verlegt
in Manhattan, 75 Exemplare, ein
paar Wochen später (ich kannte
weder ihn noch sein Werk)
nachdem er den Gashahn aufgedreht
hatte für sich aus 20 Millionen
Gründen, Scham, Demütigung,
keinen Pfennig in der Tasche.
Jugendtreffen im Osten.
Glühende Friedensherzen. Im
Westen konnten es jene, die es tun würden,
nicht, taten es nicht, das Taft-Hartley-Gesetz
wurde verabschiedet, Robeson buchstäblich
gesteinigt, auf den schwarz-jüdischen Kopf
des Organisators Bob Kaufmans in Texas
eingeschlagen, Kon-Konsument-Kon-
sumentum der einzige Prophet in der Stadt.
„Ich bin verliebt in sie, doch von ihr
kommt nichts zurück. Ich bring mich
um, dann weiß sie um ihr Glück.
Es wird ne Wucht oder ich spring in die Bucht.
Scherben und Schutt, Scherben und Schutt.”
„Null und Nichtig, unser Held so richtig Sand-
wich, das man nicht essen kann. Schnauf du nur
und keuch. Wir machen kein hartes Zeuch
in unsren lila Höschen.”
„Er kümmerte sich so sehr um alles.”
„Sie überließen uns ihr Bett und schliefen
auf dem Boden.” „Ich kenne keinen,
der so viel von sich preisgab, so
entschlossen war.” „Das letzte Jahr saß
er allein im Park, ich ging hin,
der Momente wegen, in denen er
sprechen konnte, oder um all das
von ihm Begonnene fortzuführen ... Nun
komme ich mit einer schrecklichen Nachricht.
Rainer starb am frühen Nachmittag des
27. Juli. Die völlig verzweifelte
Situation, in der er steckte,
mit all unserer Arbeit – finanziell – und
vielen persönlichen Problemen (vielleicht
gelingt es mir, später davon zu berichten)
setzte seinem Leben ein Ende, unerwartet und
plötzlich, selbst für ihn.”
III
Wer schrieb Gesang der Jünglinge im
Feuerofen, träumte von der Ersten Nachkriegs-
Internationale der Poesie, zu mildern
das Leid angesichts der Toten, aufgetürmt im
dunkelsten Staub, der je als menschliches Bitumen
zutage gefördert wurde, Scham
an den Fingern, die nur ein wenig
Brot nahmen, ohne das Grauen jedes Augenblicks
in dieser Hölle zu teilen.
Und mit ein wenig Hilfe von Freunden
wandten wir uns den Atemknochen zu,
die Olson schüttelte, erkannten, in
brüderlicher Identität, die Anteilnahme,
für die Creeley zum Poeten meiner
Generation wurde, durch Jahrzehnte der Kriege,
des Rassenhasses, eine weitere neue Ordnung
technologischen Massensterbens, Berühmtheit
gepaart mit
Rock ‘n’ Sex ‘n’ Roll, den Drogen
Sex ‘n’ Roll und dem alten Gestein Sisyphus,
voller Widersprüche, da alles, was verboten war
nun käuflich und erlaubt ist, ein Knopfdruck
genügt, samt den Zielsetzungen und Visionen
der Union von Europa des neuen Milleniums,
wie Jünger es sich in »Der Friede« ausgemalt hatte,
die mit unübertrefflicher Ironie wachsen würde
wie ein Paar rauchender Türme.
O lang her ist all dies, und als wenn er nicht
länger als für den Augenblick gelebt und dann
ein anderes Dasein begonnen hätte, ein irdisches,
das Charles und Robert ihm verzweifelt
in ihrer Elegie zuschrieben: »Dass es ein Freund ist und
man dem hilflos gegenüber steht.« Und meine eigene
späte Erkenntnis, inmitten der Ruinen:
er entfachte die Ur-Funken
für eine multilinguale Zukunft der Poesie,
und vielleicht war es nicht nur Synchronie
dass Dichter aus aller Welt ihre
unterschiedlichen Stimmen im Palace
of Fine Arts zu San Francisco erhoben, just
am Abend jenes Julitages, an dem
Rainer Maria Gerhardt sich das Leben nahm
und die Bedeutung dessen danach zu einer
monumentalen Präsenz der Poesie
werden ließ.
(Übersetzung: Jürgen Schneider)
Beatlemania!

1. Auflage 2010, ca. 140 Seiten, mit über 100 Fotos, Dokumenten u. Faksimiles
ISBN: 978-3-7844-3221-2
19,95 EUR D / 20,60 EUR A / 34,50 CHF (UVP)
LangenMüller
Als sie noch live auftraten, wurden sie von ihren Fans in einem Maße verehrt, wie es keiner anderen Popgruppe je zuteil wurde. Der Kult um die vier Jungs aus Liverpool hält bis heute ununterbrochen an. Die Beatles haben die Musik revolutioniert und die Menschen begeistert. Die Beatles und ihre Fans – das ist ein seit damals andauerndes Liebesverhältnis, fast schon eine Weltanschauung. In diesem aufwändig und liebevoll gestalteten Album wird diese besondere Beziehung dokumentiert – mit vielen raren, zum Teil unveröffentlichten Fotos und Texten. Ein Buch von Fans für Fans.
Mit Texten von Horst Fascher, Lisa Fitz, Chuck Hermann, Jürgen Herrmann, Chris Howland, Klaus Kreuzeder, Gabriele Krone-Schmalz, Uschi Nerke, Abi Ofarim, Brian Parrish, Helmut Schmidt, Manfred Sexauer, Tony Sheridan, Pete York uvm.
Fotos von Bubi Heilemann, Werner Kohn, Ulrich Handl, Rainer Schwanke, Frank Seltier, Günter Zint u.a.