Achim Amme: For Your Love
Es war der Sommer 1965. Während die Yardbirds mit ihrem ersten Hit For Your Love ihre Liebe zum Massenpublikum entdeckten, blieb Eric Clapton seiner Liebe zum Blues treu und verließ die Band – Jeff Beck Platz machend.
Ich war damals noch nicht einmal sechzehn. Von Liebe konnte keine Rede sein. Ich schwärmte lediglich. Sie war ein Jahr älter als ich und trug lange, schwarze Haare. Wenn sie lachte, leuchteten ihre braunen Augen auf betörende Weise. Sie lachte nie laut. Fast war es, als schämte sie sich ihres Lachens. Sie konnte rot werden vor Scham, vor allem, wenn sie sich verhaspelte und ins Stottern geriet, was ich besonders reizend fand.
Im Physikunterricht, der jede Woche stattfand, saß ich immer hinter ihr und flüsterte ihr einen neuen Witz zu. Trotzdem: ein Witz pro Woche, das war auch mir klar, würde auf Dauer nicht genügen, um ihr zu imponieren. Also verbesserte ich mein Gitarrenspiel und suchte mir Freunde, mit denen ich auftreten konnte. Ich erfuhr von einem Bandwettbe-werb. Das war die Gelegenheit! Das sollte ein erster Höhepunkt meiner noch jungen Kar-riere sein und natürlich ein wichtiger Schritt in Richtung Kerstin. Ich suchte mir die beiden besten Gitarristen an der Schule aus und beschloss, selbst nur als Sänger aufzutreten. Folgende Songs hatte ich ausgewählt: Let´s Have A Party, Long Tall Sally und For Your Love.
Es wurde der verrückteste Auftritt meines Lebens. Der Saal war brechend voll, an die dreihundert Leute standen eng aneinander gepresst vor der Bühne, darunter auch Kerstin. Ich schrie mir die Seele aus dem Hals und wirbelte wie ein Derwisch über die Bühne, völlig außer Rand und Band. Mühsam hatte ich mir vom Tonband die Texte abgehört und in Lautschrift übertragen. Ich wusste teilweise selbst nicht, was ich sang. Doch das merkte keine Sau. Wichtig war, dass die Stimmung rüberkam. Der Saal brodelte wie ein Hexen-kessel. Die Jungs hinter mir rockten wie die jungen Götter. Das mussten sie auch, denn wir hatten nur einmal geprobt. Die Musik puschte mich so nach vorn, dass ich mich mit dem Publikum in einer mystischen Einheit wähnte. Ich war zwar der Vortänzer, aber ich gab nur die Energie zurück, die ich von allen Seiten empfing. Ich schwebte wie auf Wol-ken.
Und dann kam For Your Love: erst die aufsteigende Akkordfolge, jeweils mit einem Moll-Akkord beginnend und endend, danach der knallharte Mittelteil. Das Lied hatte ich extra für sie ausgewählt. Es war wie eine magische Verbindung, die in dem Moment zwischen uns bestand. Ich hätte noch stundenlang so weiter singen mögen, aber da mussten wir auch schon wieder runter von der Bühne, um der nächsten Gruppe Platz zu machen.
Später wurden wir disqualifiziert, weil wir angeblich Profis waren. Zum Trost erhielt ich eine Tafel Schokolade. Aber das kümmerte mich nicht. Ich hatte mein Herz für Kerstin ausgeschüttet, und sie war dabei gewesen. Hatte sie mir nicht sogar zugelächelt? Einen größeren Preis konnte es gar nicht geben. Was ich nie verstand: sie wirkte danach reser-vierter als je zuvor.
Anstatt nun aber einen Versuch zu starten, mich ihr mitzuteilen, beichtete ich meine See-lenlage meinem besten Freund Bernhardt und weckte so sein Interesse. Er nutzte die erstbeste Gelegenheit und verabredete sich mit ihr. Sie ließ sich von ihm überreden, „mit ihm zu gehen“, wie das damals hieß. In mir brach eine Welt zusammen. Obwohl ich mich von ihm hintergangen sah, ließ ich mir so wenig wie möglich anmerken. Sollte ich, wenn sich schon meine verborgene Verehrung für sie verflüchtigte, auch noch meinen besten Freund verlieren?
Zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich so richtig den Blues. Ich setzte mich daran, meinen ersten Song zu schreiben, erneut von den Yardbirds beeinflusst, nämlich von ih-rem nächsten Hit Heart Full Of Soul. Mit dem wehmütig-fetzigen Gitarrenintro, bei dem Jeff Beck versuchte, eine Sitar zu imitieren, waren sie die erste britische Band, die orien-talisch klingende Tonfolgen in ihre Songs einbaute. Mein Song hieß Don´t make me blue. Die einzige Strophe, an die ich mich erinnere, lautete: Oh, Baby, don´t make me blue / When I´m walking and talking to you / You like to hurt me every day / And I can´t find another way / Than staying with you.
Mit Kerstin hatte es gar keine gemeinsamen Spaziergänge gegeben, allenfalls in der Phan-tasie. Die Verletzung bestand darin, dass sie meine Phantasien in der Wirklichkeit nicht teilte. Aber wie sollte sie, wenn sie nichts davon wusste? Ein täglicher Umgang, der auch gemeinsame Gespräche beinhaltete, fand gar nicht statt. Genauso erfolglos hätte ich mei-nen Freund Bernhardt bitten können, „mich nicht traurig zu machen“, mit dem ich fast täglich zusammenhockte. Schließlich war er es, der nun mit der Dame meines Herzens Umgang pflegte. Der Wunsch, nicht traurig sein zu wollen, war ja verständlich. Anderer-seits gab es Bluesmusiker, bei denen hatte man das Gefühl, dass sie geradezu in Traurig-keit badeten, wie etwa wieder die Yardbirds in Still I´m Sad.
Wohin die wilde, ekstatische Begeisterung für die Musik dieser Zeit noch führen konnte, zeigte ein Jahr später Michelangelo Antonioni in seinem Film Blow Up. Der Regisseur wollte zuerst The Who für eine Szene einsetzen. Als diese ablehnten, übernahmen die Yardbirds den Part – einschließlich Zerstörungsorgie an Gitarren und Verstärkern.
Dem Held des Films gelingt es, mit dem abgebrochenen Gitarrenhals, um den sich das Publikum rangelt, zu flüchten. Als er das eben noch kostbare Stück wegwirft, ist es, sei-nes ursprünglichen Bezugs beraubt, nur noch Schrott, für niemanden mehr etwas wert.
Aber die Erinnerung an Kerstin trage ich weiter in meinem Herzen, wie die Erinnerung an diesen Sommer der Unschuld.
Beatlemania!

1. Auflage 2010, ca. 140 Seiten, mit über 100 Fotos, Dokumenten u. Faksimiles
ISBN: 978-3-7844-3221-2
19,95 EUR D / 20,60 EUR A / 34,50 CHF (UVP)
LangenMüller
Als sie noch live auftraten, wurden sie von ihren Fans in einem Maße verehrt, wie es keiner anderen Popgruppe je zuteil wurde. Der Kult um die vier Jungs aus Liverpool hält bis heute ununterbrochen an. Die Beatles haben die Musik revolutioniert und die Menschen begeistert. Die Beatles und ihre Fans – das ist ein seit damals andauerndes Liebesverhältnis, fast schon eine Weltanschauung. In diesem aufwändig und liebevoll gestalteten Album wird diese besondere Beziehung dokumentiert – mit vielen raren, zum Teil unveröffentlichten Fotos und Texten. Ein Buch von Fans für Fans.
Mit Texten von Horst Fascher, Lisa Fitz, Chuck Hermann, Jürgen Herrmann, Chris Howland, Klaus Kreuzeder, Gabriele Krone-Schmalz, Uschi Nerke, Abi Ofarim, Brian Parrish, Helmut Schmidt, Manfred Sexauer, Tony Sheridan, Pete York uvm.
Fotos von Bubi Heilemann, Werner Kohn, Ulrich Handl, Rainer Schwanke, Frank Seltier, Günter Zint u.a.