Alexander Pfeiffer: Johnny wird sterben … aber nicht an Langeweile

Einer meiner Lieblingsdialoge aus den Romanen des amerikanischen Krimischreibers George P. Pelecanos – Nick Stefanos, Privatdetektiv, Alkoholiker, Kind der 80er Jahre und Veteran der Punkszene von Washington DC, hängt mit einem Kumpel am Tresen, sie sind betrunken, sie reden über Musik:

„Desert island LP,“ said Joe. „If you had to pick one, what would it be?“
„’Let it be,’“ I said without hesitation.
„The Beatles?“ he said, screwing up his face.
„Fuck the Beatles!“ I said. „I’m talkin’ `bout the Replacements!“

Auf so einer einsamen Insel sind ein paar versöhnliche Töne sicher angenehm, um den Tag herumzubekommen. Da ist das 1984er Werk der Replacements möglicherweise die Platte der Wahl. In meinem Kopf aber scheint beim Gedanken an die Combo aus Minneapolis immer als erstes jenes Cover des Debütalbums in zerrissener Schwarzweiß-Kopie-Optik mit reingekritzeltem Titel auf: „Sorry Ma, forgot to take out the Trash“.

1981, vier junge Männer mit strubbeligen Haaren, verschwitzten Hemden und zerschrammten Instrumenten. Rock’n’Roll in den Händen von überhitzten Twens. Geprügelt bis über die Grenze zum Punkrock. Geschwindigkeitsräusche, garniert mit musikalischen Highlights. Ein Schlagzeuger, der Wirbel auf Wirbel setzt und nicht einmal daneben liegt. Und über den heruntergeschrubbten Akkorden eine Leadgitarre, die Melodiebögen über den Lärm legt, dass einem das Herz aufgeht.

„File under Power Trash“ steht da irgendwo ganz klein auf dem Cover. Trash, ja, aber kunstvoll verziert. Später sollte das Melodiöse und Kunstvolle mehr und mehr ausgeprägt werden, hier wuchert noch der Müll, den einer vergessen hat rauszubringen.
18 Songs, 9 pro Plattenseite. Und wenn man das schwarze Ding nach den ersten 9 Attacken umdrehen muss und der Plattenarm sich wieder senkt, ist plötzlich alles ganz anders. Da hat jemand das Licht abgedunkelt. Da haben die vier Männer mit den verschrammten Instrumenten sich Kippen angezündet und ein kaltes Bier aufgemacht. Da hat der Punk zurückgefunden zu den uralten Mythen des Rock’n’Roll: „Johnny’s gonna die“.

Balladen, für die hatte es im Punkrock eigentlich keinen Platz. Aber genauso wie auf dem Debütalbum der australischen Punkpioniere The Saints von 1977 „Messin’ with the Kid“, dieser melancholische Schleicher darüber, wie es sich anfühlt, ein junger Mann zu sein, der dem Erwachsenendasein nichts abzugewinnen weiß, den herausstechenden Moment darstellt, so ruht hier auf „Johnny’s gonna die“ ein Scheinwerferlicht, das mit seiner durchdringenden Schärfe und dem Geruch nach bier- und uringesprenkelten Betonfußböden am Morgen nach der großen Sause die Aufmerksamkeit des Betrachters auf sich zieht.
Einsame Männer, tragische Helden, ja, die heißen Johnny. Vielleicht noch Jack. Aber „Johnny’s gonna die“, das hat eindeutig den besseren Klang, den besseren Rhythmus. Und darauf kommt es schließlich an. Johnny nimmt immer mehr als er braucht. Und er braucht immer mehr als er nimmt. Und dann vergisst er die Akkorde, vergisst die Melodien. Und jeder sagt, dass Johnny heiß ist. Aber Johnny braucht etwas, was er nicht kriegen kann. Und daran wird Johnny sterben. Und er wird sein Zeichen hinterlassen.

War Sid Vicious nicht 1979 genau so gestorben? Und war man da nicht schließlich wieder exakt beim Punkrock und seinen ganz eigenen Mythen, die doch nichts weiter waren als die uralten Mythen des Rock’n’Roll, nur um ein paar Drehungen weitergeschraubt? Und gab es da nicht auch einen von den Sex Pistols, der den Vornamen Johnny trug? Und hatte nicht genau dem der zottelige Hippie Neil Young ebenfalls 1979 die Worte gewidmet: „It’s better to burn out than to fade away“?

Auch für Gitarrensolos hatte es im Punkrock eigentlich keinen Platz. Und doch ließ Smokin’ Bob Stinson auf die letzte Strophe von „Johnny’s gonna die“ knapp eine Minute die Saiten vibrieren, wie man es den Sex Pistols nie verziehen hätte und wie die es auch gar nicht gekonnt hätten. Aber Minneapolis, die Heimat der Band, das war in den 80ern die Stadt, in der die Punks die schwelgerischen Gitarren für sich entdeckten. Wo eben Neil Young plötzlich ein Geistesverwandter sein konnte und man sich erlaubte, auch der verkaterten Melancholie nach dem besoffenen Rausch Töne zu geben. Allen voran in den Songs von Hüsker Dü. Ebenso bei den später im Rockmainstream landenden Soul Asylum.
Am lautesten, dreckigsten und furiosesten aber bei den Replacements. Denn die preschten gleich, nachdem sie Johnny zu Grabe getragen und Paul Westerberg ihm noch ein leises „Bye bye“ hinterher gesungen hatte, wieder mit der ultimativen Bekenntnis jugendlichen Ungestüms nach vorne: „They tried to tell me that I should learn / They told me it's best I wait my turn / I can't wait forever / I can't wait that long”.

Wasser auf die Mühlen für einen, der 1981 die Pubertät noch vor sich hatte, der in der Vorstadt aufwuchs, wo es keinen Strand und auch keinen See gab, auf den man nachts hätte schauen und sich fort wünschen können. Der ebenfalls nicht warten wollte, bis er dran war. Dem so ein vorzeitiger Johnny-Tod besser, schöner und größer schien als alles, was sich in seiner unmittelbaren Reichweite fand. So ließe es sich sterben. Daran, dass man zu viel genommen hatte von etwas, wovon man nie genug bekommen konnte. Allemal besser als an Langeweile.

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Fotos von Bubi Heilemann, Werner Kohn, Ulrich Handl, Rainer Schwanke, Frank Seltier, Günter Zint u.a.