Judith Kuckart:: Ballettmusik wollte ich schon immer mal schreiben (Einstürzende Neubauten)
Dies soll eine Hommage werden. Denn ich bin über die Punkmusik, richtiger über die Einstürzenden Neubauten, noch richtiger über FM Einheit zum Schreiben gekommen. Ich glaube, FM Einheit ahnt bis heute nichts davon. Ich weiß gar nicht, ob er liest.
Zu den Personen:
Frank-Martin Strauss, alias FM Einheit, manchmal auch genannt Mufti, geboren in Dortmund im Dezember 1958, ist aktiver Musiker seit 1979. Seine Instrumente: Metall, Bauschrott, Schlagzeug. Gespielt hat er unter anderem in den Bands ABWÄRTS bis 1983, dann bei den EINSTÜRZENDEN NEUBAUTEN bis 1996. Ich erwähne nur diese beiden Gruppen, weil ich auch nur die live gehört habe. Kennen gelernt habe ich FM Einheit, also Mufti, im Jahr ´89, kurz bevor er seine eigene Band STEIN gründete.
Judith Kuckart, geboren 1959 in der Nähe von Dortmund, in Schwelm, einem kleinen Ort, der sich auch im Winter „Die grüne Perle am Rand des Ruhrgebiets“ nennt, schreibt seit 1989 und war vorher von 1965 an immer irgendwie aktiv, zuerst im Kinderballett, dann bei Kresnik, dann im eigenen Tanztheater beschäftigt. Das ging bis 1998 so.
Die Vorgeschichte:
1980, als FM Einheit bei der Band PALAIS SCHAUMBURG spielt, lasse ich mir einen Tag vor Weinachten von meiner Freundin B. die hüftlangen schwarzen Haare so kurz schneiden wie ihre Finger schmal sind. Eine junge Frau in dem alten Polo am Grenzübergang Dreilinden, die einen Tramper mit nach Westdeutschland nehmen will, weil ja Weihnachten das Fest des Friedens und der Liebe ist, ist sehr erstaunt, als der junge Mann, der sich neben sie setzt, eine junge Frau ist. Ich. Ja. B. ´s Finger sind sehr schmal gewesen, daran hat sich auch in den letzten neunundzwanzig Jahren wenig geändert. Am Bahnhof Hagen lässt die junge Frau mich bei den Bussen, die über Nacht nach Polen fahren, aus ihrem Polo aussteigen. Telefonzelle? Die dritte ist nicht kaputt, und mein Vater sammelt mich eine halbe Stunde später ein. Ich werfe den Rucksack auf den Beifahrersitz und nehme den Rücksitz. Er schaut in den Innenspiegel.
„Du hast die Haare heute aber sehr straff gebunden, Kind.“
Er fährt los, schaut wieder in den Spiegel und verliert kurz die Kontrolle über sein Lenkrad. Beinahe überfährt er eine Frau mit Hund. Der Hund trägt ein Mäntelchen mit Schottenmuster, das irgendwie ähnlich aussieht wie mein kurzer Wollrock, den ich seit Wochen schon trage.
„Wie siehst du denn aus?“ sagt mein Vater. Das „Kind“ lässt er weg. Er hat es seitdem nie mehr gesagt.
Wie siehst du denn aus, das wird mich ab jetzt und mit dieser Frisur und diesem Rock niemand mehr fragen, wenn ich ins SO 36 will. SO 36 ist der Name eines Klubs in der Oranienstraße/Kreuzberg. Bis 1983 ist er ein Zentrum der Punk- und Wave-Szene in Deutschland, und bis 1983 werde ich dort Bands wie Slime, Die Ärzte, Die Toten Hosen, Einstürzende Neubauten, Die tödliche Doris oder Dead Kennedys hören, bis ich 1990 selber dort auftreten darf. Nicht als Musikerin, nein, sondern als eine, die die Choreografie für eine Tanztheaterproduktion sich ausgedacht hat. „Noli me tangere“ wird das Stück heißen. Aber noch ist es nicht soweit. Wir sind noch im Jahr 1980. Ich sehe an diesem Weihnachten nach Meinung meiner Mutter zum Heulen aus, und weinen muss sie tatsächlich, immer wenn ihr Blick auf mich fällt. Sie strickt mir eine Mütze, mit der sehe ich nach Meinung meines Vaters aus wie ein Ei mit Wärmer. Ich aber fühle mich wohl so, gehe Silvester im SO 36 Pogo tanzen, schreibe für eine befreundete Punk-Band das Vaterunser zu einem Song um.
Zeit vergeht. Ich lasse mir wieder die Haare wachsen, und drei Jahre später fragt in der U-Bahn mich keiner mehr dummes Zeug.
„Wo hast du denn deine Nummer?“
„Welche Nummer?“
„Na die vom KZ.“
Keine Frau kreischt mehr auf, wenn sie auf ein öffentliches Klo geht und mich vor dem Spiegel die Hände waschen sieht, weil sie denkt, sie ist aus Versehen auf dem Männerklo gelandet. Die Haare fallen wieder bis au die Schultern, es ist das Jahr 1984, und ich gründe mit Freundinnen, die alle professionelle Tänzerinnen sind, ein Tanztheater, das „Tanztheater Skoronel“. Ich sehe mir wieder ähnlich, sehe wieder aus wie das Mädchen, das aus dem kleinen Ort am Rand des Ruhrgebietes kommt, über den Franz Josef Degenhard, der auch von dort herkommt, oder von dort weg, sein Lied „Spiel nicht mit den Schmuddelkindern“ geschrieben hat.
Die eigentliche Geschichte:
Dann ist das Jahr 89 da. Sommer. Die Mauer ist noch nicht gefallen. FM Einheit, den ich noch nicht persönlich kenne, spielt bei Vladimir Estragon und noch immer auch bei den Neubauten. Er ist der wichtigste Mann neben Blixa Bargeld. Die Neubauten haben sich nach ersten Erfolgen ab Mitte der 1980er Jahre zunehmend aus der Punk- bzw. Post-Industrial-Bewegung entfernt und wollen vermehrt an Theaterprojekten arbeiten.
1989 bekamen wir, das Tanztheater Skoronel, von der Oper Duisburg den Auftrag, eine Produktion zur Französischen Revolution zu erarbeiten. Ich suchte mir als Glühpunkt, von dem aus ich das Stück arrangierten wollte, die Mörderin von Marat aus: Charlotte Corday. Sie kommt aus der Provinz. Aus einem kleinen Ort am Rand von irgendwas. Sie war als stumme Figur gedacht. Sprechen sollte die Musik. Ich suchte einen Komponisten für unsere „Oper“. Frag doch Mufti, sagte der Schlagzeuger der Punkband, für die ich vor neun Jahren einmal das Vaterunser umgeschrieben hatte. Die Musik in dieser unperfekten, lauten, strubbligen, fussligen Oper „Charlotte Corday – Möderin Marie hat dann tatsächlich FM Einheit geschrieben.
„Klar, mach ich gern! Ich wollte ja schon immer mal Ballettmusik schreiben.“
Wir trafen uns in einer Bar auf der Potsdamer Straße. Er wollte überraschend wenig Geld. Drei Tage später gingen wir ins Studio.
„Ich kann keine Noten, du musst mir schon anders sagen, was du willst.“
Ich sagte, was ich wollte. Musik, die was mit Nonnen, was mit Ulrike Meinhof, was mit der Mörderin aus der Bibel namens Judith zu tun hat, für die gilt, dass nichts Gott wohlgefälliger ist als der Tod eines Tyrannen. Ich wollte keinen Gesang. Die Geschichte sollte eine Sache des Tanzes sein, erklärte ich Mufti unbeholfen.
„Schon klar, aber kannste mir mal eben 200 Mark leihen, bis morgen?“ Mufti zog die Stirn kraus, und ich dachte: Er macht eh, was er will. Er machte es gut!
Vier Wochen später war die Musik fertig. Sie war sehr, sehr laut. Zum ersten Mal konnte ich die Stummheit meiner Tänzer nicht mehr ertragen. Text musste sein, merkte ich. Ich fing an zu schreiben. Wenige Sätze kamen zusammen, irgendwie herausgerissen aus der Probensituation, atemlos vorangeschrieben, weil ich nicht eigentlich schrieb, sondern mich bewegte und ein mir noch unbekanntes Ich in meiner Hand hatte, in einer Hand, die ihrerseits rastlos auf dem Papier der Spur der eiligen Sätzen folgte, obwohl diese noch bis zu den Knien im unfertigen Gedanken steckten.
Am Abend der Premiere von Charlotte Corday, Mörderin Marie sah Frau Schoeller, die wichtigste Frau im S. Fischer Verlag/Frankfurt, die Aufführung. Sie war von der Arbeit so überzeugt, oder sie war so stur, dass sie am gleichen Abend noch mich nach Frankfurt einlud, um mir einen Vertrag für einen Roman anzubieten. Wegen der Textchen, die sie gehört hatte? Das konnte doch nicht wahr sein. Ich sah kurz aus dem Fenster der Garderobe. Es war zehn Minuten nach der Aufführung. Die Verlegerin stand verlegen im Türrahmen, und ich hatte ein rotes Gesicht von der Tanz-Anstrengung auf der Bühne.
„Die Texte sind von Ihnen?“
„Ja.“
„Aber Sie sind doch Tänzerin.“
„Aber ich habe Abitur“
Ich drehte mich zu ihr herum, und während ich diese alberne Antwort gab, stellte ich mir plötzlich mein nächstes Projekt als richtige, von Theater unabhängige Geschichte vor. Ich stellte mir die Geschichte als Roman vor, und unter dem Stichwort Roman stellte ich mir in dem Moment in jener hektischen Theatergarderobe in Duisburg, mit Vaseline im Gesicht und einem schmerzenden Rücken unter dem verschwitzten Kostüm, ein ruhigeres Leben vor, ohne all das. Aber würde ich auf „ all das“ einfach so verzichten wollen? Die Welt des Tanzes zu verlassen, ist in gewisser Weise ein Tod, sagten die, die es schon hinter sich hatten, Also stellte ich mir in Sekundenschnelle mein Leben nach dem Tod vor, da in meiner Garderobe, 29 Jahre alt. Das ist für eine Tänzerin alt.
„Ich kann das, klar kann ich das.“
Ich lächelte die Verlegerin an und muss mir in dem Moment mein Leben in Zukunft als ein behaglicheres Leben vorgestellt haben, also eins am Schreibtisch, mit Teetasse und ausgehängtem Telefon. Und was ist der Ewigkeit näher als die Behaglichkeit, hat Robert Walser einmal geschrieben.
Was dabei heraus kam:
1990 erschien mein erster Roman. „Wahl der Waffen“ und im gleichen Jahr 1990 erschien unter Muftis (nicht unter dem Label Neubauten) Namen seine erste eigene CD „Stein“, eingespielt mit Ulrike Haage und Katharina Franck von den Rainbirds. Titel unter anderem waren: Nonnentänze, Mogadischu, Korrektionsanstalt, Nummern, die er für Charlotte Corday geschrieben hatte. Ballettmusik eben.
Juli 2009
Beatlemania!

1. Auflage 2010, ca. 140 Seiten, mit über 100 Fotos, Dokumenten u. Faksimiles
ISBN: 978-3-7844-3221-2
19,95 EUR D / 20,60 EUR A / 34,50 CHF (UVP)
LangenMüller
Als sie noch live auftraten, wurden sie von ihren Fans in einem Maße verehrt, wie es keiner anderen Popgruppe je zuteil wurde. Der Kult um die vier Jungs aus Liverpool hält bis heute ununterbrochen an. Die Beatles haben die Musik revolutioniert und die Menschen begeistert. Die Beatles und ihre Fans – das ist ein seit damals andauerndes Liebesverhältnis, fast schon eine Weltanschauung. In diesem aufwändig und liebevoll gestalteten Album wird diese besondere Beziehung dokumentiert – mit vielen raren, zum Teil unveröffentlichten Fotos und Texten. Ein Buch von Fans für Fans.
Mit Texten von Horst Fascher, Lisa Fitz, Chuck Hermann, Jürgen Herrmann, Chris Howland, Klaus Kreuzeder, Gabriele Krone-Schmalz, Uschi Nerke, Abi Ofarim, Brian Parrish, Helmut Schmidt, Manfred Sexauer, Tony Sheridan, Pete York uvm.
Fotos von Bubi Heilemann, Werner Kohn, Ulrich Handl, Rainer Schwanke, Frank Seltier, Günter Zint u.a.