Peter Stephan Jungk: Die Geräusche der Liebenden (Herman´s Hermits)


Zugegeben: Ich bin ein Schwärmer. Kaum je gerate ich aber bedingungsloser ins Schwärmen als beim Wiederhören einer meiner Lieblingsbands aus der Mitte der sechziger Jahre – den Herman’s Hermits: Fünf Engländer aus Manchester, allesamt Teenager, als sie ihre Band gründeten. Ich war nur drei, vier Jahre jünger als sie, Gymnasiast in Wien. Die Schule bedrückte, beängstigte mich, das Akademische Gymnasium am Beethovenplatz war ein Ort täglicher, methodischer Furchteinflößung. Die langen, düsteren Gänge. Die bissig-autoritären Professoren, für die man noch aufstehen musste, wenn sie den Raum betraten. Deutschprofessor Krasensky etwa, der meinem Banknachbarn zurief: „Dießner, wenn ich die Sonne wär’, ich würde dich erfrrrierrren lassen wie den letzten Hunndt!“ Die Schularbeiten in Mathematik und Latein, auf die ich nahezu ausnahmslos die Note „nicht genügend“ erhielt. Einen „Fleck“, wie man das damals nannte. Und Turnen durfte ich nicht oder nur schonturnen, da man einen Herzfehler bei mir vermutete, das machte mich zum Gespött; das hämische Gelächter der Klassenkameraden liegt mir bis heute im Ohr. ‘Wer keinen Sport treibt, ist minderwertig’, rief man mir zu - so war das in Wien, auch noch Mitte der sechziger Jahre des letzten Jahrhunderts. Erst als ich vierzehn, fünfzehn wurde, wendete sich mit einem Mal das Blatt, denn ich, nur ich konnte die Texte der Beatles, der Rolling Stones, der Kinks, Troggs, Monkees und Herman’s Hermits übersetzen. In den USA geboren, war ich zweisprachig aufgewachsen. Gleichsam über Nacht eroberte ich mir die Wertschätzung meiner einstigen Peiniger.

All over the world you can hear the sounds of lovers in love’ Gänsehaut bis heute, wenn ich den Herman’s-Hermits-Hit “There’s a kind of hush” höre. Die Geräusche der Liebenden, die sich lieben? Was mochte damit gemeint sein? Das Stöhnen beim Liebesakt? Oder nur das leise Schnalzen beim Zungenkuss? Just holding you tight, das zu hören, hat uns pickelübersäten Gymnasiasten schon genügt, um uns fast rasend zu machen. Dabei waren es doch Männerstimmen – und wir dachten nur an Frauen, wenn es um die Liebe ging. Die weiche Stimme des Leadsängers mit dem betont britischen Akzent kleidete unsere Sehnsüchte in Strophen und flüsterte sie für uns in die Welt hinaus. In die ganze Welt, wie es im Song hieß:…all over the world tonight. Und dann wartete ich auf Antwort. Die nicht kam. Ich blieb bis ins hohe Alter von neunzehn Jahren jungmännlich. Schmerzhaft angenehme Jahre des Wartens auf den erlösenden Moment, eine Zeit, in der Herman’s Hermits und ihre Sehnsuchtslieder meine treuen Begleiter blieben.

I love you forever and ever – allein diese Worte aus „There’s A Kind Of Hush“ lösten bereits einen Rausch der Liebessehnsucht, zartes Körperbeben bei mir aus. Der Song brachte es fertig, Zärtlichkeiten in Sprache und Musik umzugießen, ein alchemistischer Vorgang. Jeder Satz eine neue Welle der Erregung. Sah mich ein Mädchen an, damals, in der Schule, auf der Straße, am Badestrand, und das kam selten genug vor, dann lag in ihrem Blick der ganze Klang und der ganze Text von „There’s A Kind Of Hush“ verborgen. Und wenn der damals neunzehnjährige Lead-Sänger Peter Noone (er nannte sich Herman, aus unerfindlichen Gründen) versprach: It’s not a dream, dann hieß das für mich: Die Liebe ist ein Traum, den auch ich mit meinen fünfzehn Jahren träumen darf. Es gab zwar das eine oder andere Playboy-Heft, das ich im Arbeitsraum meines Vaters aufstöberte, aber „There’s A Kind Of Hush“ zu hören, erregte mich weit mehr, als die immergleichen Hochglanz-Halbnackten zu betrachten. Die Unschuld der Texte berührte mich ungemein. Ich kann es nicht ganz begreifen, aber so war es. Diese Reinheit! Die Milchflasche, die unberührt vor der Eingangstür eines schäbigen Vorstadtgebäudes von Manchester steht, in a mean street back of town, aus dem Song „No Milk Today“’: Für den Liebenden ein Zeichen, dass die Angehimmelte verreist, vielleicht sogar umgezogen ist, niemand ausser ihm versteht, was diese Milchflasche zu bedeuten hat, a symbol at the door’: ‘The end of all my hopes, the end of all my dreams.

Herman’s Hermits steuerten die elementaren Begleitklänge zu meinen ersten Selbstbefriedigungsabenteuern bei. Ich besaß keinen richtigen Plattenspieler, bloss ein Monogerät, eine Art Handköfferchen mit äußerst schwachem Lautsprecher. Und darauf spielte ich in meinem Kinderzimmer die kleinen knisternden Singles ab, die sich fünfundvierzig Mal in der Minute um sich selbst drehten. M., der beste Schüler und der beste Sportler der Klasse am Akademischen Gymnasium, hatte mich gewarnt: „Onanie führt zu Gehirnerweichung. Du wirst verblöden, ab zwanzig bist du an den Rollstuhl gefesselt, glaube mir. In ein paar Jahren kannst du nicht mehr aufrecht sitzen, nichts mehr lernen, studieren schon gar nicht. Hör auf damit, bevor es zu spät ist!“ Und ich versteckte mich hinter der Schmalseite meines Schranks, in dem das Spielzeug untergebracht war, das Matador, das Lego, die Dinkytoy-Automobilsammlung, die Brettspiele. Ich stand da, vornüber gebeugt, vor der Welt und vor mir selbst versteckt, Wollustschauern entgegeneilend, während der kleine Apparat unermüdlich Herman’s Hermits spielte.

Ihre Texte und Melodien, so dachte ich damals, hätten Herman’s Hermit selbst geschrieben, wie die Beatles, die Kinks, The Who, die Rolling Stones. Erst heute, vierzig Jahre später, erfahre ich, dass weder die Lyrics noch die Kompositionen meiner Lieblingslieder von ihnen stammten – wie enttäuschend! Ich hätte lieber nicht nachforschen sollen: Graham Gouldman etwa schrieb „No Milk Today“, Stephens/Reed „There’s A Kind Of Hush“, Trevor Peacock den wunderbar originellen Song „Mrs. Brown You’ve Got A Lovely Daughter“.

Heute spaziere ich mit den fünf harmlosen Halbwüchsigen aus Manchester durch die Städte der Welt. Mein iPod hat alle ihre Hits gespeichert, in bester Stereo-Tonqualität erreichen mich die Klänge aus dem Kinderzimmer, ich komme mir vor wie auf einer konstanten Reise mit der Zeitmaschine: All over the world people just like us are fallin’ in love. Yeah, they’re fallin’ in love. Hush, they’re fallin’ in love. Hush...








Beatlemania!
50 Jahre Beatles! Wir feiern mit einem sensationellen Bildband von Fans für Fans, mit Insider-Stories, fantastischen Fan-Fotos, Dokumenten und Faksimiles.

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LangenMüller

Als sie noch live auftraten, wurden sie von ihren Fans in einem Maße verehrt, wie es keiner anderen Popgruppe je zuteil wurde. Der Kult um die vier Jungs aus Liverpool hält bis heute ununterbrochen an. Die Beatles haben die Musik revolutioniert und die Menschen begeistert. Die Beatles und ihre Fans – das ist ein seit damals andauerndes Liebesverhältnis, fast schon eine Weltanschauung. In diesem aufwändig und liebevoll gestalteten Album wird diese besondere Beziehung dokumentiert – mit vielen raren, zum Teil unveröffentlichten Fotos und Texten. Ein Buch von Fans für Fans.

Mit Texten von Horst Fascher, Lisa Fitz, Chuck Hermann, Jürgen Herrmann, Chris Howland, Klaus Kreuzeder, Gabriele Krone-Schmalz, Uschi Nerke, Abi Ofarim, Brian Parrish, Helmut Schmidt, Manfred Sexauer, Tony Sheridan, Pete York uvm.
Fotos von Bubi Heilemann, Werner Kohn, Ulrich Handl, Rainer Schwanke, Frank Seltier, Günter Zint u.a.