Volker Kaminski: Give me life! (Van der Graaf Generator)
Es sind die Jahre der gigantischen Plattensammlungen. Zu Hause in den Regalen, auf Fensterbänken, am Fußboden, überall reihen sich die grafisch ambitioniert gestalteten, meist speckig abgegriffene Kartons, in denen die pechschwarzen LPs stecken. Einige Klassenkameraden haben alles von Led Zeppelin und Deep Purple. Die anspruchsvolleren Rock- und Bluesfans beeindrucken mit Raritäten von Frank Zappa und sorgen dafür, dass wir die schrägen Riffs von Neil Young im Ohr behalten.
Zu dieser Zeit, Anfang bis Mitte der 70er Jahre, kenne ich nur eine Band, von der ich jede Platte kaufe: Van der Graaf Generator.
Die britische Rockband ist damals noch ein Geheimtipp. 1967 gegründet, hat Van der Graaf Generator in diesen Jahren bereits mehrere Alben herausgebracht. Die erste Platte, die ich kennenlerne, überwältigt mich: „Pawn Hearts“, eine LP, die völlig anders klingt als alles bisher Gehörte. Eine Art Jazzrock mit langen, ausgeklügelten Arrangements. Es gibt darin Passagen, die an eine Rockoper erinnern, und andere, die mit Elementen der englischen Klassik spielen. Schlagzeug und Spinnett geben sich die Hand. So vieles ist zu entdecken in dieser Musik, dass ich sie am liebsten ungestört, mit dem Kopfhörer in einer Sitzecke vergraben anhöre.
Es ist vor allem die Stimme des Sängers und Texters Peter Hammill, die mich süchtig macht. Wie Balsam sickert sie in mich ein. Das bin ich, das ist mein Gefühl, mein Ausdruck, der sich da Bahn bricht; unverkennbar und eindringlich ist diese Stimme und dabei doch so facettenreich. Sie hat ein raues Timbre, kann außerordentlich tief sein, doch ebenso hoch und schrill; manchmal klingt sie getragen und hymnisch, dann wieder anklagend, melancholisch, düster, doch immer scheint sie erfüllt von einer großen Kraft, einer unruhigen Sinnsuche, einer Ernsthaftigkeit, die das Pathos nicht scheut.
Dabei ist Hammills Stimme nach klassischen Maßstäben keineswegs schön. Es ist eher eine Art Heulen; die Töne werden schräg herausgepresst und am Ende jeder Zeile fällt die Stimme nach unten, so dass sie fast in einen Sprechgesang übergeht. Dieser Gestus, die Melodie gewissermaßen abzuschütteln, erinnert entfernt an Bob Dylans vernuschelt näslenden Singstil. Doch bei Hammill liegt viel mehr Zorn und Wut darin. Es ist ein Sich-Luft-Machen in allen Tonlagen, diese Stimme rüttelt auf, sie klagt an, als wollte sie eine Maske herunterreißen. Sie kann sich nicht harmonisch an die anderen Instrumente anpassen, sie erzeugt Dissonanzen und treibt die Songs energisch voran. Meistens hat Hammill dabei so viel Text zu singen, dass sich seine Stimme fast überschlägt; ein Ausdruck nervöser Ungeduld, ein zorniger Widerspruch gegen die Welt, den ich damals zutiefst verstehe.
Doch man darf neben Hammills Stimme den Sound der Band nicht vergessen! Ein Schlagzeug, das immer intelligent und variabel ist (Guy Evans), eine elektrische Orgel, die ungeheuer suggestiv klingt (Hugh Banton), ein Saxophon, das in manchen Partien herrlich weich und lyrisch sein kann (David Jackson). Zusammen mit Hammill, der selbst Klavier und Gitarre spielt, entsteht so ein eindringliches, musikalisch perfekt arrangiertes Ganzes mit hohem Wirkungsgrad.
Trotz Hammills stimmlicher Dominanz komme ich nicht auf die Idee seine Texte beim Hören mitzulesen oder zu übersetzen. Es genügt mir, dass einzelne Schlüsselwörter sich wiederholen: „masks“, „killer“, „refugees“, „lost“, „alone“. Am wichtigsten sind mir gewisse Textpassagen, Halbsätze, die sich mir beim Hören einbrennen. „…Oceans drifting sideways…“ („Pawn Hearts“); „...Shining footprints on the wet sand...“ („Still Life“); „...Always the song draws me forward…“ („The Quiet Zone/The Pleasure Dome“). Ich könnte zahllose solcher Passagen nennen, die für mich zusammen mit der Musik einen eigenen Assoziationsraum schaffen.
Es fällt mir schwer aus den zahlreichen Van-der-Graaf-Platten und Soloalben Peter Hammills einzelne LPs hervorzuheben. Neben „Pawn Hearts“ von 1972 mit dem unheimlichen 20-Minuten-Stück „A Plague of Lighthouse-Keepers“, ragen für mich jene Platten heraus, die Van der Graaf zwischen 1975 und 1977 gemacht haben. In dieser Zeit brachte die Band vier Alben heraus: „Godbluff“, „Still Life“, „World Record“, „The Quiet Zone“ waren Marksteine der Rockgeschichte. Der Rhythmus, die Melodien sind auf diesen Platten so vielfältig, von so unterschiedlichen Elementen geprägt, dass man sie einfach als perfekt bezeichnen muss. Vor allem in den schnellen Stücken herrscht ein packendes Wechselspiel zwischen Hammills chamäleonartig sich wandelnder Stimme und den musikalischen Einfällen, den rasanten Tempowechseln, mit denen die Band immer wieder aus dem monotonen Rockschema ausbricht. Es gibt polyphone Passagen aus Flöte, Orgel, Bass, selbst Geige (Graham Smith), synkopisch versetzte Rhythmen, ein längeres Stück, in dem eine verzerrte E-Gitarre und ein verzaubert tiefes Saxophon einen langen Reggae begleiten; es gibt Verfremdungseffekte mit Anklängen an spanische Folklore mit Kastagnetten im Hintergrund - mit einem Wort, es ist neben allem Pathos auch viel Ironie und Witz im Spiel, viel Experimentierfreude, doch trotz dieser Effekte bleibt der Van-der-Graaf-Stil immer gewahrt, das Vorwärtsdrängen, sich Abreagieren, der unendliche Wille sich auszudrücken und das verborgene Innere sichtbar zu machen. All das gelingt auf diesen Platten unbeschreiblich furios.
Wenn ich Van der Graaf heute wiederhöre, stellt sich sofort das Lebensgefühl jener Zeit wieder ein, die Verletztheit und Emotionalität jener Tage. Nach 1980 höre ich kaum noch Van der Graaf (die Band trennt sich 1978, und Peter Hammills weiter erscheinende Soloalben werden für mich zunehmend uninteressant), um so spannender klingt die Nachricht, dass sich Van der Graaf Generator in klassischer Besetzung vor kurzem wiedervereinigt hat. Aber wir wissen es alle: the times they are a-changin’, und es bleibt die Frage, ob diese Musik noch einmal eine ähnliche Wirkung entfalten kann wie damals in den good old 70s.
Beatlemania!

1. Auflage 2010, ca. 140 Seiten, mit über 100 Fotos, Dokumenten u. Faksimiles
ISBN: 978-3-7844-3221-2
19,95 EUR D / 20,60 EUR A / 34,50 CHF (UVP)
LangenMüller
Als sie noch live auftraten, wurden sie von ihren Fans in einem Maße verehrt, wie es keiner anderen Popgruppe je zuteil wurde. Der Kult um die vier Jungs aus Liverpool hält bis heute ununterbrochen an. Die Beatles haben die Musik revolutioniert und die Menschen begeistert. Die Beatles und ihre Fans – das ist ein seit damals andauerndes Liebesverhältnis, fast schon eine Weltanschauung. In diesem aufwändig und liebevoll gestalteten Album wird diese besondere Beziehung dokumentiert – mit vielen raren, zum Teil unveröffentlichten Fotos und Texten. Ein Buch von Fans für Fans.
Mit Texten von Horst Fascher, Lisa Fitz, Chuck Hermann, Jürgen Herrmann, Chris Howland, Klaus Kreuzeder, Gabriele Krone-Schmalz, Uschi Nerke, Abi Ofarim, Brian Parrish, Helmut Schmidt, Manfred Sexauer, Tony Sheridan, Pete York uvm.
Fotos von Bubi Heilemann, Werner Kohn, Ulrich Handl, Rainer Schwanke, Frank Seltier, Günter Zint u.a.