O. P. Zier: Freiheit in Lend (Cream)


Freiheit in Lend, dem schluchtartig-engen Industrieort im Salzburger Gebirge, in dem ich aufgewachsen bin, bedeutete für mich als 12jährigen, fasziniert mitzuerleben, wie mein älterer Ziehbruder es als Laborlehrling genoss, an Samstagen zur Mittagszeit lässig-gelangweilt aus seinem geöffneten Kabinettfenster im zweiten Stock auf die vorbeiziehenden Schülerströme hinunterzusehen, deren Geschnatter verstummte, während sie bewundernd zu ihm hinaufschauten. Er hatte sein mausgraues Stuzzi-Tonbandgerät auf volle Lautstärke gedreht und ließ das „Tell me why you cry“ von den Beatles auf die Straße schallen. Mir schien sich durch diesen befreienden Akt sogar die Enge des Tales zu weiten.

Vor dem Stuzzi hatte er sich schon im ersten Lehrjahr ein Trixi-Transistorradio gekauft, aus dem ich an einem frühen Winterabend in seinem eiskalten Kabinett erstmals Chuck Berry vernahm. „Memphis Tennessee“ lässt mich bis heute bei jedem Wiederhören an dieses Kofferradio denken, das über den damals so begehrten UKW-Empfgang verfügte, im Gegensatz zum großen alten Mittelwelle-Telefunkenradio, das bei uns in der Küche auf der Kredenz stand.
Sehr früh also verband sich mir das Gefühl von Freiheit mit Pop- und Rockmusik. Um sie hören zu können, bekam ich als 13jähriger ein gebrauchtes Röhrenradio, das nicht nur ein magisches Auge, sondern auch eine UKW-Taste hatte, die es mir erlaubte, den jungen Popsender des ORF, Ö 3, zu empfangen, was für mich bald hieß, täglich nach den 15:00 Uhr-Nachrichten die „musicbox“ der Jugendredaktion zu hören. Eine Sendung, für die mein Freund und ich im Hochsommer sogar einen Badetag am Böndlsee frühzeitig abbrachen und bei Gluthitze den langen Fußweg nach Hause antraten, einzig deshalb, weil eine ganze LP von Jimi Hendrix auf dem Programm stand. Und in dieser „musicbox“, in der auch Literatur nicht zu kurz kam, hatte ich selbst als 16jähriger Schüler, neben einem gleichfalls noch völlig unbekannten Franz Innerhofer, meinen ersten eigenen – honorierten! - Radioauftritt als Autor: Ich nahm meinen satirischen Text, eine „Retortensage“, selbst auf meinem Mono-Cassettenrecorder auf, einem mit eleganten Metalltasten ausgestatteten Gerät der Firma Philips (so mich die Erinnerung nicht trügt), das nicht aufrecht stand, sondern flach lag wie eine große Tonbandmaschine, und dessen Kunststoff lange Zeit den intensiven Geruch eines Neugeräts verströmte (in unserer Familie war man es gewohnt, Gegenstände übertragen zu erwerben). Um es mir zu kaufen, musste mein Vater als Arbeiter in der örtlichen Aluminiumfabrik das Urlaubsgeld eines ganzen Jahres opfern.

Mein altes Röhrenradio besaß natürlich keine Anschlussbuchse für den Recorder und so nahm ich – manuell aussteuernd – unermüdlich übers Mikrofon von der „Box“, wie wir unsere Lieblingssendung nannten, jene „Undergroundmusik“ auf, zu der auch Cream gerechnet wurde. Ich war begeistert von Jack Bruce, seinen Bassfiguren und dem unverwechselbaren Gesang, Eric Claptons Gitarreriffs und Ginger Bakers herausragenden Schlagzeugsoli. Ich nahm die Gruppe als Gegenpol zu jener kommerziellen Hitparadenmusik wahr, von der ich mich längst entfernt hatte, seit ich mir in jugendlicher Provokationslust die Haare schulterlang wachsen hatte lassen, als Fahrschüler ins fünfzehn Kilometer entfernt gelegene St. Johann pendelte und täglich, beflügelt von jener Gegenkultur, die mich anzog, an meinen eigenen literarischen Arbeiten schrieb.

Noch heute, Jahrzehnte später, habe ich die „musicbox“-Moderation zur Person jenes „Undergroundpoeten“ Pete Brown im Ohr, der so viele Cream-Titel textete: „Ein Mann, der aussieht wie ein aufgeblasener Toulouse-Lautrec.“

Den Gassenhauer „sunshine of your love“ hatte ich bald auf Cassette, auch „white room“ und „swlabr“, und dann gelang es mir, meinen damaligen Lieblingssong von Cream mitzuschneiden: „politician“. Er bildete den Begleitsound meines jugendlichen Aufbegehrens. Immerhin waren meine Tage erfüllt von lustvollen Provokationen und Konventionsbrüchen – allein die Haarlänge genügte damals schon, um Erwachsene zu Kommentaren herauszufordern wie: „Unterm Hitler hätte es so was nicht gegeben!“ Pädagogen operierten noch ganz selbstverständlich mit dem Führer-Diktum der „Negermusik“, mit dem sie all das ablehnten, was uns Jugendliche anzog. Das beirrte mich nicht, denn wenn ich „i feel free“ hörte, fühlte ich mich auch so!
Die so eigenständigen wie virtuosen Instrumentalisten von Cream ließen mich sinnlich erfahren, welches künstlerische Potential in der Improvisation liegt, wie sie auch zu Entwicklung und Verfeinerung meines musikalischen Geschmacks beitrugen. Und zwar keineswegs nur in Richtung der vielen Ausformungen von Rockjazz und Jazz, sondern Cream, insbesondere Jack Bruce, beförderte auch meine Öffnung gegenüber Bach und Klassik schlechthin. Wobei mir natürlich wichtig war, dass sich diese Hinwendung zu gesellschaftlich akzeptierten Musikformen vor dem Hintergrund einer klaren Protesthaltung und –kultur vollzog. Abseits jenes Spießertums, das sich mir frühzeitig mit Ereignissen wie den „Salzburger Festspielen“ und ähnlichem, von außen hauptsächlich als Kleiderschauen Wahrgenommenem, verband.

Wenn ich heute Cream höre, was ich gern tue, habe ich nicht das Gefühl, um einige Jährchen gealtert zu sein. Doch einem Schriftsteller ist es ohnehin untersagt, die Pubertät zu verlassen – aber das wäre eine andere Geschichte…


Beatlemania!
50 Jahre Beatles! Wir feiern mit einem sensationellen Bildband von Fans für Fans, mit Insider-Stories, fantastischen Fan-Fotos, Dokumenten und Faksimiles.

1. Auflage 2010, ca. 140 Seiten, mit über 100 Fotos, Dokumenten u. Faksimiles
ISBN: 978-3-7844-3221-2
19,95 EUR D / 20,60 EUR A / 34,50 CHF (UVP)
LangenMüller

Als sie noch live auftraten, wurden sie von ihren Fans in einem Maße verehrt, wie es keiner anderen Popgruppe je zuteil wurde. Der Kult um die vier Jungs aus Liverpool hält bis heute ununterbrochen an. Die Beatles haben die Musik revolutioniert und die Menschen begeistert. Die Beatles und ihre Fans – das ist ein seit damals andauerndes Liebesverhältnis, fast schon eine Weltanschauung. In diesem aufwändig und liebevoll gestalteten Album wird diese besondere Beziehung dokumentiert – mit vielen raren, zum Teil unveröffentlichten Fotos und Texten. Ein Buch von Fans für Fans.

Mit Texten von Horst Fascher, Lisa Fitz, Chuck Hermann, Jürgen Herrmann, Chris Howland, Klaus Kreuzeder, Gabriele Krone-Schmalz, Uschi Nerke, Abi Ofarim, Brian Parrish, Helmut Schmidt, Manfred Sexauer, Tony Sheridan, Pete York uvm.
Fotos von Bubi Heilemann, Werner Kohn, Ulrich Handl, Rainer Schwanke, Frank Seltier, Günter Zint u.a.