Stefanie Richter: Is it really so strange? (The Smiths)


Erst wogten wir nach rechts, dann wogten wir nach links. Jemand presste mir seinen Ellenbogen in den Nacken, ich versuchte mich am Ärmel des Vordermanns festzuhalten, dann riss mich ein Strudel in die Tiefe. Wie ein Schiffbrüchiger auf hoher See verlor ich die Orientierung, einen Moment lang wurde mir schwarz vor Augen. Ich muss die Arme hoch gerissen haben, die Ordner sahen wohl die Panik in meinem Blick. Jedenfalls zogen sie mich aus der Menge, über die Köpfe der vielleicht ein oder zwei Zuschauerreihen vor mir, in den abgesperrten Gang vor der Bühne. Nur zwei Minuten, nachdem Morrissey die Bühne betreten hatte, war das Konzert für mich gelaufen.

Den restlichen Auftritt musste ich mir von ganz hinten anschauen. Grenzenlose Enttäuschung. Monate hatte ich auf diesen Abend hingefiebert. Wir hatten sogar die letzte Schulstunde geschwänzt, um schon mittags am Docks zu sein. Vor dem Hintereingang parkte ein schwarzer Nightliner mit englischem Kennzeichen. Außer uns warteten vielleicht zehn, fünfzehn andere Fans. Jungs mit beeindruckenden Haartollen, The-Smiths-T-Shirts, Mädchen mit langstieligen Gladiolen. Ich hatte weder Blumen noch Fan-Shirts dabei, war aber genau so fest entschlossen, auszuharren, bis Morrissey sich zeigen würde. Tatsächlich öffnete sich irgendwann die Eisentür in der Kastanienallee, und er ging im Pulk seiner Band die eineinhalb Meter zum Bus. Er trug eine dickrandige Brille, die Haare toupiert, er wirkte schüchtern, schmächtig, verletzlich. Ich versuchte diesen Anblick einzusaugen, auf eine Art glücklich wie selten zuvor. Kribbeln im Bauch, zitternde Mundwinkel.


Morrissey gab keine Autogramme, er sprach auch nicht mit uns. Er lächelte nicht einmal. Nach zwei Sekunden war er wieder verschwunden, trotzdem fühlten wir uns privilegiert. Ich erinnere mich nicht mehr, wie wir anschließend die Zeit bis zum Einlass vertrödelten. Jedenfalls gehörten wir zu den ersten, die um Punkt 20 Uhr ins Docks stürzten, in den Saal rannten, um uns ganz vorne an die Absperrgitter zu krallen. Zwei Stunden später begann die furchtbare Vorband, irgend eine kurzhaarige Frau, die gnadenlos ausgebuht wurde. Dann eine weitere Ewigkeit, bis Morrissey endlich die Bühne betrat. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich seit mindestens sechs Stunden nichts mehr gegessen oder getrunken, war nicht auf der Toilette gewesen und hatte die letzten Stunden eingequetscht zwischen Hunderten Fans ausgeharrt. Dann endlich der Moment, als Morrissey zum Mikrophon griff. Und ich im Taumel der aufgepeitschten Massen unterging.

Am nächsten Morgen brachte mir eine Mitschülerin ein etwa ein Quadratzentimeter großes Stoffstück mit in den Unterricht. Ein Fetzen des roten Seidenhemdes, das Morrissey am Ende des Konzerts ausgezogen und ins Publikum geworfen hatte. Gerührt, dass sie diese Reliquie mit mir teilte, rahmte ich mir den Stoff hinter Glas ein. Ein guter Freund sagte später einmal zu mir: „Ich wünschte, ich hätte wie du schon als Teenager The Smiths gekannt. Dann wäre meine Jugend mit Sicherheit glücklicher verlaufen.“ Ich weiß genau, was er meint. Über die Musik der Schmidts, wie wir sie nannten, erschloss sich für meine Freundinnen und mich ein ganzes Universum, eine Weltanschauung, eine Haltung. Wer wäre ich heute, wenn ich damals nicht durch Zufall von der Freundin einer Nachbarin die ersten Takte eines Smiths-Songs gehört hätte? Das Mädchen hüpfte fröhlich unsere Straße hinunter und sang „I have come to wish you an unhappy birthday, cause you’re evil and you lie...“, und mein Leben bekam schlagartig eine neue Richtung. Ich kaufte mir alle Platten, stellte enttäuscht fest, dass sich die Band wenige Jahre zuvor aufgelöst hatte, nahm beglückt zur Kenntnis, dass Morrissey eine Soloplatte herausbringen würde.

Seine Texte: endlose Inspirationsquellen. Wir lasen Oscar Wilde, steckten uns Blumen in die hinteren Hosentaschen, gingen auf Friedhöfen spazieren, wir stellten uns vor, wie himmlisch es sein würde, von einem Doppeldecker-Truck überfahren zu werden. Klar aß ich nie wieder Fleisch. „I wear black on the outside, cause black is what I feel on the inside.“ Meine Freundin verliebte sich in einen Typen, der diese Zeile zum Leitspruch erhoben hatte. Natürlich war es eine unglückliche Liebe. Genau wie die Schwärmerei einer anderen Freundin für einen Musiker, auf dessen Auto „The last of the famous international playboys“ stand. Wie ich erst viel später erfuhr: Diejenigen Jungs, die mich zuhause besuchten, fühlten sich von den unzähligen Morrissey-Postern an den Wänden abgeschreckt.

Wir waren Außenseiter, und das war auch gut so, würde man heute sagen. Wir – Kinder gutbürgerlicher Familien - bevorzugten die Gesellschaft einer Gruppe aus der englischen Arbeiterstadt Manchester, einem Ort, von dem ich immer träumte, den ich aber bis heute nie besucht habe. Natürlich entdeckten wir weitere Bands: Joy Division (den Todestag von Ian Curtis trug ich jahrelang in meinen Kalender ein). Violent Femmes. The Cure. „Selbstmordmusik“ sagte ein späterer Kollege mal dazu. Aber wir waren nie unglücklich oder depressiv, wenn wir diese Musik hörten. Im Gegenteil. Das kir wurde zu unserem zweiten Zuhause. In der Gemeinschaft ähnlich Musik-Begeisterter blühten wir jedes Wochenende auf. Jeder Gang zur Tanzfläche glich einem ideologischen Statement: Zu „Panic“ zielstrebig in die Mitte schieben, mit den Händen fuchteln, Schritte vor und zurück machen, bei „Message in a bottle“ angewidert das Weite suchen. Wir verachteten: Barfußtänzer, Jeansjackenträger, Reggae. Hip Hop ging irgendwie komplett an uns vorbei. Manchmal reichte es aus, dass jemand The Smiths mochte, um sich für ein Leben lang anzufreunden.

Beatlemania!
50 Jahre Beatles! Wir feiern mit einem sensationellen Bildband von Fans für Fans, mit Insider-Stories, fantastischen Fan-Fotos, Dokumenten und Faksimiles.

1. Auflage 2010, ca. 140 Seiten, mit über 100 Fotos, Dokumenten u. Faksimiles
ISBN: 978-3-7844-3221-2
19,95 EUR D / 20,60 EUR A / 34,50 CHF (UVP)
LangenMüller

Als sie noch live auftraten, wurden sie von ihren Fans in einem Maße verehrt, wie es keiner anderen Popgruppe je zuteil wurde. Der Kult um die vier Jungs aus Liverpool hält bis heute ununterbrochen an. Die Beatles haben die Musik revolutioniert und die Menschen begeistert. Die Beatles und ihre Fans – das ist ein seit damals andauerndes Liebesverhältnis, fast schon eine Weltanschauung. In diesem aufwändig und liebevoll gestalteten Album wird diese besondere Beziehung dokumentiert – mit vielen raren, zum Teil unveröffentlichten Fotos und Texten. Ein Buch von Fans für Fans.

Mit Texten von Horst Fascher, Lisa Fitz, Chuck Hermann, Jürgen Herrmann, Chris Howland, Klaus Kreuzeder, Gabriele Krone-Schmalz, Uschi Nerke, Abi Ofarim, Brian Parrish, Helmut Schmidt, Manfred Sexauer, Tony Sheridan, Pete York uvm.
Fotos von Bubi Heilemann, Werner Kohn, Ulrich Handl, Rainer Schwanke, Frank Seltier, Günter Zint u.a.