Matthias Mala: Scully (Grateful Dead)


Eigentlich müsste die Halle zum Platzen gefüllt sein. Müsste? Mann, in welcher Zeit lebst du? Es ist 1981! Grateful Dead, das ist kalter Kaffee, und du säufst ihn. Nicht mal die Arena ist richtig gefüllt, aber wenigstens ist es die Olympiahalle und nicht der halbleere Circus Krone, in dem du im Jahr zuvor bei Uriah Heep Panik geschoben hattest. Das war echt schlimm. Es war April und kalt im Krone. Du hattest dich rechts außen vier Reihen von der Bühne weg in einem Klappstuhl verkrochen und gebetet, dass bald Schluss sei.

Du musstest dort hin, so wie du jetzt zu Grateful Dead musstest. Doch jetzt kannst du dich bewegen, kannst übers Parkett durch die Menge hindurchgehen, tust dies sogar mit Lust, aufrecht, siehst in die Gesichter, lächelst. Du bist wieder da, bist einer von den vielen Wenigen, die hier sind. Das Licht geht aus. Die Deads kommen auf die Bühne und spielen sofort los. Jack Straw, wenn du der Aufzeichnung glauben darfst, die du Jahrzehnte später aus dem Internet ziehen wirst, um dich noch einmal einfangen zu lassen. Halb vergeblich. Doch jetzt standst du zwischen den Menschen, hattest dich, als der Spot anging, gerade umgedreht. Eine Bühne ohne Firlefanz, die Deads in Jeans und T-Shirt, als kämen sie gerade in die Garage, um noch ein bisschen zu klimpern. We can share the women, we can share the wine. Nein, du teilst beides nicht mehr, deine Freundin sowie nicht. Hattest du noch nie gemacht. Und Wein trinkst du schon seit zwei Jahren nicht mehr.

Du bist kein echter Deadhead mehr, warst nie einer, selbst als du meintest, dass du einer wärest. Damals ´68 im Ringstüberl, als du das erste Mal Grateful Dead hörtest. Micha hatte die Scheibe dabei. Hat die Led Zeppelins von Paul gekillt, der Tonabnehmer kratzte übers Vinyl, und Paul stürzte aus der Küche, wollte einen Aufstand machen und dann We Leave The Castle. Es war wie wenn ein Trip zündete. Er richtete seinen Blick zur Decke, schaukelte und kreiselte in die Küche zurück. Wir alle schaukelten und starrten zur Decke. Ein paar Takte war es still, nur die Grateful Deads. Es war ein Zauber. So ein Zauber wie jetzt in dieser Oktobernacht, dreizehn Jahre später. Es ist gemütlich warm in der Halle. Jerry Garcia ist grau geworden. Er setzt die Lesebrille auf die Nase, dreht am Verstärker, dann an der Gitarre. Mann, das sind die Deads. Du hast überlebt, kannst sie jetzt live erleben. Damals wie heute wurden Joints angesteckt. Einst qualmtest du mit, heute beginnst du am Rand der Arena zu kreiseln. Tanzt auf der Radbahn. Es dreht dich in die Steilkurve, du drückst dich wieder ab. Die Gitarre, das Schlagzeug, dann der Bass, ja Candyman, du juchzt mit auf und tanzt weiter. Das ist der Rausch, den du so lange vergeblich suchtest. Rhythmus sein, Melodie werden. Mit den Deads abfeiern. Endlich.

Da taucht Scully auf. Er steckte wohl irgendwo in der Menge, jetzt dreht er auf, kreist mit dir in der Steilkurve. Er erkennt dich, winkt Peace mit seinen Stummelärmchen. 1978 tauchte Scully das erste Mal vorm Ringstüberl auf. Wir standen vor dem Schallschutzfenster und bestaunten das Loch, das tags zuvor die Drogenfahnder hineingeschossen hatten. Ein Schuss zum Auftakt der Razzia. Die Dealer warfen ihren ganzen Stoff auf die Straße. Wir filzten den Rinnstein nach einem Piece oder Briefchen, dass die Polizei beim Einsammeln womöglich übersehen hatte. Doch da war nichts mehr. Scully zog dann mit in den Englischen Garten, wo wir Pott rauchten und zum Reggae einiger Hänflinge in der Wiese hockend hin und her wippten. Scully, so nannte er sich selbst nach dem Manager der Band, war ein Conterganopfer. Von Kindesbeinen an war er ein Deadhead, er hatte die Deads mit der Muttermilch eingezogen. Seine Mutter flog einmal im Jahr in die Staaten zu Konzerten der Deads. Er kannte alle ihre Songs, und er sang sie so gut, dass du vollgekifft die Instrumente gar nicht vermisstest. Der Hit aber war, er hatte sie alle selbst übersetzt ins Bayerische und sang sie auch so. Endlich verstandst du die Texte und fandst von da an die Deads noch riesiger. Das war wenige Tage, bevor du wegen einer Überdosis ins Koma fielst. Jerry Garcia würde acht Jahre später das gleiche geschehen.

Doch jetzt bist du wieder da, drogenfrei seit zwei Jahren, und die Haschischschwaden in der Halle machen dich nicht an. Es ist allein die Musik, die dich hochhebt und auf eine phantastische Reise schickt. Bill lässt ein Schlagzeugsolo los. Scully zuckt dazu, seine Hände flattern an seiner Schulter, dann sinkt er zu Boden und kippt um. Er ist fertig. Er wird den Rest des Konzerts umnachtet in der Kurve kauern, gebettet in das Geplauder von Gitarre, Bass, Keyboard und Schlagzeug. Not Fade Away, sie drehen sich so schön langsam hinein, spielen mit dem Thema, umkreisen sich, tönen um einen Ton, dehnen ihn und ziehen weiter. Ach ja, der Tod hat alle Zeit der Welt.

Dann fällt dir der Abend mit Scully im Englischen Garten ein und du singst auf bayerisch mit: I mecht dia song wos passiert, du wiast mi meng, wiast mi meng. Mei Liab is gräßa ois a Caddilac …. Du tankst dich voll mit Rhythmus, mit jazzigen Arabesken und straightem Blues; dann, die letzte Zugabe, der U.S. Blues, ist verklungen, funzelt käsiges Licht auf. Du fliehst der Ernüchterung, wirfst noch einen Blick auf Scully, der wie tot an der Bande liegt, und schwebst hinaus in die Nacht. Du wirst ihn nicht mehr wiedersehen. Wirst in anderen Sphären schweben als er. Irgendwann wirst du hören, er sei Jahre später am gleichen Tag wie Jerry gestorben, und du wirst dann sagen: Ja, er war ein echter Deadhead.

Ich aber habe das alles eigentlich längst vergessen.

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LangenMüller

Als sie noch live auftraten, wurden sie von ihren Fans in einem Maße verehrt, wie es keiner anderen Popgruppe je zuteil wurde. Der Kult um die vier Jungs aus Liverpool hält bis heute ununterbrochen an. Die Beatles haben die Musik revolutioniert und die Menschen begeistert. Die Beatles und ihre Fans – das ist ein seit damals andauerndes Liebesverhältnis, fast schon eine Weltanschauung. In diesem aufwändig und liebevoll gestalteten Album wird diese besondere Beziehung dokumentiert – mit vielen raren, zum Teil unveröffentlichten Fotos und Texten. Ein Buch von Fans für Fans.

Mit Texten von Horst Fascher, Lisa Fitz, Chuck Hermann, Jürgen Herrmann, Chris Howland, Klaus Kreuzeder, Gabriele Krone-Schmalz, Uschi Nerke, Abi Ofarim, Brian Parrish, Helmut Schmidt, Manfred Sexauer, Tony Sheridan, Pete York uvm.
Fotos von Bubi Heilemann, Werner Kohn, Ulrich Handl, Rainer Schwanke, Frank Seltier, Günter Zint u.a.