Roland Koch: Canned-Heat-Blues


No place to go. Er sitzt im Keller auf dem Fußboden, wo der Thorens-Plattenspieler seiner Frau steht und spielt seiner Tochter alte Platten vor. Der Raum war früher ein Zimmer für Au-pair-Mädchen, dunkel, feucht, mit einem Fenster auf eine Wand, einem Heizkörper und eigenem Eingang. Er spürt, daß er Musik hört, aber er denkt an etwas anderes. Er nimmt einen hohen Gesang wahr. Der Raum wäre zu klein für einen Partykeller. Die Musik ist zu Ende, und sie gehen nach oben. Er sammelt Material.

An was denkt er? Was haben sie da gehört? Wie lange her das ist, wie vergänglich? War diese Musik nicht schon vergangen, als sie gespielt wurde, im flüchtigen, ätherischen Sinne, spricht sie nicht davon, daß alles vergeht und sich verändert, mit dem beinahe sägenden oder feilenden Ton, dem drive, und wieder ist man auf der Straße, wieder geht man den Weg, wieder wird man kein Ziel haben.

Er geht in den Keller. Er betrachtet das orangebunte Cover. Er hört die alte Platte noch einmal. Was ist der Blues, und woher kommt er? War das der Blues, gesungen von einer hohen Engelsstimme, einer Stimme, die nicht mehr auf der Erde zu leben schien? Die schon mehr gesehen hatte als er? „On the Road Again“ und „Goin‘ Up the Country“, wie ein Himmelsinstrument schwingt da etwas hinweg in eine andere Welt. Eine Stimme wie aus dem Mozart-Requiem.

Der Sänger muß ein Kind sein, ein Kind, das Inbrunst empfindet, herrliche Gefühle, solche, die man später nie mehr haben kann. Doch, man kann sie haben, man muß nur den Blues spüren.

Die Flöte, sie lenkt ab vom Blues, sie verführt, zu glauben, alles sei ganz einfach, die Straße eben, und man brauche sie nur zu gehen. Auch das Ankommen sei einfach.

Don’t you cry no more. Der Blues ist tief. Aber dieser Blues ist hoch, er erzählt nicht vom Stehenbleiben, von der Sklaverei, von der Unterdrückung, er tut so, als sei die Freiheit schon da, die Liebe, als brauche man nur zu ernten. Es ist ein neuer Blues, der Blues von 1968. Der Sänger Alan Wilson kennt ihn.

My dear mother left me when I was quite young. So als habe er diese Musik doch als Kind gekannt, als kleines Kind, viel früher, als sei sie immer schon da gewesen. Er hätte sie damals hören können, die Erzählung von der Freiheit, dabei hätte er vielleicht geweint.

Gotta get goin‘. Er sieht sich selbst 1968, oder war es 1969. Ein schüchterner, dünner Junge, der nicht fußballspielt, seine ganze Furcht ist der alte Nazi-Lehrer, der sie mißhandelt, schlägt und demütigt. Er weiß nicht, daß die Welt nicht so sein muß. Ein paar Jahr später kommt ein Lehrer und spielt ihnen Franz-Josef Degenhardt vor, aber noch ahnt er nichts von Hoffnung. Noch haben sie hohe Stimmen.

I’ve been dogged around. Später war dann seine Musik der schwarze, erdige, gestopfte Blues, Jimmie Rushing, Lester Young, der immer dabei ist, sich von den Wurzeln zu entfernen, linear, fremd zu klingen. Erst viel später hört er Canned Heat, und er erkennt den Blues sofort, auch wenn er gar nicht mehr von der Erde erzählt.

Wie durchsichtig diese Musik ist. Sie läßt in weiter Ferne etwas sehen, etwas Schönes, Friedliches. Wie genau sie es erkennen läßt. Wie durchsichtig man selbst werden kann, wenn man sie hört. Wie nah man diesem weit Entfernten kommen kann. Dann ist das Stück zu Ende.

Er hat beinahe Angst, das Stück könne umkippen, das reine klare Singen könne brechen oder versiegen, oder sich als etwas Falsches entpuppen. Die Helligkeit soll andauern, möglichst nie mehr enden.

Die Stimme singt wie jemand, der uns erzählt, das paradiesische Leben beginne hier und jetzt, aber der es selbst nicht mehr teilen kann.

Where I’ve never been before. Er interviewt junge Autoren, die das Ende der DDR als Kinder oder Jugendliche erlebt haben. Er fühlt sich in ihren Kindheiten zu Hause. Er hört die Musik von Canned Heat, die ein Paradies verspricht. Wo das Wasser wie Wein schmeckt. You can jump in the water and stay drunk all the time.

Die Stimme des Sängers erinnert ihn an einen Mitschüler. Einer der ersten, die lange Haar trugen, Mittelscheitel, Boots, enge Röhrenhosen. Er war pummelig, schüttelte immer die Haarsträhnen aus dem Gesicht und wurde Clara genannt. Bei ihm den ersten Blues gehört? Sein älterer Bruder besaß ein Tonband. Er fuhr jahrelang mit dem Jungen im Bus. Was hat er mit ihm geredet? Was von ihm behalten? Mit sechzehn wurde er in Frankreich von einem LKW überfahren.

Träume, beim Hören von Canned Heat. Man wird nicht bestraft, man darf so sein. Man dürfte wie ein Kind sein.

I ain’t got no woman just to call my special friend. Ein Mädchen, das er immer nur in der Straßenbahn sah, wenn er aus der Schule kam. Er rannte, um diese Bahn zu bekommen. Sie stieg in den Anhänger ein, er dachte an niemand anderes. Er wäre gern mit ihr in dem Straßenbahnwagen weit weg gefahren, er wollte sie für sich allein haben. On the road again. Er hat nie mit ihr gesprochen.

Die beiden Stücke enden verschwimmend, verdunstend, wie Nebel, der nach oben aufsteigt. Er hört ihnen nach.

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LangenMüller

Als sie noch live auftraten, wurden sie von ihren Fans in einem Maße verehrt, wie es keiner anderen Popgruppe je zuteil wurde. Der Kult um die vier Jungs aus Liverpool hält bis heute ununterbrochen an. Die Beatles haben die Musik revolutioniert und die Menschen begeistert. Die Beatles und ihre Fans – das ist ein seit damals andauerndes Liebesverhältnis, fast schon eine Weltanschauung. In diesem aufwändig und liebevoll gestalteten Album wird diese besondere Beziehung dokumentiert – mit vielen raren, zum Teil unveröffentlichten Fotos und Texten. Ein Buch von Fans für Fans.

Mit Texten von Horst Fascher, Lisa Fitz, Chuck Hermann, Jürgen Herrmann, Chris Howland, Klaus Kreuzeder, Gabriele Krone-Schmalz, Uschi Nerke, Abi Ofarim, Brian Parrish, Helmut Schmidt, Manfred Sexauer, Tony Sheridan, Pete York uvm.
Fotos von Bubi Heilemann, Werner Kohn, Ulrich Handl, Rainer Schwanke, Frank Seltier, Günter Zint u.a.