Maike Wetzel RICKIE LEE JONES HAT DIE NASE VOLL
Rickie Lee Jones hat die Nase voll. Es ist nicht zu überhören. Sie näselt. Polypen, vermute ich. Gutartige Wucherungen der Nasenschleimhaut. Verursacht durch Dauerschnupfen. Ich kenne das. Den Druck im Kopf. Den dickflüssigen, gelben Schleim. Das Gefühl, jemand schnüre das Eisenband um den Schädel enger. Vielleicht höre ich Rickie Lee Jones deshalb so gern. Weil ihre Stimme sich anhört, als klammerten sich viele kleine, weiße Tintenfische an ihre oberen Atemwege. So stellte ich mir jahrelang Polypen vor. Meerestiere. Mit ihren Saugnäpfen fest verankert im Inneren meines Schädels. Ängstlich schielen sie zum Ausgang, dorthin, wo das Skalpell eindringen wird. Rickie Lee Jones klingt, als könnte sie nachfühlen, was chronische Sinusitis bedeutet. Vielleicht besitze ich ihre Alben, weil Leiden verbindet? Jahrelang sparte ich mir die rote Gumminase zu Fasching – ich trug sie bereits passgenau und zwar zu jeder Jahreszeit. In Deutschland freuen sich die Gastgeber, wenn die Gäste trotz eines Schnupfens zu ihren Einladungen erscheinen. In Los Angeles gilt es als menschenfeindlich, sich erkältet in Gesellschaft zu begeben. Benutzte Taschentücher werden als scharfe Bomben betrachtet. Als Angriff auf das höchste Gut. Die Gesundheit. Bei einem Abendessen in Los Angeles wandte meine amerikanische Tischnachbarin mir hartnäckig den Rücken zu. Sie unterhielt sich pausenlos mit jemandem auf der anderen Seite des Tisches. Erst viel später begriff ich, wieso. Mein Arsenal an Taschentüchern, die rot verquollene Nase – sie fürchtete meine Erreger. Selbst die dezente Frage, ob ich an einer Allergie leide, verstand ich damals nicht. Eine Allergie hätte mich entschuldigt.
Rickie Lee Jones wohnte lang in Los Angeles. Wenn sie so oft erkältet war, wie ich vermute, lebte sie sehr zurückgezogen. Im wilden Topanga Canyon oder hinter den Santa Monica Mountains, am Meer, könnte ich mir vorstellen. So wie die alt gewordenen Blumenkinder dort trägt sie bis heute die ewig gleiche Hippiefrisur. Lang und glatt, mit Pony. Beständig, aber keineswegs altmodisch ist sie auch in ihrem musikalischen Schaffen. Mit Chuck E´s in Love hatte sie 1979 ihren ersten und einzigen internationalen Hit, gleich zu Beginn ihrer Karriere. Ich ging damals noch in den Kindergarten. So bekannt wie dieses Lied wurde keiner ihrer anderen Songs. Was nur beweist wie einzigartig und unabhängig Rickie Lee Jones produziert. Eine treue Fangemeinde folgt ihr seit den Siebzigern auf jedem ihrer eigenwilligen musikalischen Wege. Ich besitze fast alle ihre Alben.
Damals, in den Siebzigern, lebte Rickie Lee Jones eine Weile mit Tom Waits zusammen. Der Hinweis auf diese längst vergangene Liebe fehlt in fast keinem Text über sie. Unwillkürlich wird sie so als „Offspring“ des bekannteren Waits gehandelt. Ehrlich gesagt, greife auch ich immer wieder auf Waits zurück, um Leuten, die Rickie Lee Jones noch nicht kennen, auf die Sprünge zu helfen. Dabei habe ich keine besondere Schwäche für Waits, für Jones allerdings schon. Der New Yorker Journalist Hilton Als beschrieb die ersten Auftritte von Rickie Lee Jones als Revolution: „So etwas wie Jones hatten wir noch nie gesehen: eine funky Ausreißerin, der es gelungen war, ihre Unschuld zu bewahren, selbst als sie - wie sie es nannte- ´on the jazz side of life` lebte.“ Mit zerschlissenen Stilettos, einem Barett auf dem Kopf und dem Gitarrenband über der Schulter trat sie damals auf. Heute nennt die Sängerin Emmylou Harris sie als eine ihrer besten Kolleginnen auf der persönlichen Playlist in der New York Times: „Rickie Lee Jones hat mich von Anfang an fasziniert. Egal, was sie macht – ich werde es mir anhören. Sie ist so furchtlos und ohne jede Verlegenheit. Ich liebe es, wenn sie wunderbare Harmonien mit sich selbst produziert, die wie Hörner klingen. Dieses Album (The Sermon on Exposition Boulevard) besitzt nicht das Verträumte dessen, was sie normalerweise macht; das meiste davon konzentriert sich auf die Gitarre. Sie hat eine rauchige Saxophon-Stimme, aber sie klingt auch wie ein kleines Mädchen und sie erzählt von sehr dunklen Dingen. Diese Mischung finde ich unwiderstehlich. Sie ist eine unserer originellsten Künstlerinnen.“
Es sind wohl nicht nur die Polypen an meiner Begeisterung für Rickie Lee Jones schuld. Denn genau genommen besaß ich die Wucherungen schon nicht mehr, als ich zum ersten Mal ein Album von Rickie Lee Jones hörte. 1997 drückte ein Bekannter mir ein Album in die Hand, dessen Titel der pure Hohn ist: Pop Pop heißt das 1991 erschienen Album von Rickie Lee Jones mit sparsam instrumentierten Balladen. Diese näselnde, kleine, aber starke Stimme, der flüsternd-zarte Vortrag, die lyrischen Texte, die zwischen R & B, Folk, Jazz und Spoken Word-Performance schwebenden Melodien hatten es mir sofort angetan. Die Polypen aber hatte ich mir bereits 1995 entfernen lassen. Und Rickie Lee Jones? Ich kann nur hoffen, dass die Krankheit, von der sie auf ihrer Website vor kurzem berichtete, weder ein Dauerschnupfen noch etwas Ernsteres war. Lang soll sie leben - und weiter nuscheln.
Beatlemania!

1. Auflage 2010, ca. 140 Seiten, mit über 100 Fotos, Dokumenten u. Faksimiles
ISBN: 978-3-7844-3221-2
19,95 EUR D / 20,60 EUR A / 34,50 CHF (UVP)
LangenMüller
Als sie noch live auftraten, wurden sie von ihren Fans in einem Maße verehrt, wie es keiner anderen Popgruppe je zuteil wurde. Der Kult um die vier Jungs aus Liverpool hält bis heute ununterbrochen an. Die Beatles haben die Musik revolutioniert und die Menschen begeistert. Die Beatles und ihre Fans – das ist ein seit damals andauerndes Liebesverhältnis, fast schon eine Weltanschauung. In diesem aufwändig und liebevoll gestalteten Album wird diese besondere Beziehung dokumentiert – mit vielen raren, zum Teil unveröffentlichten Fotos und Texten. Ein Buch von Fans für Fans.
Mit Texten von Horst Fascher, Lisa Fitz, Chuck Hermann, Jürgen Herrmann, Chris Howland, Klaus Kreuzeder, Gabriele Krone-Schmalz, Uschi Nerke, Abi Ofarim, Brian Parrish, Helmut Schmidt, Manfred Sexauer, Tony Sheridan, Pete York uvm.
Fotos von Bubi Heilemann, Werner Kohn, Ulrich Handl, Rainer Schwanke, Frank Seltier, Günter Zint u.a.