Peter Wawerzinek: Wichtig sind Tage, die unbekannt sind (Brigada S)
Wichtig sind Rhythmen mit Augen
viele tage gabs / zu verlieren die kräfte / zu verlieren den atem / viele augenblicke / taten tun mir leid / da blieb nichts zurück / die erfahrung nur / die erfahrung nur / wichtig sind tage die unbekannt sind / die sind wichtig / wichtig der augenblick / in dem wir uns dann entscheiden
Pogo:Pomp:Purzel:Baum
Den Punk habe ich „Matthias“ BADER Holst zu verdanken. Ver-punken. Ich habe vorher keine Musik gemacht. Ich hatte vorher keinen Geschmack. Ich verliere weiter meinen Musikverstand. Wenn mir danach ist, höre ich Brigada S oder ich höre Tonaufnahmen von Baader.
Vor den Bands sterben ihre Texter
Was vor zwanzig Jahren mein Freund war, liest sich im Internet wie folgt: Matthias BAADER Holst (eigentlich: Matthias Holst) (*1962 in Quedlinburg; † 30. Juni 1990 in Berlin) war ein deutscher Schriftsteller. Er legte sich nach Andreas Baader und dem Berliner Dadaisten Johannes Baader den Namen BAADER zu, den er stets in Versalien schrieb.
In Halle absolvierte Holst, Sohn eines Englisch-Dozenten an der jetzigen Hochschule Merseburg (FH) und einer Verwaltungsleiterin am dortigen Sport-Institut, eine Lehre als Bauarbeiter, nachdem er die Erweiterte Oberschule verlassen hatte. Später wurde er Bibliothekar. Ab 1984 hielt er Lesungen und Aktionen mit Peter Winzer und Heiko Beige ab. 1988 folgte der Umzug nach Berlin und ab dann nahm er an künstlerischen Aktionen mit Peter Wawerzinek teil. Nebenher agierte er als Sänger und Texter in den Musikgruppen "Die letzten Recken" und "Frigitte Hodenhorst Mundschenk".
Holst wurde am 23. Juni 1990 an der Ecke Oranienburger Straße - Friedrichstraße in Berlin von einer Straßenbahn angefahren und erlag eine Woche später seinen Verletzungen.
kannte einen mann / der ließ haus und hof / einfach hinter sich / der verlor die lust / seinen guten ruf / hab und gut, nichts blieb / die erfahrung nur / die erfahrung nur
Leben:Fracht:Luft.Zug:
Ich bin mit Baaders Tod umtriebig. Ich sage, Baaders Tod sieht mich haltloser geworden, entwurzelt wohl auch. Ich beginne um Baader zu trauern. Ich trinke den Kummer tot. Ich kann nicht wie Baader den Kummer aussitzen und Zeichnungen anfertigen. Es ist keine Schande. Mir ist die linke oder rechte Seite, mir ist ein Arm oder ein Bein mit dem Fortgang des Freundes abgesäbelt worden. Es klingt so pathetisch und übertrieben wie es nur klingen mag: Mit Baaders Ableben sterbe ich von Tag zu Tag ein Stück schneller und erwache jeden Morgen ein wenig mehr gestorben als in den Zeiten mit Baader zur Seite.
Ohne Baader ist außer mir selbst so vielen von uns, die wir Baader mochten, von Baader in den Baaderbann gezogen wurden, etwas gestorben, das mit dem Toten nicht weiter stirbt. Bleiben also nur die Bruchteile Baader, die jeder in sich zu tragen hat. Ich trage in mir Baaderbruch. Der ist nicht mausetot mit seinem Tod.
Tag:Tod:Tod:Nachricht
Für mich trifft zu, daß ich im Moment der Todesnachricht nicht schockartig reagiere. Ich bleibe, wenn man es so sehen will, cool. Äußerlich ist mir in nichts die Trauer anzumerken. Im Gegenteil. Ich erhebe mich. Ich schreite an mein Regal. Ich ziehe eine Schallplatte hervor. Brigada S. S wie Sonderfall wie Schlußstrich Sollsosein. Ich nehme die Platte aus ihrer Einkaufstüte. Die Platten damals waren noch nicht eingeschweißt. Der Käufer konnte sich die Platte vor dem Erwerb noch Liebschauen, wie wir dazu sagten. Wenn das Geld nicht reichte, steckte man die Platte seufzend zurück, streichelte zart über das Cover, die äußere Hülle und tat sie schweren Herzens in den Sammelstapel zurück.
Bandbeschreibung: Bei Brigada S handelt es sich um eine Musik einer Band, die zwischen Liebe als Droge und russisch klingenden Moll überm Feuer kippelt; geschürt mit modernen Dissonanzen, eingängig und knackig. Alles gut vorgekeimt auf der Kunstschule aller Kunstbrutöfen; der Lipyetski Regionalen Akademie Schöner Künste; 300 Meilen von Moskau entfernt, nur eben nicht weit genug, um dem Weltruhm abzusagen. Wenn auch nicht lange und schon gar nicht für die Ewigkeit; oder anders ausgedrückt: Die Band ist schon ein Grenzfall. Die Musik psychotisch-grinsend. Lebensbedenklich. Die Texte kleine, fiese Raubüberfälle. Es heißt ferner, der Sänger könne wenn er nur wolle, sein Gesicht um 366 Grad verdrehen und würde trotz allem über die Bühne wanken wie ein betrunkener Seemann. Im Grunde sänge er ja auch nichts anders, als daß er für die Blendung als Kissen Nadeln bräuchte. Kurzum: vor dem Zubettgehen, wird versichert, sänge jedes Bandmitglied die erste Strophe von: Ich bin aus meinem Kopf! In welcher Übersetzung geträumt wird, wird noch ermittelt. Solange muß die Combo als Hinweise auf Spannungen zwischen den Generationen gelten und sollte sich gut für Liebhaber der Ost-Nord-Süd-West-Selbst-Täuschungen eignen. Aber Vorsicht: UN-mittelbar nach dem Aufstehen fordern die Russen ihren Fanantikern (kurz:Fans) ab, selbst zu denken. Man kann diesen Anspruch ironisch, sarkastisch nehmen, sollte jedoch besser brav der Meinung bleiben, Brigada S bräche mit überholten Überzeugungen, überwände mit eistrockenem Humor kulturelle Barrieren. Das Gegenteil hilft wie nur allzuoft überhaupt nicht weiter.
SideA:SideB:
Den Deckel meines Plattenspielers klappe ich auf. Ich entnehme die Platte ihrer Hülle. Ich betrachte sie in diesem Augenblick mit den Augen Baaders. Blicke sie an, wie er sie angeschaut haben würde, wenn es zu dem gekommen wäre, was ich mit der Platte und ihm vorgehabt hatte. Die Platte Baader schenken. Weil er so viel und eindrücklich von dieser Gruppe, ihren russischen Punkrhythmen geschwärmt hat.
Delon:pa:Rusky:
Alain Delon weiß ich noch als einen Refrain von Brigada S. Delon, singen die Russen, hat niemals russisch gesprochen: Alain Delon gawaritch never po rusky oder so. Baader hat für mich zu dem Lied den Russen gemacht. Da kannte ich die Gruppe noch nicht. Zum Glück hat Baader mir das Liedchen der Gruppe betreffs Delon oft genug aus dem Stand vorgesungen, daß mir Brigada S nunmehr bekannt gemacht worden ist. Die Faust geballt, den gesamten Oberkörper wie ein Körperstucken zum Gesang wippend, hat Baader Luftgitarre dazu gespielt und mir die Melodien also brüderlich vertraut gemacht.
Die Platte dreht sich auf meinem, nicht auf Baaders Plattenteller. Ich setze für den Toten die Nadel in die Spur. Die Nadel dudelt in meinem Zimmer ihre Töne. Aus den Boxen donnert und quietscht Brigada S.
Die Freundin des Bekannten, der mit die Todesnachricht überbringt, weiß ich wieder. Sie ist schön, schlank, schwarzhaarig, gut aussehend und von mir entsetzt. Negativ überrascht würde ich sagen. Sie ist angewidert, müßte es heißen. Sie ist an meinem unglaublichen Tun nicht nur nicht interessiert, sondern außer sich. Sprich: Erst ist ihr Brigada S egal. Dann ist sie erbost. Danach ist sie nur noch dagegen, will dem Trauer-Akt nicht weiter beiwohnen. Am liebsten würde sie die Platte hernehmen und übers Knie zerbrechen.
Pogo wird das heute nicht mehr genannt. Ist aber Pogo. Kann im Sitzen genauso gut ausgeführt werden wir im liegen und stehen, fliegen und gehen.
wie kann ich ergründen / die dinge die ich nicht kenne / die gedanken ordnen / die für die ich brenne / wie kann ich das herz / trennen vom verstand / wie mein keines häuschen baun auf großen land / wie kann ich die wahrheit / trennen von betrug / suche eine antwort / zeit hast du genug / wichtig sind tage die unbekannt sind / die sind wichtig / wichtig der augenblick / in dem wir uns dann entscheiden
Frage:Bogen:Rund.Umschlag:
Wie kann ein Freund nur in einem solchen Moment so handeln? Ein Mensch noch dazu, der eben erfährt, daß sein Freund und Kompagnon soeben totgegangen ist wie der Kuhbauer zum Kalb auf dem Mist sagt. Immerhin. Baader war mein literarischer Kumpel. Ein Mittäter dieser Welt. Und ist vor der Zeit gestorben, für immer, dieser Welt enthoben. Wie kann ich als Hinterbliebener, in ihren Augen, mir itze eine dröhnende Schallplatte auflegen, die Beine gekreuzt am Boden sitzen, den Oberkörper wie Baader stucken lassen, Pogo werden wie man es damals nannte und Pogo vollführen? Die Anwesenden um mich vergessend, die wie die Freundin des Bekannten, unfaßbaren Schmerz sichtbar gemacht erleben wollen.
Dem Tod des teuren Toten gegenüber bewahre ich mich, halte mich schadlos, benehme mich angemessen. Für die Freundin des Bekannten, die Baader und mich nie zusammen erlebt hat, verhalte ich mich ungenierlich. Sie will hinschmelzen, sich in Gram auflösen. Sie will, daß der Moment allen Beteiligten als eine gemeinsame Erinnerung im Herzen stecken bleibt.
Die letzte große weinende Gemeinsamkeit. Der dreiperson(n)ige letzte gemeinsame Nenner. Ein Akt von Baaderbekenntnis wie Bekennen zum Leben.
Alles:bleibt:Pogo:
Die Freundin will erklärt bekommen. Der Bekannte bedeutet mir gegenüber, nicht zu verstehen. Wo bleibt da das Mitgefühl? Eine sanfte Handbewegung des Bekannten in meinem Rücken ignorierend, weist die Freundin sich an, mit mir Geduld zu üben. Sie möge besser abwarten wie er. Man werde sehen, ob nur ein Anfall vorliege und wie sich die Dinge entwickeln werden. Man dürfe von einem Schock bei mir ausgehen. Aber ich bin nicht geschockt. Schließlich sind doch alle Menschen zuerst Menschen und reagieren geschockt zu allererst menschlich. Angesichts des Todes sind bei eben gehabter Übermittlung der Todesnachricht, die all zu menschlichen Reaktionen stets die ersten, besten Reaktionen des Menschen auf die schlimme Nachricht. Und Reaktionen auf die Todesnachricht können so unterschiedlich sein. Jeder Mensch reagiert wie nie gedacht. Und doch sind die Trauerden insgesamt voneinander nicht zu unterschiedlicher, wie individuell und unterschiedlich sie ihre Emotion auch ausleben. Beim Gang hinterm Sarg sehen sie alle gleichtraurig aus. Erst recht wenn es kalt ist, Schnee fällt und rauhe Winde wehen. Aber dann schallt der zweite Song genauso hohnlachend aus den auf laut gedrehten Boxen. Lautstarke Klänge. Wilde Musik erfüllt den Raum. Wo Trauer und Stille verlangt werden. Ein unhaltbarer Zustand insgesamt für die Freundin des Bekannten, als der dritte Titel dudelt. Ich bin plötzlich hellsichtig geworden. Ich weiß, was zu tun ist. Der Plattenspieler als ein nichtmenschlicher Gebrauchsgegenstand weiß, was von ihm erwartet wird. Er spürt und fühlt als Gegenstand mehr als die Tussi von Freundin des Bekannten an Gefühl einbringt. Anstatt sich zu mir auf den Boden zu setzen und beim Stucken von Rhythmik mitzuarbeiten, besteht sie in der Situation auf sich und ihre Flucht aus dem Raum. Überhebt sich wie der Todesadler über mich und meiner Trauer. Ist eine schwarze Hexe mit breiten Schwingen. Ich unternehme nichts anderes als Pogo im Sitzen. Ich bin, also bleibe ich stumm.
Mein Schmerz läßt sich still erleben. Ich will nicht in die Arme genommen sein. Ich lasse mich nicht ermuntern, loszuheulen. Ungehalten sieht mich der tote Baader nicht. Ich werde nicht haltlos. Musik richtet auf. Musik hilft sterben.
Geld:Rente:Arbeit:Gebühr:
Bei allem Verständnis für die Unterschiedlichkeit der Trauer. Bei allem zugestandenen Schock. Bei allem Hang von Menschen, die eben erst zu einem schlimmen Sachverhalt unterrichtet worden sind, muß keiner sich so seltsam wie ich verhalten. Hier ist nun Einhalt zu gebieten, denkt man. Hier ist laut zu sagen: So benimmt sich kein Freund dem toten Freund gegenüber. Schon ist die Freundin des Bekannten an der Tür. Schon sagt sie über ihre Schulter hin: Ihr könnt ja beide hier bleiben. Ich gehe augenblicklich. Der Bekannte sieht einmal bedauernd zu mir hin, dann zu ihr. Er ist so sichtlich unentschlossen. Soll er bleiben? Soll er mit der Freundin ziehen? Mich ansprechen, der ich in Trance bin, den Oberkörper stucke und abwesend scheine, ist zwecklos, denkt er. Ich höre in dem Moment auf Baaders Lieblingsband. Baader befiehlt mir Brigada S zu hören. So laut wie es nur geht, daß der Tod sich in seinem Schlaf gestört sieht. Ich sitze mit hellwachen Sinnen. Ich stucke den Oberkörper. Ich bleibe vom Pogo bewegt. Ich habe den Pogo und der Pogo hat mich wie einen Geisteskranken gut in Griff. Die Todesnachricht hat mich nicht ausgehebelt.
wichtig sind tage die unbekannt sind / die sind wichtig / wichtig der augenblick / in dem wir uns dann entscheiden
Baaders Tod hat mich nicht schlapp werden lassen, sondern stark genug gemacht, die richtige Platte aufzulegen, die Platte, die aufgelegt gehört in diesem Fall. Denn nichts wehrt ewig.
Alles vergeht.
Das beste Leben stirbt
vor seiner besseren Zeit.
wichtig sind tage die unbekannt sind / die sind wichtig / wichtig der augenblick / in dem wir uns dann entscheiden
Ich bin aus meinem Alttag genommen. Hör Musik. Höre ich Musik, versteht sie mich auch nur für die paar Zeilen lang.
Beatlemania!

1. Auflage 2010, ca. 140 Seiten, mit über 100 Fotos, Dokumenten u. Faksimiles
ISBN: 978-3-7844-3221-2
19,95 EUR D / 20,60 EUR A / 34,50 CHF (UVP)
LangenMüller
Als sie noch live auftraten, wurden sie von ihren Fans in einem Maße verehrt, wie es keiner anderen Popgruppe je zuteil wurde. Der Kult um die vier Jungs aus Liverpool hält bis heute ununterbrochen an. Die Beatles haben die Musik revolutioniert und die Menschen begeistert. Die Beatles und ihre Fans – das ist ein seit damals andauerndes Liebesverhältnis, fast schon eine Weltanschauung. In diesem aufwändig und liebevoll gestalteten Album wird diese besondere Beziehung dokumentiert – mit vielen raren, zum Teil unveröffentlichten Fotos und Texten. Ein Buch von Fans für Fans.
Mit Texten von Horst Fascher, Lisa Fitz, Chuck Hermann, Jürgen Herrmann, Chris Howland, Klaus Kreuzeder, Gabriele Krone-Schmalz, Uschi Nerke, Abi Ofarim, Brian Parrish, Helmut Schmidt, Manfred Sexauer, Tony Sheridan, Pete York uvm.
Fotos von Bubi Heilemann, Werner Kohn, Ulrich Handl, Rainer Schwanke, Frank Seltier, Günter Zint u.a.