Burkhard Spinnen: Hey, Neunzehn! (Steely Dan)
Damals, im Sommer 67, da war ich der Dandy meines Studentenwohnheims. Das singt, 12 Jahre später, 1979, Donald Fagan, Kopf der Gruppe Steely Dan (die nun wirklich keine Gruppe im herkömmlichen Sinne war!). Damals, 1967, im Sommer der Liebe, war Fagan 19, und da kamen die süßen Dinger aus Boston, sehr jung und sehr willig, und zogen runter in die piekfeinen Vororte. Muss ganz nett gewesen sein, denke ich. Aber: Wo zum Teufel, singt Fagan, bin denn ich? Jetzt?
1979 ist Fagan 31 Jahre alt, also: ein junger Mann. Sollte man jedenfalls denken, aber da befindet man sich im Irrtum. Der junge Mann trifft nämlich gerade eine, die, wie er damals, 1967, gerade 19 ist. Und es droht eine katastrophale Begegnung zu werden: Hey Neunzehn!, singt Fagan. Wir können nicht miteinander tanzen, wir können nicht mal miteinander reden. Wir haben überhaupt nichts gemeinsam.
Das ist traurig, aber es stimmt. Denn die vorgeblich soviel Emphase und Einheit stiftenden Elemente der Popkultur haben verdammt kurze Halbwertszeiten. Zwar beruht alles, was im Pop gesagt und getan wird, auf der sattelfesten Vorstellung von der ewigen Jugend. Aber “forever young” bleibt fatalerweise nicht der Einzelne; ewig jung sind immer nur alle zusammen, beziehungsweise sie sind es im dauernden Wechsel. Und so altert zwar die Popkultur als ganze nicht, umso schneller aber altert der Einzelne in ihr, blitzschnell sogar.
Und deshalb ist es so unendlich schwer für einen 31-jährigen, mit einer 19-jährigen auch nur genug gemeinsame Themen für eine kleine Konversation zu finden. Die Popkultur garantiert eben keine homogene Erfahrungswelt, im Gegenteil, sie trennt unbarmherzig die Modegenerationen voneinander: Hey, Neunzehn. Die da gerade singt, das ist Aretha Franklin. Aber, verzweifelt beiseite gesprochen: Gütiger Himmel. Sie erinnert sich nicht an die Königin des Soul! Was für einen 31-jährigen bedeutet: Da kommen harte Zeiten auf die Einzigüberlebenden zu. Und die Kleine an seiner Seite? Die denkt, ich bin verrückt. Dabei werd’ ich bloß alt.
Hey nineteen ist das zweite Stück auf Goucho, Steely Dans letzter Platte im 20. Jahrhundert, Abschluss eines Jahrzehnts großer Erfolge, darunter manche Titel ungemein jazzig und sophisticated, andere orchestral und durchaus zum Ohrwurm tauglich. Es heißt, aus Angst vor Wiederholungen habe das Duo Fagan/Becker Anfang der achtziger Jahre die gemeinsame Arbeit eingestellt. Das ist freilich kein außergewöhnlicher Grund. Pop-Karrieren beginnen zwar sehr früh, aber sie enden auch schon wieder, wenn die Protagonisten in einem Alter sind, in dem früher die Künstler allmählich ernst genommen wurden. Außergewöhnlich ist nur, dass Becker und Fagan das schnelle Auf und Ab und Aus im Pop nicht nur erlebt, sondern ihm auch so distinkten Ausdruck gegeben haben.
Hey nineteen ist ein wunderbares Stück Musik, voller einschmeichelnder Harmonien und kühl geplanter Brüche. Ein typisches Steely Dan-Stück. Leider fehlen mir Fachkenntnis und Terminologie, es besser zu beschreiben; ich kann nur sagen: Es hört sich so, wie man bei Sonnenuntergang am Südseestrand tief melancholisch einen Cocktail trinkt. (Womöglich schrammt es auch knapp am Kitsch vorbei.) Die wenigen Zeilen des Textes stören eigentlich kaum die relaxte Stimmung. Mr. Fagan’s halb rauchige, halb quäkige Stimme mischt sich demokratisch unter die Instrumente, und sowieso ist die meiste Zeit nur Musik und Chor. Doch einmal genau gelesen (soweit man das als Nachgeborener und nicht-Ostküstenamerikaner überhaupt kann), ist der Text die höchst kondensierte Quintessenz der Erfahrung eines starken Jahrzehnts in der Popkultur. Und die lautet:
Schon 31 und 19 haben nichts mehr gemeinsam. Wer in der Ära des Pop seinen Wurzeln treu bleibt, wer nicht verrät, was er hörte, als er die Ohren aufschlug, der ist übermorgen schon ein Einzigüberlebender. Die Feier der Sinne und der ewigen Jugend versprach einmal Befreiung von den Zwängen der Konvention, die vorschrieb, wann man gesetzt und arriviert und langweilig und vorgestrig und unerträglich zu werden hatte. Doch an der dramatischen Vergänglichkeit jenes Momentes, da sich einer auf der Höhe von allem Möglichen fühlen durfte, hat sich nicht viel geändert. Im Gegenteil: statt wie früher allmählich ein alter Mann zu werden, wird man jetzt, und das rasend schnell, ein altes Kind. Was kann man bloß dagegen tun?
Nimm mich einfach mit, wenn du hier lang schlenderst, bittet Fagan schließlich seine 19-jährige. Ein Tequila Cuervo Gold, der feine Kolumbianer, die werden aus Heutnacht was Wunderbares machen.
So endet, mehrfach wiederholt, Hey nineteen. Nur im Rausch kommen 31 und 19 noch zusammen. Doch auch den Rausch, der hier gemeint ist, gibt es bereits im Supermarkt, längst ist er nicht mehr Steigerung des Individuellen, sondern Resultat der Spitzenprodukte am Markt. Mit anderen Worten: Er ist selbst Konvention.
Als Donald Fagan mit 31 sang, dass er mit einer 19-jähigen nicht reden konnte, war ich 22. Dennoch stand ich eher auf seiner Seite, was diese Erfahrung angeht; gleichzeitig aber wollte ich mir schwören, niemals so schreckliche 31 zu werden wie er. Wer sich in die Popkultur begibt, dachte ich damals, hat die besten Chancen; aber blitzschnell wie der Vampir, nur umgekehrt, altert er im Dunkeln, wenn das Rampenlicht abgestellt wird. Hey nineteen war eine wunderbare Warnung vor dieser Welt. Wunderbar, weil alle Verlockungen und Versprechungen des Pop ebenso in diesem einen Stück aufgehoben sind wie die Darstellung der notwendigen Katastrophe.
Im Februar 2002 erschien übrigens die nächste Steely Dan-CD nach Goucho. Sie heißt Two against nature. Tatsächlich ist wohl nichts widernatürlicher aus die Auferstehung der Protagonisten des Pop. Jedes Comeback ist ein Widergang: höchst faszinierend, weil gruselig. Die CD ist allerdings ausgezeichnet. Und es gibt jetzt ein Stück darin, das die Lage 20 Jahre nach dem Ausschalten des Rampenlichts schildert. Der Protagonist trifft auf der Straße Eine von Früher, Eine vom College, die offenbar Karriere in Hollywood gemacht hat. Komm mit auf mein Zimmer, sagt sie, und lass uns so tun, als wären wir noch auf der Schule.
Netter Versuch, antwortet Fagan, aber bitte! Das hier ist Manhattan, und du sprichst mit einem Geist!
Beatlemania!

1. Auflage 2010, ca. 140 Seiten, mit über 100 Fotos, Dokumenten u. Faksimiles
ISBN: 978-3-7844-3221-2
19,95 EUR D / 20,60 EUR A / 34,50 CHF (UVP)
LangenMüller
Als sie noch live auftraten, wurden sie von ihren Fans in einem Maße verehrt, wie es keiner anderen Popgruppe je zuteil wurde. Der Kult um die vier Jungs aus Liverpool hält bis heute ununterbrochen an. Die Beatles haben die Musik revolutioniert und die Menschen begeistert. Die Beatles und ihre Fans – das ist ein seit damals andauerndes Liebesverhältnis, fast schon eine Weltanschauung. In diesem aufwändig und liebevoll gestalteten Album wird diese besondere Beziehung dokumentiert – mit vielen raren, zum Teil unveröffentlichten Fotos und Texten. Ein Buch von Fans für Fans.
Mit Texten von Horst Fascher, Lisa Fitz, Chuck Hermann, Jürgen Herrmann, Chris Howland, Klaus Kreuzeder, Gabriele Krone-Schmalz, Uschi Nerke, Abi Ofarim, Brian Parrish, Helmut Schmidt, Manfred Sexauer, Tony Sheridan, Pete York uvm.
Fotos von Bubi Heilemann, Werner Kohn, Ulrich Handl, Rainer Schwanke, Frank Seltier, Günter Zint u.a.