Àxel Sanjosé: Nach der Sintflut ist vor der Sintflut (Rainbow)

Als ich mein erstes Drama plante (bin aber dann doch Lyriker geworden), hatte ich bald einen Stoff gefunden, der mir sehr geeignet schien und gleich seinen eigenen Titel mitlieferte: Catilina. Schillersch-grillparzersch sollte es das Scheitern eines anarchischen Rebellen an Intrigen und mangelnder Solidarität, an der Übermacht des herrschenden Systems, aber auch an der eigenen Unzulänglichkeit, Unentschlossenheit und Egomanie schildern. Es wurde, wie gesagt, nichts daraus, aber die erste Szene des ersten Aktes schaffte ich immerhin, und die einleitende Regieanweisung ist mir heute noch sehr gut erinnerlich: Atrium im Hause Catilinas. Ein Gelage. In voller Lautstärke ist »Kill the King« von Rainbow zu hören.

Mal abgesehen von der naiven Vorstellung, eine derartige Angabe würde von einem/r Regisseur/in so übernommen (und den vorausgehenden naiven Vorstellungen, das Stück käme auf die Bühne, würde fertig geschrieben etc.), war die Wahl des Musikstücks, wie ich heute noch finde, ausgezeichnet. Ja, sie rechtfertigte geradezu meinen gesamten dramatischen Entwurf, der es schwer gehabt hätte, ein solches künstlerisches Niveau zu erreichen und über fünf Akte durchzuhalten. Die bedrohliche Intro und der drängende, äußerst dynamische Beginn »Danger, danger, the Queen’s about to kill ...« ziehen dich mitten in den Song hinein, in eine undurchsichtige Königsmord-Geschichte, die ich viel später, beim Nachlesen des Wortlauts im Internet, immer noch nicht begriffen habe, jedenfalls nehmen das Tempo und die auf eine Auflösung hinstrebende Melodik sofort gefangen, das »Danger«-Motiv erhält ein »Stranger«-Echo und zieht sich wie eine heranrollende, sich wölbende Welle kurz zurück, um wieder anzusteigen und endlich in den Refrain zu brechen: »Kill the King«, der sofort wieder in eine herabfallende Tonfolge fließt, um gleich noch einmal aufzusteigen und dann, wieder fallend, in die nächste Strophe zu schießen, immer noch im höchsten Tempo, immer weiter, immer zu, immer zu, bis schließlich, nach instrumentalem Zwischenspiel und letzter Strophe, der Refrain selber in Stücke zerhackt wird: »Kill the King ... Oh, kill ... Oh, kill ... oh, oh«: die Dolchstöße, die Schläge mit dem Kandelaber.

Mir war klar, dass es sich hier um reine Rollenrede handelt, dass keine Aufforderung zur physischen oder symbolischen Tötung vorlag, also auch kein Aufruf zur Revolution, zur Abschaffung des Staates und all dem, aber es ließ sich für mein Drama gut in diese Richtung verstehen. Ich konnte sowieso nicht begreifen, warum Hard Rock im Allgemeinen so unpolitisch war, warum diese aggressive, unbotmäßige, antibürgerliche Musik nicht auch entsprechende Inhalte artikulierte. Ich sah diese Musik nicht nur als Geste der individuellen, sondern auch der gesellschaftlichen Auflehnung, so wie ich ja auch die Figur des Catilina zum Freiheitskämpfer stilisierte. Und mit dem – aus meiner damaligen Sicht kühnen – Einsatz von Hard Rock in einem Theaterstück gab ich meiner Gesinnung ja implizit Ausdruck.
Vielleicht aber spürte ich damals schon sehr genau, dass es sich im Grunde um etwas Klassisches handelte (und so auf einer anderen Abstraktionsstufe wiederum gut zu einem klassisch konzipierten Historiendrama passte).

Das Zusammentreffen von Ritchie Blackmore und Ronnie James Dio (†2010) ist eine Sternstunde der Rockgeschichte – eine Sternstunde freilich, die manchen verdeckt geblieben ist, weil die Blitzlichter anderswo gerade greller waren. Superlative sind immer so eine Sache, aber ich erzähle nichts Neues, wenn ich Blackmore und Dio zu den jeweils größten Gitarristen und Sängern der Rockgeschichte zähle. Das wäre für sich genommen noch keine Garantie, aber hier trafen zwei Persönlichkeiten mit einer affinen Ästhetik zusammen, einem gewissen Hang zum ›Gothischen‹, zum Mittelalterlichen, zur Schwarzen Romantik, zu einer gewissen Moll-Melodik, zur Symphonik ... alles nicht unbedingt sichtbar, eher ein genetischer Code der gemeinsamen Kompositionen – ich kann es nicht beschreiben, jeder einzelne Punkt ist für sich genommen falsch. Aber es ist zu hören, es ist eine unverwechselbare Art der Annäherung an das Düstere, an die Abgründe, die Nebel, die Pforten Babylons, die geheimnisvolle »Lady of the Lake« aus der Artus-Sage, ja, hin und wieder auch eine gefährliche Annäherung an so etwas wie Hardrockkitsch, aber dann doch in seiner Unmittelbarkeit, seiner Unbedingtheit letztlich klassischer, und trotz gewaltigen, teils orchestralen Klangaufwands unverfälschter Hard Rock: »Long Live Rock’n’Roll«. Hard Rock als überfreudscher Sublimationsakt, »Man on the Silver Mountain«, das Bewältigen der Abgründe mit den Mitteln der Kunst, kill the King.

Und dann, 1978, ist alles vorbei. Dio taucht meteorenhaft bei Black Sabbath auf (anstelle Ozzy Osbournes!) und macht dann Solo weiter. Ohne ihn gerät Rainbow, bis auf Blackmore völlig umbesetzt, zu etwa anderem, Difficult to Cure in der Tat, es folgt die Auflösung, Blackmore geht wieder zu Deep Purple, unternimmt in den 90ern einen neuen Rainbow-Anlauf, verlegt sich schließlich auf Renaissance-Folk-Rock. Das Gewitter ist längst vorüber, der Regenbogen ist verblasst und verschwunden. Catilinas Verschwörung wurde vereitelt, er selbst fiel bei Pistoria. Ich hatte Glück, mein geplantes Drama endete in der Schublade, aber geblieben sind mir die großartigen Songs und die Warnung: »Sleep with the Devil and then you must pay / Sleep with the Devil, the Devil will take you away.«



Beatlemania!
50 Jahre Beatles! Wir feiern mit einem sensationellen Bildband von Fans für Fans, mit Insider-Stories, fantastischen Fan-Fotos, Dokumenten und Faksimiles.

1. Auflage 2010, ca. 140 Seiten, mit über 100 Fotos, Dokumenten u. Faksimiles
ISBN: 978-3-7844-3221-2
19,95 EUR D / 20,60 EUR A / 34,50 CHF (UVP)
LangenMüller

Als sie noch live auftraten, wurden sie von ihren Fans in einem Maße verehrt, wie es keiner anderen Popgruppe je zuteil wurde. Der Kult um die vier Jungs aus Liverpool hält bis heute ununterbrochen an. Die Beatles haben die Musik revolutioniert und die Menschen begeistert. Die Beatles und ihre Fans – das ist ein seit damals andauerndes Liebesverhältnis, fast schon eine Weltanschauung. In diesem aufwändig und liebevoll gestalteten Album wird diese besondere Beziehung dokumentiert – mit vielen raren, zum Teil unveröffentlichten Fotos und Texten. Ein Buch von Fans für Fans.

Mit Texten von Horst Fascher, Lisa Fitz, Chuck Hermann, Jürgen Herrmann, Chris Howland, Klaus Kreuzeder, Gabriele Krone-Schmalz, Uschi Nerke, Abi Ofarim, Brian Parrish, Helmut Schmidt, Manfred Sexauer, Tony Sheridan, Pete York uvm.
Fotos von Bubi Heilemann, Werner Kohn, Ulrich Handl, Rainer Schwanke, Frank Seltier, Günter Zint u.a.