Annette Mingels: Raum für Helden (The Cure)
Keiner ahnt es, aber wir sind Helden. Wir liegen auf den Kissen, die wir von den Sofas und Sesseln genommen haben, im Hintergrund singt David Bowie, we can be heroes, for ever and ever, und wir denken, so ist es, ganz genau so. Durch zwei kleine Fenster können wir in einen Schacht sehen, der weiß gekachelt ist und an dessen Rändern Kellerasseln langsam und zielsicher entlangwandern. Wenn wir uns weit in den Schacht hineinlehnen, um eine Zigarette zu rauchen, sehen wir ein bisschen Grün (Rhododendron, sage ich, Lorbeer, sagt Silke). Bowie singt oh-oh-oh-ooh, und Alexa sagt: Mach nochmal. Ich stehe auf, gehe zum Plattenspieler, hebe die Nadel vorsichtig an und setze sie mit einem Knistern wieder ab. Wenn ich die Rille treffe, sagt Alexa, spitze, und ich sage: Kleinigkeit.
Wir sitzen auf dem Sofa, die Beine auf dem niedrigen Tisch, dunkles Holz, genau richtig für einen Partykeller. Rechts von uns ist die Theke, dahinter stehen Flaschen an der Wand, Jim Beam, Smirnoff, Johnnie Walker, Canadian Mist, Amaretto. Auf dem Plattenspieler liegt die neue Platte von Ultravox. Oli sagt: Du bist exakt der Typ für einen Intellektuellen. Warum?, frage ich. Wenig Brust und hübsches Gesicht, sagt er. Ich stoße ihn leicht, er lacht. Er sieht aus wie Alfred E. Neumann, breiter Kopf, Flachshaar, sein Gesicht ein einziges Grinsen, der Körper dünn und klein. Er ist der beste Freund meines Freundes. Manchmal habe ich Bauchweh, wenn wir uns getroffen haben, weil ich so viel lachen musste. Er ist nicht komisch, sagt Silke, nur gemein. Drei Jahre später ist er heroinabhängig. Einmal sehe ich ihn in der Stadt, er ist noch dünner geworden, er grinst nicht. Er sagt, wie geht’s, ich versuche, in seine Augen zu sehen (ob die Pupillen klein sind wie Nadelköpfe), er sagt, muss weiter, auf seinem T-Shirt ist ein dunkler Fleck, von hinten sieht er fast aus wie früher.
Mein Freund hat eine Kassette mitgebracht, Ass’n Head Union, das Cover ein Kippbild: ein Gesicht oder ein dampfender Kackhaufen. Er sagt, das erste Lied widme ich dir. Ich höre einen Synthesizer, ein Schlagzeug, dann seine Stimme, er kennt ein Mädchen, das schmutzige Gedanken hat, and I, singt er, I want to fuck her. Ich sage, sing das bloß nicht beim Konzert, und er sagt, aber sicher sing ich das, und dabei – er kneift die Augen zusammen – zeige ich auf dich. Ich werde mich in die hinterste Reihe setzen, beschließe ich. Hör mal, sagt er, das dritte Lied ist toll, er spult vor, die blonden Haare fallen ihm auf die Schultern, er streicht sie zurück. Manchmal sieht er zu schön aus, dann muss ich erst wegschauen und gleich wieder hin. Er weiß das. Er küsst mit offenen Augen. Wenn ich ihn frage, warum, kann er es nicht sagen. Aus Selbstliebe, sage ich und lache. Er denkt nach und sagt: Schon möglich.
Wenn The Cure läuft, gibt es nur eine Art zu tanzen: die Beine fest auf dem Boden, der Oberkörper vor und zurück schwingend. Wir berühren fast die Fußspitzen mit unseren Händen, dann lehnen wir uns zurück, so weit es geht. Die Waver tanzen langsam, sie bewegen sich wie unter Wasser. Zur Begrüßung küssen sie einander auf den Mund, schwarze Lippen, schwarze Haare und Fingernägel. Silke und Alexa haben einen ganzen Abend lang getrauert, sie haben das Licht gelöscht, eine Kerze angezündet, Silke hat ein bisschen geweint. Quatsch, hat Mischa am nächsten Tag gesagt, Robert Smith ist doch nicht tot. Mischa muss es wissen, er hat sämtliche Platten von The Cure, und drei Autogramme von Smith, eines davon auf dem Gips, den er einen Sommer lang am rechten Arm trug. Das ist deutlich cooler als das, was Myriam passiert ist: Mit ihr wollte Udo Jürgens schlafen. Aber da war sie erst vierzehn und dachte, lieber nicht.
Mein Freund sagt: Du musst dich entscheiden. Er hantiert am Plattenspieler herum, legt eine Platte auf, die er mitgebracht hat. Rhythmen, die ans Laufen erinnern, ans Weglaufen, nach Ewigkeiten eine Frauenstimme, die eher ruft als singt. Oli sitzt auf dem breiten Sessel, Thomas versucht unparteiisch auszusehen. Er wurde zum Richter bestellt. Es gibt kein Vergehen, eher ein Versehen. Thomas fragt: Habt ihr euch verliebt? Oli zuckt mit den Schultern, er sieht mich nicht an, ich sage: Weiß nicht. Mein Freund schnaubt, Thomas überlegt, dann fragt er: Wollt ihr zusammen sein? Ich schaue Oli an, er sieht meinen Freund an, ich sage: Nein. Nein, sage ich, das nicht.
Am Abend zerreiße ich ein Foto von meinem Freund (er im Schwimmbad, im Hintergrund etwas Blaues, Grünes). Er findet die Schnipsel, zerreißt alle anderen Bilder, die ich von ihm habe. Ich sehe ihn erst ein Jahr später wieder. Dein erstes Mal, sagt er, hättest du mit mir erleben sollen. – Warum? – Damit es was Besonderes gewesen wäre. – Ich muss lachen, und diesmal lacht er mit.
Wir haben eine Band gegründet, die keinen Namen hat. Alexa spielt Klavier, Silke Gitarre, ich singe, weil ich sonst nichts kann. Olaf aus unserer Klasse ist der Drummer. Auf dem Kirchenfest wollen wir nicht spielen, entweder richtig oder gar nicht, sagen wir. Nach zwei Monaten haben wir ein einziges Lied komponiert, Hearts break up to go. Was soll das denn heißen?, fragt mein Bruder, und ich sage: Dass sie halt losgehen, aufbrechen, irgendwie so was.
Es ist verdammt schade: Wir wissen genau, wie Musik sein muss, aber wenn wir selbst welche machen, klingt sie ganz anders. So müssen sich Stotterer fühlen.
Wir streichen die Bar weiß und alle anderen Holzmöbel auch. Vor die Fenster hängen wir bodenlange Vorhänge und an die Wände kommen Poster: von Depeche Mode, New Order und The Clash (Joe Strummer, wie er seine Gitarre kaputt haut).
Alles, was wir mal werden wollten, wollen wir nicht mehr. Und etwas Neues ist nicht in Sicht. Kann man, liest Alexa vor, von Petting schwanger werden?, und Silke sagt, was für eine Frage, und nach einer Zeit: Ist doch wahr.
Stay out, steht an der Tür. Aber das hält niemanden davon ab, trotzdem einfach reinzukommen. Ist der Hund bei euch?, fragt mein Vater, wollt ihr Kuchen?, fragt meine Mutter, und Silke lässt die Zigarette in den Schacht fallen, und Alexa stellt das Glas hinter den Plattenspieler, und ich sage: Nein. Nein, sage ich, und: Klar, warum nicht?
Natürlich sind alle ein bisschen gegen uns. Natürlich wissen wir das. Sie lauern und beobachten und warten ab. Aber wir tricksen sie aus. Wir finden unsere Mittel und Wege, wir schlagen ihnen, kurz gesagt, dauernd ein Schnippchen.
Beatlemania!

1. Auflage 2010, ca. 140 Seiten, mit über 100 Fotos, Dokumenten u. Faksimiles
ISBN: 978-3-7844-3221-2
19,95 EUR D / 20,60 EUR A / 34,50 CHF (UVP)
LangenMüller
Als sie noch live auftraten, wurden sie von ihren Fans in einem Maße verehrt, wie es keiner anderen Popgruppe je zuteil wurde. Der Kult um die vier Jungs aus Liverpool hält bis heute ununterbrochen an. Die Beatles haben die Musik revolutioniert und die Menschen begeistert. Die Beatles und ihre Fans – das ist ein seit damals andauerndes Liebesverhältnis, fast schon eine Weltanschauung. In diesem aufwändig und liebevoll gestalteten Album wird diese besondere Beziehung dokumentiert – mit vielen raren, zum Teil unveröffentlichten Fotos und Texten. Ein Buch von Fans für Fans.
Mit Texten von Horst Fascher, Lisa Fitz, Chuck Hermann, Jürgen Herrmann, Chris Howland, Klaus Kreuzeder, Gabriele Krone-Schmalz, Uschi Nerke, Abi Ofarim, Brian Parrish, Helmut Schmidt, Manfred Sexauer, Tony Sheridan, Pete York uvm.
Fotos von Bubi Heilemann, Werner Kohn, Ulrich Handl, Rainer Schwanke, Frank Seltier, Günter Zint u.a.