: Chloe Hoopers "Märchen eines wahren Mordes" ist ein trotziges und egoistisches Manifest für das Kind im Menschen: Der Papagei war der erste Fehler
Kinder in der Kunst sind oft sehr peinlich. Besonders, wenn der so genannte "Kindermund" im Spiel ist - jene vorhersehbare Schlichtheit des Ausdrucks, die von Patentanten in den Rang von Orakelsprüchen gehoben wird und quälende Fernsehformate wie "Dingsda" hervorgebracht hat. Als Künstler lässt man von kindlicher Weisheit aller Art tunlichst die Finger, außer man ist Kindertheaterregisseur oder hat nichts zu verlieren. So wie die junge australische Schriftstellerin Chloe Hooper. Sie illustriert ihren Debütroman nicht nur mit Kinderzeichnungen und erzählt eine Rahmenhandlung aus der Sicht von Tieren - Hooper schreckt auch nicht vor seitenlangen Dialogen von und mit Grundschulkindern zurück. Doch diese Unerschrockenheit ist nicht der einzige Grund, warum "Märchen eines wahren Mordes" ein beachtliches Buch ist.Im Mittelpunkt steht Kate, Grundschullehrerin in Tasmanien. Sie hat mit dem Vater eines ihrer Schüler eine Affäre und wird nun hin- und hergerissen zwischen der Lust am Verbotenen und der Paranoia der Ehebrecherin. Die Frau ihres Geliebten ist eine erfolgreiche Krimi-Autorin und hat auch sonst eine gute Spürnase. Gerade hat sie ein Buch über eine mit Mord und Selbstmord endende Dreiecksbeziehung veröffentlicht; ein wahrer Fall, wie es heißt, der aber dem, was Kate gerade erlebt, verblüffend ähnelt. Die eine Geschichte, die wahre und blutige, spielt in den siebziger Jahren. Ein Tierarzt hatte ein Verhältnis mit seiner Sprechstundenhilfe, die eifersüchtige Ehefrau tötete erst die Nebenbuhlerin und dann sich selbst. Das Verbrechen wurde jedoch nie ganz aufgeklärt und beschäftigt nun die Protagonisten der anderen Dreiecksgeschichte: Da wäre Kate, jung und verliebt genug, um sich von einem verheirateten Mann weismachen zu lassen, er würde sich ihretwegen scheiden lassen. Da ist der Anwalt Thomas, der vor dem außerehelichen Sex penibel seine Hose zusammenfaltet und danach daheim anruft. Und schließlich die Ehefrau, eine selbstbewusste und schöne Dame, die sich der Geliebten als Freundin andient in der Hoffnung, damit die Kontrolle zu behalten. Das alles ist wunderbar aufgeschrieben, getragen von der selbstironischen Häme junger Frauen, die sich geschworen haben, nie mehr etwas mit älteren Männern anzufangen. Am komischsten ist die Szene, in der die Ich-Erzählerin den Fantasien ihres Liebhabers nachkommen und ihm Geschichten von Südsee-Mädchen ins Ohr flüstern soll. ",Ich bin ganz nah. Jede Franse streift über dein Gesicht, wenn ich die Hüften schwenke. Ich überlegte weiter. ,Auf meiner nackten Schulter sitzt ein Regenbogenvogel. Einen Augenblick lang herrschte Stille. Den Papagei einzuführen, erkannte ich, war der erste Fehler."Das Beziehungsthema ist jedoch nur ein Strang des Romans - wobei Strang ein falsches Wort ist, denn Hoopers Technik entspricht eher einem Aufwirbeln. "Märchen eines wahren Mordes" funktioniert wie eine Schneekugel: Affären, Morde, Fantasien, Milieuschilderungen, die Geschichte Tasmaniens - all das lässt Hooper durcheinander fliegen mit der übermütigen Sicherheit eines Kindes, das so in sein Spiel vertieft ist, dass es seine Außenwelt nicht mehr wahrnimmt. Die Geschichte eines Kindes kommt dann auch zum Vorschein, nachdem sich die verschiedenen Teilchen gesetzt haben. Denn "Märchen eines wahren Mordes" ist ein Roman der Verweigerung, ein trotziges und egoistisches Manifest für das Kind im Menschen. Aber nicht für diese naive Art von Kindlichkeit, wie sie von Patentanten oder Kindertheaterregisseuren verklärt wird. Kind sein ist für Chloe Hooper vielmehr gleich bedeutend mit dem Bedürfnis, sich zu entziehen. Das hat im besten Fall etwas Geniales, meistens endet es jedoch in der Selbstzerstörung. Die Kate, die sich am Anfang noch so anarchistisch über die Realität hinwegsetzt, weil sie für sie nur eine Fantasie von vielen ist, steht schließlich auf den "Selbstmörderklippen" - bereit, die letzte Konsequenz ihrer Verweigerung zu ziehen.Kompromisslos ist Chloe Hooper auch beim Schreiben. So wie die Hauptfigur Kate die Wirklichkeit als eine Wahrheit von vielen begreift, so sieht die Autorin in der Form des Romans nur eine von unzähligen Ausdrucksmöglichkeiten. Märchen, Kriminalfall und postfeministische Statements werden vermischt. Aus fantastischen und realen Versatzstücken bastelt Hooper ihre Romanwelt zurecht und macht sich über dieses Verfahren gleichzeitig lustig, indem sie zwischen den Kapiteln alles noch einmal als blutrünstige Tiergeschichte aus der Sicht von Kitty Koala und Winston Wolf aufrollt. Dass das nicht peinlich ist, merkwürdigerweise nicht einmal dann, wenn Kate mit ihren Schulkindern seitenlang über Themen wie "Wahrheit" oder "Träume" redet, liegt an Hoopers Humor. Mit ihrer Mischung aus Selbstbewusstsein und Selbstironie kommt sie stilsicher durch die vielen Ebenen und Meta-Ebenen des Buchs. Dem Größenwahn, sich die Welt nach eigenen Maßstäben neu erschaffen zu können, ist die Endlichkeit eines solchen Vorhabens eingeschrieben. Hoopers Kindseinwollen hat nichts mit zwanghafter Lebensfreude zu tun, sondern ist eine Verneigung vor dem Tod.Chloe Hooper: Märchen eines wahren Mordes. Aus dem Englischen von Barbara Schaden. Berlin Verlag 2003. 275 S. , 19,90 Euro.CHLOE HOOPER