29.11.2011

Twitter: Die Solokünstlerin

Von Marin Majica
Ein echter Twitter-Star: Katja Dittrich, 31, hat 8700 Follower.
Ein echter Twitter-Star: Katja Dittrich, 31, hat 8700 Follower.
Foto: Markus Wächter
Berlin –  

Katjaberlin erzählt auf Twitter von ihrem Alltag – und 8700 Menschen wollen das lesen. Doch wer ist eigentlich diese Frau, die alle zu kennen glauben wie eine alte Freundin?

Es gibt eine Menge Fragen, die man dieser Frau stellen möchte. Wie ihre beiden Katzen heißen, zum Beispiel. Was da mit Jude Law läuft, dem Schauspieler. Welches Telefon sie sich denn nun gekauft hat. Wie sie als kluge, witzige, junge Frau allen Ernstes Hertha-Fan sein kann. Oder warum sie diesen schlimmen Chef so lange ausgehalten und nicht viel früher gekündigt hat.

Katjaberlin alias Dittrich

Katja Dittrich, 31, hat Medienberatung und Politikwissenschaft studiert.

Nach dem Studium arbeitete sie als PR-Referentin und Onlineredakteurin in einem Bundesministerium und bei Verbänden.

Vor mehr als drei Jahren begann sie damit, unter dem Pseudonym @katjaberlin auf Twitter über ihren beruflichen und privaten Alltag zu schreiben. Mittlerweile hat sie 8700 Follower.

Es sind Fragen, wie man sie  einer Freundin stellt, die einem nach längerer Zeit endlich mal wieder gegenüber sitzt. Und da sitzt sie, in einem schwarzen Pulli und grauer Strickjacke, mit blonden Haaren und tiefdunklen Augenbrauen, ein sogenanntes Trendgetränk vor sich, Grüner Tee in der Flasche. Die Bedienung hat es ihr empfohlen, in einem putzigen Café am Weinbergspark in Mitte. Katja Dittrich wohnt um die Ecke.

Allerdings ist diese Katja keine alte Freundin. Es fühlt sich nur ein wenig so an, wenn man sie zum ersten Mal trifft. Zumindest, wenn man seit Jahren die Nachrichten verfolgt, die die 31-jährige Berlinerin bisher anonym unter dem Namen @katjaberlin auf der Internet-Plattform Twitter veröffentlicht hat. Sie postet hier meist mehrmals am Tag, und ein typischer Katjaberlin-Satz klingt etwa so:

„Glück ist, wenn du mit einem dieser rollenden Einkaufskörbe mittenmang ins Rotweinregal knallst und keiner das gefilmt hat.“

Mit diesen maximal 140 Zeichen langen Stichproben lässt sie jeden an ihrem Alltag teilhaben, der das möchte. Eine ganze Reihe Menschen wollen das, 8700 Leser sind es mittlerweile. Und es werden stetig mehr, die Katjaberlin followen, also abonnieren, was sie schreibt.

Best of Katjaberlin Teil 1

Bildergalerie ( 6 Bilder )

Twitter, das ist für viele eine selbstgestaltete Nachrichtenagentur, ein Jahrmarkt der Meinungen und natürlich eine Fundgrube für Links zu Artikeln, Videos und Fotos. Doch es ist eben auch ein Forum der Selbstinszenierung – eine Kleinkunstbühne mit offenem Mikro.

Auffällig viele junge Frauen steigen auf diese Bühne, um von sich selbst zu erzählen. Sie geben sich Namen wie @happyschnitzel, @dukannst oder @bangpowwww und schreiben Geschichten aus ihrem Leben: skurrile Episoden aus ihrem Beziehungsalltag,  nächtliche Abenteuer in fremden Betten oder pointierte Beobachtungen eines schnodderigen Punk-Girls.

Katjaberlin teilt mit der Welt regelmäßig Miniaturkurzgeschichten, in denen die Unzufriedenheit mit der beruflichen Gesamtsituation ein zentrales Motiv ist. Frust verwandelt Katjaberlin in Aphorismen:  Es sei aber auch schwierig, keine Karriere und keine Kinder unter einen Hut zu bringen, schreibt sie. Oder etwa dies:

„Ich kann nicht mal in Ruhe Wein trinken, ohne ständig an den Chef denken zu müssen. Hätte vielleicht keinen Primitivo wählen dürfen.“

Was so Tag für Tag und Tweet für Tweet auf Katjaberlins Twitterseite entsteht, ist eine Art Einpersonen-Seifenoper, eine Mischung aus Fernsehserien wie „Stromberg“ und „Ally McBeal“ vielleicht. Eine liebenswert-selbstironische Hauptfigur pendelt darin zwischen Büro-Wahnsinn und Single-Dasein, und manche Episode kommt mit sehr wenigen Worten aus:

„Mein Leben ist FSK 6.“

Ob sie ihre Geschichten aus der Linie U8 oder von der  Exkursion in den Wedding – „Mir wurde gesagt, die haben da alte Menschen“ – wirklich so erlebt oder sich das ausdenkt, darüber konnten die meisten von Katjaberlins Lesern bis vor kurzem nur spekulieren. Ihren Namen hielt sie geheim, als Profilbild verwendete sie eine Comic-Zeichnung.

Katjaberlin war ein Phantom – eines allerdings, das einem  jederzeit in Berlin in einem Café oder beim Elvis-Costello-Konzert über den Weg laufen könnte.  Schließlich fühlt man sich als Katjaberlins Follower  recht klar im Bilde darüber, was sie macht und wer sie ist. Sie betrachtet Familien in Mitte und Prenzlauer Berg mitunter argwöhnisch („Weinbergspark in Mitte. der Ort, wo Kinderwünsche sterben“) und fotografiert Tiere. Mit einem Freund veröffentlicht sie auf graphitti-blog.de lustige Info-Grafiken. Sie mag Weißwein, bleibt am Wochenende auch mal abends  zu Hause, sitzt allein vor dem Fernseher und weiß selbst, dass das traurig klingt. Manchmal geht sie aber auch aus, wovon sie dann verblüffende Einsichten  mit nach Hause bringt:

„Erfahrungswerte einer Ü-30Jährigen: Immer wenn man ,Listen to your Heart‘ im Karaokekeller singt, hat man am nächsten Tag Kopfschmerzen.“

Katjaberlins Geburtstag ist der 27. Februar. Jedes Jahr wieder stellt sie sich an ihren Herd und kocht Früchte ein, obwohl sie Marmelade gar nicht mag. Ende März hat sie verkündet, dass sie ihren Job endlich gekündigt hat. Kurz vorher war sie zum ersten Mal in einem Pauschalurlaub, auf Lanzarote:

„Ich habe gerade herausgefunden, dass es hier gratis Longdrinks gibt. Schätze, das werde ich jetzt jeden Abend aufs neue herausfinden.“

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