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Aus dem Leben eines jungen Wilden

Jungschauspieler Jan versucht es allen recht zu machen...

© Die Berliner Literaturkritik, 05.07.11

FRANKFURT/MAIN (BLK) – Im März 2011 ist beim S. Fischer Verlag „Wie im richtigen Film“ von Oliver Wnuk erschienen. Es ist Wnuks erster Roman.

Klappentext: Liebe, die Sorgen macht, heißt Familie … Der nicht mehr blutjunge Schauspieler Jan hat sich bei einer Gala schwer angetrunken schwer daneben benommen, und die Boulevard-Presse druckt am nächsten Tag ein peinliches Foto. Jans Alzheimer-kranker Vater erkennt ihn darauf, nur im wahren Leben nicht, seine Tochter malt es im Kindergarten mit Buntstiften nach, seine Exfrau hält ihn für ‚ein Nichts’, und seine Freundin – will reden. Jan, der Familienmensch, wäre gern für alle da und doch am liebsten einfach mal allein. Denn wer viele Rollen spielt im Leben, vergisst vielleicht irgendwann nicht nur seinen Text, sondern auch sich selbst. Und so geht Jan mitten im Leben auf die Suche nach dem Sinn des Liebens. Der beliebte Schauspieler und ehrliche Romantiker Oliver Wnuk erzählt in seinem ersten Roman eine Liebeserklärungsgeschichte für und über unsere Zeit.

Der 1976 in Konstanz geborene Oliver Wnuk ist ein Theater- und Filmschauspieler und arbeitet seit einiger Zeit auch als Autor. Er schreibt sowohl Drehbücher als auch Songtexte und Hörspiele. „Wie im richtigen Film“ ist Wnuks Debutroman. Wnuk hat eine Tochter und lebt in Berlin.

 

Leseprobe:

©S. Fischer Verlag©

 

Prolog

„Papa?“

„Hm?“

„Schläfst du?“

„Hm.“

„Machst du noch mal Licht an?“

Knips.

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Luca beugt sich über meinen Kopf hinweg zur Nachttischlampe und schaut direkt in die Glühbirne.

Ich liebe den Geruch, der in ihrem Pyjama nistet. So müffelig rosig.

„Und jetzt wieder ausmachen“, ordnet sie an und lässt sich zurückplumpsen.

Knips.

„Und? Wie viele Glühwürmchen siehst du?“, frage ich.

„Ganz viele.“

„Papa?“

„Hm?“

„Ich will ans Meer.“

„Aha … Na, vielleicht nächsten Sommer.“

„Au ja. Fahren wir nächsten Sommer ans Meer? Mit der Mama?“

„Vielleicht eher mit der Clara.“

„Ich will aber mit der Mama.“

„Ich glaube, das geht nicht.“

„Warum nicht?“

„Weil dann die Clara traurig ist … und der Steffen bestimmt auch.“

„Okay … dann mit dir alleine.“

„Okay … und warum nicht mit der Clara?“

„Weil dann die Mama traurig ist.“

„Das glaube ich nicht.“

„Das glaube ich schon.“

„Schlaf jetzt.“

„Papa?“

„Hm?“

„Wann ist Sommer?“

„Noch zweihundert Mal schlafen, ungefähr.“

„Papa?“

„Hm!?“

„Machst du noch mal Licht an?“

„Nein!“

 

2.

„Du bist einfach ein Nichts.“

Niemand findet so glasklare und schneidend ehrliche Worte wie Anne.

„Was meinst du denn damit? Was soll das denn bitte heißen,  ein Nichts?“

„Eine Kugel Mango und eine Kugel Zitrone, bitte.“

Anne gibt ungerührt ihre Bestellung auf, während Luca glücklich und zufrieden mit ihrem bunt bestreuselten Schlumpf-Eis loszieht, um uns einen Tisch an der herbstlichen Restsonne zu suchen.

„Für mich einen Eiskaffee ohne Sahne, danke.“

Ich wende mich wieder Anne zu.

„Anne, hallo? Wie meinst du denn das? Du kannst doch nicht einfach so ein Ding raushauen und das dann da so unkommentiert stehen lassen.“

Normalerweise könnte sie das, aber heute ist sie gnädig.

„Du bist halt kein Typ. Das warst du noch nie. Nicht schön, nicht hässlich. Du bist nicht dünn, nicht dick, nicht männlich, nicht androgyn, nicht groß, nicht klein – du bist noch nicht mal mittel. Selbst dazu fehlt dir das Format. Du bist der Freund von Clara Brehmer. Stimmt. Das bist du! Der Freund von der Brehmer. Aber ansonsten passt du in keine Schublade. Luca, pass auf, es tropft ! Leck mal am Rand entlang!“

Ich bin einerseits geplättet und entsetzt, andererseits wieder einmal fasziniert von ihrer kompromisslosen Ehrlichkeit. Keiner auf der Welt kennt mich so gut wie Anne, und keiner dürft e so mit mir reden. Sie war immer schon mein Auf-den- Boden-der-Tatsachen-zurückhol-Weiblein. Ein Geschenk. Bei unserem gemeinsamen Geschenk Luca hat das Eis getropft . Mehrfach. Auf das Kleidchen.

„Oh, Papa, kannst du das bitte wegmachen oder sauber oder so … ähhh … irgendwie?“

Mach ich. Versuche ich zumindest – mit ablecken, rubbeln und Serviette. „So. Okay, also, ich passe in keine Schublade. Ja, ist doch eigentlich super, oder nicht?“

„Papa, was willst du denn in einer Schublade?“, möchte Luca wissen.

„Luca, lass mal den Papa kurz was Wichtiges mit der Mama sprechen, ja? Achtung, tropft! Also, das heißt ja dann, dass ich was Besonderes bin, oder?“

„Das Besondere scheint bei euch im Job aber selten gefragt zu sein. Außerdem bist du für das Besondere … wie soll ich sagen … Ich finde, für das Besondere bist du nicht besonders genug.“

„Nicht bes … – Mhmm. Also bin ich ein … Nichts?“

„Ja.“

Anne muss über meinen Anflug von Selbsterkenntnis lachen, und unser Kind steigt mit ein, wobei ich mir nicht sicher bin, ob es kapiert hat, worum es gerade geht. Ich hoffe nicht. Aber selbst wenn, die beiden meinen es nicht böse. Ich weiß das. Sie sind „meine Lieben“. So nenne ich sie neuerdings. Ich hatte kein Problem damit, Anne und Luca „meine Familie“ zu nennen, aber Anne will das nicht mehr. Weil es für sie einfach nicht mehr stimmt. Wir sind getrennt und jeder hat einen neuen Partner, und deswegen sind wir keine Familie mehr. Sagt Anne. Ich habe kein Anrecht mehr auf diese Bezeichnung und wir sind offiziell familienlos.

 

Als Anne und ich uns kennenlernten, schien alles möglich zu sein. Sie war gerade mit der Schule fertig und voller Träume, und ich war mitten in meiner Zivildienstzeit und voller konkreter Pläne. Anne gab die meisten ihrer Träume auf und unterstützte mich bei meinem Ziel. Ich wollte ein erfolgreicher Schauspieler werden. Wir waren ein klasse Paar.

Ich zog für einen Studienplatz an einer der deutschen Schauspielschulen in eine andere Stadt und sie zog mit. Ich reiste von Drehort zu Drehort und sie reiste mit. Ich nahm die Sprossen der Karriereleiter nur deshalb so leicht, weil ich wusste, dass sie mich von unten sichern würde.

Nachdem wir fast ein Jahrzehnt solider Beziehung hinter uns gebracht hatten, bekamen wir Luca. Und damit neue Probleme zusätzlich zu denen, die wir schon vor Lucas Geburt erfolgreich verdrängt hatten. Das Paarsein bekam nach und nach einen anderen Charakter. Vieles nahmen wir schweigend hin, statt uns dem Unübersehbaren zu stellen. Wir zogen lieber weiter am gleichen Strang und in die nächste Stadt, denn die Alternative war unvorstellbar.

Mit der Zeit wurde ich tatsächlich so was wie ein erfolgreicher Schauspieler. Mein Traum. Anne kümmerte sich fortan hingebungsvoll um Luca. Und um mich. Mein Netz und doppelter Boden. Doch plötzlich fand ich mich bei einer anderen Frau wieder.

Anne und Luca waren nicht mehr da.

Und seitdem sind wir keine Familie mehr.

Annes Schmerz ging ins Unmessbare und ich weiß, dass auch Luca vieles miterlebt hat und immer noch dabei ist, die Realität zu verstehen. Anne nahm in wenigen Wochen zwölf Kilo ab. Ein Kilo für jedes gemeinsame Lebensjahr.

Nur ihrer bewundernswerten emotionalen Intelligenz, ihrer Selbstlosigkeit und ihrer Liebe zu Luca ist es zu verdanken, dass sie ein letztes Mal mit mir in eine andere Stadt zog. So kann Luca weiter in der Nähe ihres Vaters aufwachsen und ich an dem Wohnort meiner neuen Freundin leben.

 

Das alles ist jetzt über zwei Jahre her, und wir sind zwischenzeitlich alle zur Ruhe gekommen. Wir fühlen uns sicher und geborgen in den Armen eines anderen Menschen.

Und auch Anne und ich sind mit unserer neu gefundenen Gemeinschaft glücklich. Wir sind beste Freunde. Oder vielleicht trifft es das Wort „Gefährten“ besser.

Ich würde für beide mein Leben lassen.

Würde ich? Ja. Ich würde. Ich liebe sie.

Wir sind kein Paar mehr und wir wollen es nie wieder werden. Es gibt keinerlei sexuelle Anziehung zwischen Anne und mir. Wobei das nichts wirklich Neues ist, denn die gab’s auch schon während der letzten Jahre unserer Beziehung nicht mehr. Zumindest von ihrer Seite aus. Für sie war Sex mit mir, nach eigenen Angaben, „in etwa so spannend wie Sandmännchen gucken.“ Anne und Luca sind meine Familie. Ich darf es nur nicht mehr sagen.

 

Wir sind fertig mit unserem Eis, und Luca hat ihr Kleid kreativ zum Schlumpf-Streusel-Kleidchen umdesigned. Wir gehen weiter Richtung Zoo. Wahrscheinlich ist es einer der letzten sonnigen Herbsttage, an denen der Sommer sich noch einmal aufbäumt, um sich in den späten Nachmittagstunden der kalten Abendluft und der frühen Dunkelheit geschlagen zu geben.

 

Nach knapp zwei Stunden Spaziergang im Zoo fangen Luca und Anne an, Laubblätter für den Kindergarten zu sammeln, damit sie dort Herbstbilder kleben kann. Seltsam zu sehen, dass meine Tochter sich nicht mehr für die exotischen Tiere in ihren Gehegen interessiert, sondern besinnt sich instinktiv auf das, was sie kennt. Was nicht aufregend aussieht, sondern schön, und was ihr, im wahrsten Sinne des Wortes, naheliegt: das Laub zu ihren Füßen.

 

Warum interessiert man sich denn immer nur für das Neue? Was reizt einen an dem, was man nicht erlebt hat? Denn am Ende sehnt man sich doch immer nach dem Altbekannten. Wenn es dunkel wird, freut man sich am meisten auf das eigene Bett. Dann ist es beruhigend, wenn man weiß, wo die Dinge ihren Platz haben. Dann ist das Schönste wieder, der Familie beim Blättersammeln zuzuschauen. Falls man dann noch eine hat und sie so nennen darf.

 

So bleiben der Serval, die Omankatze, das Bison und die Berberaffen unbestaunt, was die Tiere aber nicht weiter zu kümmern scheint.

Beim Anblick der zahllosen nicht auseinanderzuhaltenden Flamingos mit ihren mächtigen Schnäbeln und ihrem glänzend strahlenden Federkleid auf dünnen, zarten Beinchen fällt mir die Veranstaltung ein, die ich heute Abend noch besuchen muss. Ein Event voller Eitelkeiten: die Verleihung des Deutschen Filmpreises. Ich sollte bald nach Hause, ein heißes Bad nehmen und auch mir mein Federkleid umstülpen. Clara steht sicher schon schminkenderweise vor dem Spiegel und fragt sich, wann ich endlich komme, um zu entscheiden, was sie anzieht. Ein Ritual, das Zeit und Geduld erfordert.

Wir legen einen Zahn zu, und ich fahre Luca und Anne nach Hause.

 

Immer wenn dort vor der Haustür Luca mich zum Abschied mit einem Kuss und einem „Bis zum nächsten Mal!“ wegschickt, wird Anne und mir unser Scheitern als Paar bildlich vor Augen geführt. Auch zwei Jahre nach unserer Trennung reden wir viel darüber. Manchmal weinen wir. Da ist ein Resthass auf mich, der will sie nicht loslassen.

Der ist absolut berechtigt.

Resthass ist okay.

 

©S. Fischer Verlag©

 

Literaturangabe:

WNUK, OLIVER: Wie im richtigen Film. Krüger Verlag, Frankfurt/Main 2011. 256 S., 16.95 €.

 

Weblink

S. Fischer Verlag (Krüger)


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