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Heinrich Böll: tot und vergessen?

Heinrich Bölls Werke verlieren langsam ihre Aktualität, meint Reich-Ranicki

© Die Berliner Literaturkritik, 19.07.10

Von Elke Silberer

KÖLN (BLK) - Diese Geste wird der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki dem Menschen Heinrich Böll nicht vergessen. Als Reich-Ranicki 1958 mit seiner Frau von Polen nach Deutschland zog, buchstäblich nichts hatte, besuchte Böll die beiden und brachte einen Blumenstrauß mit. Mit dem Schriftsteller Böll ist das etwas anderes. „Er ist weitgehend vergessen“, stellte Reich-Ranicki unlängst in einem Interview mit „Welt-Online“ fest. 25 Jahre nach dem Tod des Nobelpreisträgers erinnern die Medien an einen der bedeutendsten Schriftsteller der Nachkriegszeit und die Frage schwingt mit: Wie aktuell ist Böll heute noch?

Für Reich-Ranicki war Böll kein „Sprachkünstler“. Viele seiner Geschichten und Figuren wirkten aus Sicht des Kritikers künstlich. „Aber er hatte eine Nase für Themen, die den Deutschen auf den Fingern brannten“, sagte Reich-Ranicki. Böll galt zu seiner Zeit als moralische Instanz und politisch engagierter Autor. Er schrieb über die verheerenden Folgen des Kriegs, gesellschaftliche Fehlentwicklungen im Nachkriegsdeutschland, bigottes Spießertum und Verknöcherungen der katholischen Amtskirche.

Aber nun ist Böll 25 Jahre tot, heute sind ganz andere Themen aktuell, also wird der Abstand zu seinen Büchern und zu ihm unaufhaltsam größer“, sagte Reich-Ranicki. Das sieht Böll-Sohn René anders. Sein Vater habe Weltliteratur geschrieben. „Weltliteratur ist zeitlos“, sagte René Böll. „Die literarische Qualität ist entscheidend.“ Die Themen seien nicht immer an der Bonner Republik festzumachen.

Heinrich Böll werde weltweit gelesen. Konflikte wie in dem Weltbestseller „Ansichten eines Clowns“ über die Weigerung des Einzelnen, sich in kollektive Ordnungsprinzipien einzuordnen, kämen in allen Gesellschaften vor. „Die Themen sind nicht so zeitgebunden, wie die Leute immer denken.“

Für Generationen von Schülern war „Die verlorene Ehre der Kartharina Blum“ über verleumderische Pressehetze Pflichtlektüre. 1961 habe die Böll-Auflage nach Verlagsangaben 10 Millionen betragen, davon 2,4 Millionen „Katharina Blum“, sagte der Germanist am Böll-Archiv, Markus Schäfer. Im vergangenen Jahr habe der Schulklassiker noch eine Auflage von 34.000 gehabt. „Wie Böll den Mensch und die Individualität betrachtet hat, das ist interessant - dass sie nicht mit der Zeit gehen, dass sie etwas außerhalb des Mainstreams stehen.“

Böll war kein Chronist, aber man muss ihn vor dem Hintergrund seiner Zeit verstehen. Für jüngere Menschen, die nicht einmal mehr die Mauer erlebt haben, ein Problem. Darauf antwortet die Werkausgabe Heinrich Bölls „Kölner Ausgabe“ mit Hintergründen zu Zeit, Geschichte und Personen. Dass die letzten drei der 27 Bände 25 Jahre nach dem Tod Bölls erscheinen, sei Zufall, sagte René Böll. „Die Texte werden ganz neu wahrgenommen werden. Gerade von den jüngeren Lesern.“

Zum 25. Todestag gibt die Heinrich-Böll-Stiftung den Bildband „Ansichten - Die Romanskizzen Heinrich Bölls“ heraus. Sie beleuchtet die kaum bekannte Arbeitsweise des Schriftstellers. Er „komponierte“ seine Romane mit farbigen Skizzen, mit Aquarell oder Buntstiften. „Er brauchte Visualisierung und hat darauf richtig großen ästhetischen Wert gelegt“, sagte Lektor Bernd Rheinbach. Mit dem Buch wolle die Stiftung eine gewisse Neugier befriedigen. „Die Leute wollen wissen, wie arbeiten Künstler.“

Bölls publizistische Arbeit sei „ungeheuer wichtig“ gewesen, stellte Reich-Ranicki fest. „Nicht jede Generation kann erwarten, dass sie einen Böll hat. Das Land muss dankbar sein für einen, den es hatte.“

Weblink:

Heinrich Böll

 


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