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Das Phänomen Großstadt

Franziska Bollereys Buch zeigt Städte in ihrer Entartung und ihrem Zerfall

© Die Berliner Literaturkritik, 01.09.10

Von Klaus Hammer

Großstadtkunst – das ist eine Kunst, die in den Schluchten von Manhattan, in den Industriehinterhöfen an der Peripherie von Berlin oder in den Warehouses von East London entstanden ist. Eine Kunst, die aus der Reibung mit der Großstadt ihre Anregungen holt. Sie ironisiert das Leben in den Metropolen bis ins Extrem oder seziert die durch die Medien vermittelte Secondhand-Wirklichkeit oder setzt sie wieder mit den Mitteln der Kunst neu zusammen. Sie filtriert und verschlüsselt diese Welterfahrung durch eine konzeptuelle Haltung in den unterschiedlichen Medien, die sie in Anspruch nimmt, wobei Schönheit und Gewalt, Sexualität und Verdinglichung, Freiheit und Vereinzelung das Spektrum des Menschlichen im Kontext dieser Kunst anzeigen.

Wie haben Schriftsteller, Künstler, Fotografen, Theater- und Filmregisseure, Architekten den „Mythos Metropolis“ geprägt? Franziska Bollerey, Architektur- und Stadtbauhistorikerin an der Universität Delft (Niederlande), gibt eine assoziative Collage aus Bildern und Texten, Zitaten und Interpretationen, um zu zeigen, wie die Künste und Künstler in den letzten drei Jahrhunderten das Phänomen Großstadt beurteilt haben. Dabei kommen die Interpretationen allerdings zu kurz, die Autorin belässt es oft bei einer Zitaten- und Bilderlese, die allerdings für sich spricht. In einem anschließenden Essay warnt sie vor einem zunehmenden „marketing image“ der metropolitanen Stadt und fordert den Leser auf, an einer Zukunft der Metropole mitzubauen.

Faszination und Elend, Apotheose und Apokalypse – das war die Stadt für die Literaten, Künstler, Regisseure, Philosophen, Soziologen und Historiker. Wir haben es mit einer aggressiven oder sanften „Ausbeutung“ von Bildern und Symbolen der Stadt zu tun. Eine aggressive Haltung tritt dort zutage, wo die Stadt zu einer Ware degradiert und zu einer Ressource für Immobilienmakler, Bauunternehmer und Spekulanten wird. Von einer „sanften Lesart“ kann man sprechen, wenn das Sujet Stadt Emotionen, Assoziationen, Phantasien zu wecken vermag, wenn es die Schöpfung neuer Bilder provoziert. Die Autorin zitiert Wim Wenders als ihren Gewährsmann für eine solche Haltung: „Städte erzählen keine Geschichten. Aber sie können etwas über GESCHICHTE erzählen. Städte können ihre Geschichte in sich tragen und können sie zeigen, sie können sie sichtbar machen oder sie können sich verbergen. Sie können Augen öffnen, so wie Filme oder sie können sie schließen“. Wenders verlegte  seinen  Film „Der Himmel über Berlin“ (1987)  aus dem Zentrum der damaligen Doppelstadt Berlin an den Stadtrand, in die Industriebrachen von Hennigsdorf, Rüdersdorf oder Oranienburg. „Diese leeren Flächen sind die Wunden“, so Wenders, „und ich mag die Stadt aufgrund ihrer Wunden. Sie vermitteln Geschichte besser als jedes Geschichtsbuch oder Dokument“.  Hier wird ein Stadtbild gegeben, das seine Bedeutung nicht aus der Vielzahl von Monumenten oder dem einen unverwechselbaren Monument als Symbol gewinnt, sondern sozusagen ein Bild als „Leseübung“ vermittelt: „Die Mauer, die erzählt“.

Daneben gibt es aber auch das Porträt der lauten, sich aufdrängenden Stadt: die Stadt der Quantitäten, der Schnelligkeit, der Überheblichkeit, des Lärms, des Lichts, der konkurrierenden Bilder und Zeichen – die Stadt als „Anhäufung von Zeichen“ (Michel Butor). Masse, Häufung, Schnelligkeit, Inkongruenz, Simultaneität, Dichte, Chaos charakterisieren die große Stadt und sie sind in immer wieder neuen Stadtbildern künstlerisch gestaltet worden, in ihren Überlagerungen und Simultaneitäten, mit den Mitteln der Collage und Montage. Schon Piranesi baute ab 1740 die Bauten des antiken Rom zu idealen Stadträumen einer neuen Metropole zusammen und Louis-Sébastien Mercier durchstreifte in seinem „Tableau de Paris“ (1781-88) wie ein Reporter die Metropole bis in seine letzten Winkel und bis zu den Ärmsten und Verkommensten. In der Malerei wie in der Literatur war es immer wieder der „Blick aus dem Fenster“, der die Alltagswelt des Gegenüber, das Häusermeer, die Menschenmenge, die Straße, den Hinterhof, die Hausfassaden einfängt. Die Metapher vom „Ozean“, vom „steinernen Meer“, von der Stadt, die das Land überflutet und in immer wieder neuen Wellenringen der Peripherie eine neue Peripherie vorlagert – so die Autorin – umfasst auch die Wahrnehmung der vielschichtigen kakophonischen, aber auch symphonischen Geräusche in der Stadt. „Riesenorchester, aufschwärmend in Tönen, / Ein Brausen, ein Rauschen, ein Rollen ein Dröhnen…“ (Fritz Engel, „Symphonie Berlin“, 1931). Diese Orchestrierung erhält theatralischen  und szenographischen Beistand durch die Einbeziehung von Tag und Nacht, Wetter und Jahreszeiten. Die Autorin zitiert Robert Musil wie Alfred Döblin, zeigt, wie in „Berlin Alexanderplatz“ Fülle und Masse in montierten Assoziationsketten bewältigt werden. Gerade mit der Montage versucht die Kunst eine neue Sinngebung: Materialien, die nicht zusammenpassen, werden aus ihren Herkunfts- und Funktionszusammenhängen gerissen, um sie in der künstlerischen Behandlung zu einem neuen Beziehungsgefüge zusammenzufügen, das dann wiederum geeignet ist, gerade auch über den ursprünglichen Zusammenhang eine Aussage zu geben. So war Walter Ruttmanns „Berlin. Die Sinfonie der Großstadt“ (1927) ein Musterbeispiel des Montagefilms, der außergewöhnliche Versuch, das Wesen der Metropole in einem Zeitraum von 24 Stunden und in den unterschiedlichsten sozialen Schichten zu erfassen. Fritz Langs Film „Metropolis“, ein Höhepunkt des expressionistischen Filmstils, der die Stadt als Bedrohung zeigt, wurde vor allem wegen seiner Filmarchitektur und seiner „special effects“ berühmt.

Auf der einen Seite also die Großstadt als Apotheose, die Metropole als Menschenwunder, auf der anderen Seite die Großstadt als Sündenbabel, ihre Entartung und ihr Verfall oder auch ihre Dämonisierung. In dieser Zerrissenheit, in diesem Zwiespalt zwischen Faszination und Erschrecken sieht die Verfasserin die Anziehungskraft der großen Stadt, wie sie immer wieder in Gemälden, Gedichten, Romanen und Filmen zum Ausdruck gekommen ist.

Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts schärft dann die Psychoanalyse den Blick für die Mechanismen im psychischen Haushalt des Städters, so die Autorin, die von den Wirklichkeitserfahrungen der ihn umgebenden Stadt ausgelöst werden. Das menschliche Bewusstsein antwortet auf die Erfahrungen von Verkehr, Tempo, Medien, Reklame, Industriedesign mit Nervosität, einer  „Steigerung des Nervenlebens“ (Georg Simmel),  mit neuen Formen einer Überlebenstechnik. Wie erobert sich der Künstler in psychischer und physischer Aneignung die Stadt, wie macht er sie zu seiner Existenzbedingung?  War das Zentrum der Großstadtmalerei im 19. Jahrhundert Paris – besonders das Paris der Impressionisten –, so ist die Großstadtmalerei des 20. Jahrhunderts – vor allem der 10er und 20er Jahre – zum größten Teil in Berlin entstanden. Gerade die Berliner Großstadtmalerei ist ein Abbild des Zusammenstoßes zwischen großstädtischer Tradition und den neuen geistigen, technischen und sozialen Herausforderungen des Jahrhunderts. Urteile über Paris, New York und Berlin belegen die Faszination der Künstler, Teil der großen Stadt geworden zu sein.

In dem anschließenden Essay „Europäische Metropolen im Wandel“  beschäftigt sich Franziska Bollerey dann mit drei Einzelaspekten der „urban culture“: der Frage nach dem Image und dem Symbolgehalt, nach der – auch politische Entscheidungen mit einbeziehenden – Gestaltung und nach der Vermarktung der Stadt. Auch wenn die Stadtbaukultur nun wieder ein ganz anderes Thema ist, sind ihre Überlegungen doch höchst bedenkenswert: Wie lässt sich eine verantwortungsvolle Haltung zur Stadt entwickeln? Jenseits der Vielfalt ist Stadtkultur auch Widerspruch und Konflikt, mit denen Städter wie Politiker umzugehen lernen müssen. Die Stadt verlangt auch das „Aushalten von Ambivalenzen“, wenn man Zukunft gestalten, Möglichkeiten einer sinnvollen Koexistenz suchen will. Mehr als stures Festhalten am Planungsbeschluss könnte sich auch die Revidierbarkeit von Planung und der „ironische Möglichkeitssinn“ als Ausdruck emanzipierter Stadtplanung erweisen.

In der Tat, die Verfasserin hat – wie sie selbst bekennt – keine systematische Gliederung ihres Buches gesucht, sondern „sich treiben lassen“, vornehmlich Zitate und Bilder aneinander gereiht, die für sich selbst sprechen sollen, ohne eingehender Interpretationen zu bedürfen. Für interessierte Laien eine aufschlussreiche, nachdenkenswerte Lektüre, aber auch Fachleute werden sich hier manche Anregung holen können.

Literaturangabe:

BOLLEREY, FRANZISKA: Mythos Metropolis. Die Stadt als Sujet für Schriftsteller, Maler und Regisseure. The City as a Motif for Writers, Painters and Film Directors. Deutsch und Englisch. 2., überarbeitete Auflage. Gebr. Mann Verlag, Berlin 2010. 150 S., 128 Abb., 19,80 €.Weblink:

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Gebr. Mann Verlag

 


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