Von Hanns-Jochen Kaffsack und Helen Hoffmann
ROM/HAMBURG (BLK) — Grenzen haben für Claudio Magris etwas Verbindendes. Der italienische Germanist und Autor begreift sie als Brücken, als eine Chance, etwas Getrenntes zu verknüpfen. Magris ist ein Grenzgänger zwischen Literatur und Philosophie, ein Flaneur durch die europäische Kultur. Weil er für ein Europa eintritt, das „seine geschichtliche und kulturelle Tradition und Vielfalt bedenkt und darauf beharrt“, wird der streitbare Wissenschaftler und Schriftsteller mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet.
Der heute 70-Jährige ist einer der wichtigsten Literaten Europas. Sein vielfältiges schriftstellerisches Schaffen, seine humanistische Haltung und offene Art haben ihm viel Bewunderung eingebracht. Magris gilt als einer der brillantesten Kulturpublizisten Italiens, als einer, der in allerbester italienischer Manier intellektuelles Feuerwerk liefert.
Auch in die Politik seines Landes hat sich der Vater zweier Kinder immer wieder eingemischt. Von 1994 bis 1996 saß er als unabhängiges Mitglied eines Linksbündnisses für die Grenzregion Triest im römischen Senat. Aus Enttäuschung über die Regierung unter Silvio Berlusconi gründete er 2002 mit Umberto Eco und anderen Persönlichkeiten aus Kunst und Kultur die Vereinigung „Libertà e Giustizia“ (Freiheit und Gerechtigkeit). Als Essayist und Kolumnist der Mailänder Tageszeitung „Corriere della Sera“ nahm er zu innen- und außenpolitischen Themen Stellung.
Seine Rolle als Vermittler zwischen verschiedenen Kulturen sieht er in engem Zusammenhang mit seiner Heimat Triest. Wer „an der Kreuzung der italienischen, slawischen und deutschen Welt“ zur Welt komme, für den sei die Toleranz ein ganz besonders wichtiger und gleichzeitig heikler Wert, schrieb Magris 2001 in einem Essay.
Erste internationale Bekanntheit erreichte Magris mit seiner Doktorarbeit „Der habsburgische Mythos in der österreichischen Literatur“ (1963), die in viele Sprachen übersetzt wurde. Das Werk gilt als moderner Klassiker der Literaturgeschichtsschreibung. Seine mitteleuropäische Spurensuche setzte der Schriftsteller, der in Turin und in Freiburg/Breisgau studierte, unter anderem mit „Donau. Biographie eines Flusses“ (deutsch 1988) erfolgreich fort.
Für seine Leistung erhielt der Sohn eines Versicherungsbeamten und einer Lehrerin zahlreiche Auszeichnungen. Darunter sind der Premio Strega (1997), der Prinz-von-Asturien-Preis (2004) und der Österreichische Staatspreis für Europäische Literatur (2005). Seit Jahren gilt Magris als Anwärter auf den Literaturnobelpreis.
Mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels hat Magris nicht gerechnet. „Ich war völlig überrascht“, sagte er der online-Ausgabe des „Börsenblatts des Deutschen Buchhandels“. Gleichzeitig gab er sich nachdenklich und bescheiden: „Es käme mir auch nie in den Sinn, damit zu prahlen. Ein solch großer Preis zwingt einen, ein bisschen Bilanz zu ziehen. Und diese Bilanz zeigt immer ein Defizit, von dem man hofft, dass die anderen es nicht bemerken.“