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Der Kulturauftrag des Fernsehens

Die Mühen der Ebenen

© Die Berliner Literaturkritik, 28.10.08

 

Von Wilfried Mommert

BERLIN (BLK) – „Ich habe es satt!“ rief Marcel Reich-Ranicki, als Ende 2001 der letzte Vorhang fiel zu einer der populärsten Literatursendungen im deutschen Fernsehen. Die letzte von ihm jahrelang geleitete und meist unterhaltsame Ausgabe des „Literarischen Quartetts“ kam damals aus dem Berliner Schloss Bellevue und der damalige Bundespräsident Johannes Rau würdigte dabei die populäre Sendung als einen Beweis dafür, dass Fernsehen und Literatur und Kultur allgemein keine Gegner sein müssen, sondern sich ergänzen und befruchten können.

Für den Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, Gottfried Honnefelder, ist Fernsehen ohne Literatur nicht denkbar, „denn jedem Film liegt ein Buch zugrunde, jedem Format mindestens mal ein geschriebener Text“, wie er zum jüngst wieder aufgeflammten Streit über qualitätsvolles Fernsehen der dpa sagte. „Öffentlich-rechtliches Fernsehen ohne ein Minimum an Verlangsamung und Nachdenklichkeit wird seinem Auftrag nicht gerecht.“

Damit scheint es nach wie vor zu hapern, wie nicht nur die aktuelle Debatte nach der harschen Philippika Reich-Ranickis und dem vorzeitigen, wohl auch selbst verschuldeten Aus für Elke Heidenreichs Sendung „Lesen“ zeigt. Auch Nachfolgesendungen des „Quartetts“ hatten entweder kein Glück oder fristen nach wie vor ein oft mitternächtliches Mauerblümchendasein im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, von den privaten Sendern mit ihrer Spaßdominanz ganz zu schweigen. Auch ein Ulrich Wickert musste mit seiner Büchersendung die Segel streichen. Und selbst immerhin so renommierte Sendungen wie „Aspekte“ im ZDF oder „Titel, Thesen, Temperamente“ in der ARD kommen in der Regel auch erst in der Stunde vor Mitternacht – nach dem Motto übrigens auch so mancher Kabinettssitzungen in diesem Lande: „Kultur zuletzt“ (diesen Titel gab auch ein ehemaliger Berliner Kultursenator seinen Memoiren).

Sind Fernsehen und Kultur und erst recht Fernsehen und Literatur eben doch zwei verschiedene Welten? Natürlich bejaht das niemand von den Verantwortlichen, vor allem nicht, wenn es um das gebührenfinanzierte öffentliche Fernsehen mit seinem gesetzlichen Kultur- und Bildungsauftrag geht. Dessen Spagat zwischen Zuschauerquote und Qualität scheint angesichts des Konkurrenzdrucks der Privaten immer schwieriger zu werden.

Der Anfang November scheidende langjährige ARD-Programmdirektor Günter Struve bemüht für diesen Konflikt sogar den Dichterfürsten Goethe mit dessen „Vorspiel auf dem Theater“ aus dem „Faust“ mit den Zeilen: „Denn freilich mag ich gern die Menge sehen, wenn sich der Strom nach unserer Bude drängt ... Die Masse könnt ihr nur durch Masse zwingen, ein jeder sucht sich endlich selbst was aus. Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen.“

Struve ist am Ende seiner Amtszeit auch nicht klüger als zuvor mit der (im jüngsten „ARD-Kulturbuch“) selbstgestellten und uralten Streitfrage: „Ist Kultur also, was gefällt? Oder doch eher, was gefallen sollte?“ Soll das Fernsehen also „kulturell missionieren“ und zum Beispiel „lesefaule“ Zuschauer in Hauptabendsendungen mit „Hochkultur“ beglücken oder bedrängen? Immerhin ist im Rundfunkstaatsvertrag der Auftrag für das Fernsehen formuliert, „Beiträge insbesondere zur Kultur anzubieten“. Aber was ist Kultur?

Für Struve muss die Definition dafür dem „Massenmedium Fernsehen“ und seinem Vollprogramm gerecht werden. Der ARD-Vorsitzende Fritz Raff vom Saarländischen Rundfunk warnt aber auch vor der „akuten Inflationsgefahr“ des Wortes Kultur, „wenn alerte Kulturmanager vom Glanz der Event-Kultur schwadronieren oder wenn auf fast allen Fernsehkanälen in dampfenden Koch-Shows und bei ‚Promi-Dinners’ deftig gewürzt die ‚Ess-Kultur’ beschworen wird“.

Struve verweist aber auch auf die Kultursender Arte und 3sat. Diesen „systemeigenen Kulturspartensendern“ dürfe man mit einer „Gegenprogrammierung“ nicht „den Garaus machen“. Deren Einschaltquote ist bescheiden genug. Sie erreichen laut Struve gerade mal ein Prozent des Publikums – bei nahezu hundertprozentiger Empfangbarkeit. Den „harten Kern der klassisch Kulturorientierten“ bilden seinen Angaben zufolge fünf Prozent der Bevölkerung. Der Verweis auf diese Spartensender sollte aber auch kein Freibrief für die großen Sender sein. So hatte schon die frühere Kulturstaatsministerin Christina Weiss (parteilos) gefordert, dass die Tagesschau eigentlich täglich auch eine Kulturmeldung enthalten sollte – für Weiss eigentlich „eine Selbstverständlichkeit“.

An Warnungen vor einer „kulturellen Ausdünnung und Trivialisierung“ auch der öffentlich-rechtlichen Programme bei ihrer Quotenjagd, auch im Hörfunk, hat es in den letzten Jahren nicht gefehlt. Gewarnt wurde, zum Beispiel von den Autoren Christa Wolf und Volker Braun, dem Komponisten Udo Zimmermann oder dem Filmregisseur Werner Schroeter, in der Berliner Akademie der Künste vor Programmreformen, „die gravierende Folgen für das kulturelle Leben unseres Landes haben“. Anspruchsvolle Wort- und Musiksendungen würden verdrängt, Feature-Termine gekürzt, Literatursendungen gestrichen oder auf unattraktive Sendeplätze verschoben.

Das brachte den damaligen WDR-Intendanten Fritz Pleitgen auf die Palme: „Die Mehrzahl der Zuhörer und Zuschauer sind nicht Mitglieder der Akademie der Künste, sondern Menschen, die wir erst für die Kultur gewinnen müssen! Unser Publikum ist noch wichtiger als Sie! Wir müssen das Publikum mit einer Sprache erreichen, die es auch versteht. Kultur muss man auch verkaufen können.“ Auch müssten die Sender auf veränderte Hör- und Sehgewohnheiten reagieren. Die großen Sender seien „keine kulturelle Beglückungsanstalt“. Offenbar sei den Künstlern auch nicht bekannt, dass die ARD der größte Kulturvermittler in Deutschland sei.


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