HAMBURG (BLK) – Im Februar 2011 ist das Buch „Das kalte Herz“ von Wolfgang Schmidbauer im Murmann Verlag erschienen. Es trägt den Untertitel „Von der Macht des Geldes und dem Verlust der Gefühle“.
Klappentext: In der Konsumgesellschaft leidet die seelische Reife. Die moderne Geldwirtschaft arbeitet gegen die Gefühle der Menschen. Der Kapitalismus zerstört die Empathie. „Dichter sehen noch zusammen, was die Wissenschaft trennt“, schreibt Wolfgang Schmidbauer in seinem neuen Buch. Von den früh vollendeten Dichtern, deren Tod Phantasien weckt, was aus ihnen noch alles hätte werden können, ist Wilhelm Hauff einer der bekannteren. Als sein wichtigstes Märchen gilt Das kalte Herz, Teil der Märchensammlung Das Wirtshaus im Spessart. Der Held dieses Märchens, der Kohlenmunk-Peter, will gerne mehr sein, als er ist, weshalb er sein Herz an einen Sendboten des Bösen verkauft, den Holländer-Michel, der das Holz aus dem Schwarz wald teuer in Holland verkauft und so der Repräsentant einer frühen Globalisierung wird. Symbol dafür ist das Herz aus Stein, das reich macht – und kalt bleibt, wenn die Armen klagen. Wie Peter sein Herz wiedergewinnt und was wir heute tun (und lassen) müssen, um unsere Gefühle nicht ganz zu verlieren, darüber gibt uns Wolfgang Schmidbauer in seiner luziden, mit zahlreichen Beispielen aus Familien- und Liebesbeziehungen ergänzten Analyse überzeugend Auskunft.
Wolfgang Schmidbauer ist Autor von zahlreichen erfolgreichen Büchern. Er studierte Psychologie und promovierte 1968 über „Mythos und Psychologie“. Gegenwärtig arbeitet er als Lehranalytiker, Paartherapeut und Autor in München. Er veröffentlichte über vierzig Bücher, darunter die Best- und Longseller „Hilflose Helfer“, „Die Angst vor Nähe“, „Alles oder nichts“. Im ZEITmagazin erscheint seine beliebte wöchentliche Kolumne „Die großen Probleme der Liebe“.
Leseprobe:
©Murmann Verlag©
1. Das kalte Herz
Aber ein Köhler hat viel Zeit zum Nachdenken über sich und andere, und wenn Peter Munk an seinem Meiler saß, stimmten die dunklen Bäume umher und die tiefe Waldesstille sein Herz zu Tränen und unbewußter Sehnsucht. Es betrübte ihn etwas, es ärgerte ihn etwas, er wußte nicht recht was.
Von den früh vollendeten Dichtern, deren Tod Phantasien weckt, was alles aus ihnen hätte werden können, ist Wilhelm Hauff einer der weniger bekannten. Er starb 25 Jahre alt, frisch promoviert, jung verheiratet, wenige Tage nach der Geburt einer Tochter. Die Erkältung, welche sich zu einem Nervenfieber verschlechterte, hatte Hauff sich auf dem Begräbnis von Wilhelm Müller (1794–1827), dem Dichter der von Schubert vertonten Winterreise, zugezogen.
Hauffs bekanntestes Werk, der Roman Liechtenstein, schildert bereits den Zusammenprall der Bauernaufstände mit einer noch idealisierten feudalen Tradition. Das Buch bewog einen schwäbischen Fürsten, die geschilderte mittelalterliche Feste detailgetreu nachzubauen, noch lange bevor Ludwig II. von Bayern durch solche Inszenierungen von sich reden machte.
Das kalte Herz wird kunstvoll in die Rahmenerzählung Das Wirtshaus im Spessart eingeschachtelt. Oberflächlich gesehen ist es eines der zahlreichen Märchen über den Pakt mit dem Bösen, gefärbt vom romantischen Optimismus: Rettung aus dem Abgrund, weil der nach Geld und Erfolg bei den Frauen gierende Kohlenpeter eine treue Ehefrau und einen hilfreichen Gegenzauber findet.
Hauff war ein Getriebener, er arbeitete rastlos. Er gönnte sich während seiner Infektion keine Ruhe, das mag seinen Tod beschleunigt haben. Auf jeden Fall spricht es dafür, dass er die Ängste, welche die Geschichte durchziehen, aus eigenem Erleben kannte: narzisstische Ängste, die er seinen Helden aussprechen lässt: Und wenn Peter Munk, rein gewaschen und geputzt, in des Vaters Ehrenwams mit silbernen Knöpfen und mit nagelneuen roten Strümpfen erscheint, und wenn dann einer hinter mir hergeht und denkt, wer ist wohl der schlanke Bursche? und lobt bei sich die Strümpfe und meinen stattlichen Gang – sieh, wenn er vorübergeht und schaut sich um, sagt er gewiß: „Ach, es ist nur der Kohlenmunk-Peter.“
Peter Munk will nicht nur mehr sein, als er ist; er will auch etwas anderes sein. Wir können ihn uns als ödipalen Sieger vorstellen: früh verwaist, einziger Sohn einer Mutter, die ihn verehrt und ihm die Wünsche von den Augen abliest, ihn in seinen Größenwünschen unterstützt, ohne ihm den Halt zu bieten, den der Vater geben könnte. Wunder freilich kann sie nicht tun. Sie kann ihrem Liebling kein neues, anderes, besseres Leben schenken.
Das können die beiden Waldgeister, die zugleich für das natürliche Kapital des Waldes stehen: das Glasmännlein für die Glashütten, die im Schwarzwald wie im Bayerischen und Böhmerwald entstanden und dort frühe Formen der Industrialisierung schufen, der Holländer-Michel aber für die Flößerei. Wem es gelang, hohe Tannenstämme rheinabwärts bis nach Holland zu flößen, der kehrte mit hohem Gewinn zurück und konnte diesen über die Jahre hin verdoppeln, ganz anders als der Holzhändler vor Ort.
Hauffs Geschichte ist nicht naiv, obwohl sie den tragischen Niedergang der traditionellen Wirtschaft märchenhaft auflöst. Der Dichter zeigt die Verführung der Menschen durch die neuen Verdienstmöglichkeiten. Während das Glasmännlein darauf besteht, dass Peter mit den geschenkten Möglichkeiten vernünftig umgeht, nutzt sie der böse Holländer-Michel, um dem gescheiterten Glasmacher sein fühlendes Herz abzuluchsen.
Was Peter Munk ins Verderben stürzt, ist sein Neid auf den reichen Ezechiel, einen erfolgreichen Floßherrn, der im Wirtshaus mit Goldstücken um sich wirft, ansonsten aber hartherzig und geizig ist, und sein Neid auf den Tanzbodenkönig, der von allen Frauen nicht nur als Tänzer begehrt wird. Wie der Leser nach und nach erfährt, sind die beiden längst dem Teufel verschrieben, in ihrer Brust sitzt ein Herz aus Stein. Indem er ihnen nacheifert, versäumt Peter, die schöne Glashütte recht zu versorgen, die ihm das Glasmännlein geschenkt hat.
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Dieser gute Waldgeist hat Peter ermahnt, er müsse sich auch den rechten Verstand wünschen, nicht nur das eindrucksvolle Gewerbe. Ihr seid ein sonderbar Geschlecht, ihr Menschen! Selten ist einer mit dem Stand ganz zufrieden, in dem er geboren und erzogen ist, und was gilt’s, wenn du ein Glasmann wärest, möchtest du gern ein Holzherr sein, und wärest du Holzherr, so stünde dir des Försters Dienst oder des Amtmanns Wohnung an. Aber es sei: Wenn du versprichst, brav zu arbeiten, so will ich dir zu etwas Besserem verhelfen, Peter. Ich pflege jedem Sonntagskind, das sich zu mir zu finden weiß, drei Wünsche zu gewähren. Die ersten zwei sind frei; den dritten kann ich verweigern, wenn er töricht ist.
Aber statt Verstand wünscht sich Peter, stets so viel Geld zum Würfelspiel in den Taschen zu haben wie Ezechiel und besser tanzen zu können als der Tanzbodenkönig. So wird er der Spielpeter und der Tanzbodenkaiser genannt und ist jeden Tag im Wirtshaus, bis er dem Ezechiel in größter Gier alles Geld im Spiel abgewinnt – und mit einem Schlag selbst nichts mehr in der Tasche trägt.
Die Glasbläser in Peters Hütte haben gearbeitet, ohne dass jemand darauf achtete, ob ihre Werke auch verkäuflich seien. Am Ende erdrückt die Schuldenlast das Gewerbe, Peter wird mit Schande davongejagt. Jetzt liefert er sich dem Bösen aus. Der Holländer-Michel geht geschickt vor; er lädt Peter in sein Haus ein und erzählt ihm in leuchtenden Farben von seinen Reisen. Dann redet er ihm zu, doch einmal recht zu bedenken, dass es sein Mitgefühl, Mitleiden, seine Ängste und Rücksichtnahmen gewesen seien, die ihn ins Unglück gestürzt hätten.
Du hast, nimm es mir nicht übel, hundert Gulden an schlechte Bettler und anderes Gesindel weggeworfen; was hat es dir genützt? Sie haben dir dafür Segen und einen gesunden Leib gewünscht; ja, bist du deswegen gesünder geworden? Um die Hälfte des verschleuderten Geldes hättest du einen Arzt gehalten. Segen, ja ein schöner Segen, wenn man ausgepfändet und ausgestoßen wird! Und was war es, das dich getrieben, in die Tasche zu fahren, so oft ein Bettelmann seinen zerlumpten Hut hinstreckte? – Dein Herz, auch wieder dein Herz, und weder deine Augen noch deine Zunge, deine Arme noch deine Beine, sondern dein Herz; du hast dir es, wie man richtig sagt, zu sehr zu Herzen genommen.
So wird Peter neugierig und möchte wissen, was er denn tun kann gegen seine lästigen Gefühle. Aber wie kann man sich denn angewöhnen, daß es nicht mehr so ist? Ich gebe mir jetzt alle Mühe, es zu unterdrücken, und dennoch pocht mein Herz und tut mir wehe.
So kommt Peter in die Kammer, wo der Böse die Herzen aufbewahrt, die er ihren Trägern abgeluchst hat. Auf mehreren Gesimsen von Holz standen Gläser, mit durchsichtiger Flüssigkeit gefüllt, und in jedem dieser Gläser lag ein Herz; auch waren an den Gläsern Zettel angeklebt und Namen darauf geschrieben, die Peter neugierig las; da war das Herz des Amtmanns in E, das Herz des dicken Ezechiel, das Herz des Tanzbodenkönigs, das Herz des Oberförsters; da waren sechs Herzen von Kornwucherern, acht von Werbeoffizieren, drei von Geldmaklern – kurz, es war eine Sammlung der angesehensten Herzen in der Umgebung von zwanzig Stunden.
©Murmann Verlag©
Literaturangabe:
SCHMIDBAUER, WOLFGANG: Das kalte Herz. Von der Macht des Geldes und dem Verlust der Gefühle. Murmann Verlag, Hamburg 2011. 220 S., 19,90 €.
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