HERMANS, WILLEM FREDERIK: Das heile Haus. Aus dem Niederländischen von Waltraud Hüsmert. Mit einem Nachwort von Cees Nooteboom. Aufbau Verlag, Berlin 2011, 125 S., 16,99 €.
Von Roland H. Wiegenstein
In seinem Geburtsland Holland war Willem Frederik Hermans (1921-1995) stets umstritten, gleichwohl begann schon kurz nach seinem Tod eine auf vierundzwanzig Bände angelegte Gesamtausgabe seiner Werke zu erscheinen, die neben seinen Romanen und Erzählungen auch seine bissigen Polemiken enthält, mit denen er vor allem in seiner zweiten Lebenshälfte alles und jeden überzog. Er hasste den niederländischen Literaturbetrieb so sehr, dass er sich freiwillig ins Exil begab, nach Paris und später nach Brüssel. Und seine Landsleute lesen ihn dennoch, mochte er sie schmähen, so viel er wollte.
Ein Beispiel für seine lakonische, präzise Schreibweise ist die 1952 erschienene Novelle „Das heile Haus“, in der nur von Mord und Totschlag die Rede ist. Den namenlosen Ich-Erzähler, den wir uns als einen Partisanen vorzustellen haben, hat es irgendwo ins Niemandsland zwischen zurückweichenden Deutschen und der vorrückenden Roten Armee verschlagen, seine Einheit hat er verloren, er dringt ganz allein in ein leeres Haus, (eher ein Schloss) ein, bringt dessen Bewohner kaltblütig um und richtet sich in dem weitläufigen Gebäude so sicher ein, dass er sich gegenüber den das Haus für eine kurze Weile besetzenden Deutschen als Schlossherr ausgeben kann, ohne dass seine wahre Identität, die eines Partisanen entdeckt worden wäre. Als die zurückkommen, bringen die auch noch den deutschen Oberst um, den er gefangen genommen hatte, (er wird mit einer Klaviersaite erwürgt) und der Erzähler verlässt das zerstörte, in wütendem Hass geplünderte Haus, das ihm als Überlebensort gedient hat, ohne Bedauern.
Auf diesen Sadismus waren Hermans Landsleute nicht vorbereitet: dieser Partisan ist kein Held, sondern eine gut funktionierende Mordmaschine, der jede moralische Rechtfertigung für sein Tun längst abhanden gekommen ist. Dies wäre unerträglich, gelänge es dem Autor nicht, jede Situation derart mit Absurditäten aufzuladen, in eine surreale Atmosphäre zu versetzen, so, dass jede Gewalttat, die er genau schildert, eine kalte Plausibilität gewinnt. Dieser Namenlose weiß genau, was er tut – aber schon längst nicht mehr warum. „Drei tote Bewohner eines sadistischen Universums des Mutwillens und Missverständnisses, aus dem ein Entrinnen nicht möglich ist, jedenfalls nicht in diesem Buch“ – so hat Cees Nooteboom in einem Nachwort zu dieser deutschen Ausgabe dessen Quintessenz beschrieben. Und Hermans selbst lässt seinen Antihelden reflektieren. „Was man gesagt oder gezeigt bekommt, überzeugt nie, jeder Mensch weiß genau, dass er dem anderen nicht trauen kann. Geruch, die schwächste Fernwirkung, die sich durch Parfum zwar verdrängen, aber nie ganz unterdrücken lässt, kann nicht täuschen, weil er unablässig neu entsteht. Gestank gibt es immer, unveränderlich. Stinken ist das Einzige, was die Wahrheit sagt.“
Nooteboom entdeckt in dieser kristallklaren, bösen Prosa noch etwas anderes. „Hinter dem Mitleid, auch wenn es ein aggressives war, verbarg sich eine Form enttäuschter Liebe, ein Wort, das er selbst nie verwendet hätte.“ Das Mitleid Hermans muss man suchen in diesem mörderischen Text, aber man kann es finden – in Nebensätzen, in der Beschreibung eines uralten Mannes, der in einem abgeschlossenen Zimmer haust und Fische in einem Aquarium füttert. Sinnloses Tun in dieser Umgebung! Sinnlosigkeit ist das Mantra dieser Novelle. Man hat Hermans manchmal mit Céline verglichen, aber was dem deutschen Leser, zumal wenn er noch diesen Krieg erlebt hat, gewiss eher auffällt, ist die Nähe zu Ernst Jünger und dessen Weltkriegsromanen – und der Abgrund, der beide trennt. Mögen die Grausamkeiten auch ähnlich sein, Hermans fehlt das Pathos des Deutschen – er weist es soweit von sich wie möglich. Kein nationales Heldentum, nur die Destruktion des Menschlichen. Krieg hat nichts Heroisches: er ist nur sinnlose Zerstörung.