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Die deutsche Seele

Thea Dorn und Richard Wagner haben zusammen ein Buch geschrieben

© Die Berliner Literaturkritik, 16.11.11

MÜNCHEN (BLK) – Die Autoren Thea Dorn und Richard Wagner haben eine deutsche Kulturgeschichte der besonderen Art geschieben. Sie ist im November 2011 unter dem Titel „Die deutsche Seele“ im Knaus Verlag erschienen.  

Klappentext: Alle Debatten über Deutschland landen am selben Punkt im Abseits: Darf man das überhaupt öffentlich sagen, etwas sei „deutsch“ oder „typisch deutsch“? Kann man sich mit dem Deutschsein heute endlich versöhnen? Man muss es sogar, meinen Thea Dorn und Richard Wagner. Sie verspüren eine große Sehnsucht danach, das eigene Land wirklich kennen zu lernen, und machen Inventur in den Beständen der deutschen Seele. Ihr Buch ist eine erkenntnisreiche und unterhaltsame Reise an die Wurzeln unseres nationalen Erbes und geht durchaus ans Eingemachte. Obwohl es sich auch als Enzyklopädie lesen lässt, sind die Texte nicht aus nüchterner Distanz geschrieben. Auf diese Weise entstehen leidenschaftliche Plädoyers für bestimmte Merkmale des Deutschen, für ein damit verbundenes Lebensgefühl. Diese „Liebeserklärung” der Autoren ist ein sinnliches, reich bebildertes Buch, das die deutsche Seele einmal nicht seziert, sondern sie anspricht.

Thea Dorn, geboren 1970 bei Frankfurt am Main, machte eine Ausbildung in klassischem Gesang. Anschließend wandte sie sich dem Studium der Philosophie und Theaterwissenschaft in Frankfurt, Wien und an der Freien Universität Berlin zu, wo sie eine Zeitlang Dozentin für Philosophie war. Schon mit 24 veröffentlichte sie ihren ersten Roman „Berliner Aufklärung“, für den sie den Raymond-Chandler-Preis erhielt. Weitere Romane sowie Drehbücher und Theaterstücke folgten. Thea Dorn moderiert den Bücher-Talk-Sendung „Literatur im Foyer“ und den ARTE-Kulturtalk „Paris-Berlin. Die Debatte“. Thea Dorn lebt als freie Autorin in Berlin.

Richard Wagner wurde 1952 in Lovrin, Rumänien geboren. In Temeswar studierte er Germanistik und Rumänistik. Anschließend arbeitete Wagner als Deutschlehrer und Journalist. Er schrieb Lyrik und Prosa in deutscher Sprache. Wagner arbeitete als aktives Mitglied im Schriftstellerfreundeskreis Aktionsgruppe Banat, zu dem unter anderen auch Gerhard Ortinau, Rolf Bossert, William Totok, Johann Lippet und Ernest Wichner gehörten und dem Herta Müller und Horst Samson nahestanden. Nachdem ihm ein Arbeits- und Publikationsverbot auferlegt worden war, verließ Richard Wagner 1987 mit seiner damaligen Ehefrau Herta Müller Rumänien und siedelte nach Deutschland über. Heute lebt er als Schriftsteller in Berlin. Er veröffentlicht Erzählungen, Romane, Essays und Kritiken. Wagner ist Mitglied des publizistischen Netzwerks „Die Achse des Guten.“

Leseprobe: 

©Knaus Verlag ©

Bruder Baum

Mit Bäumen ist in Deutschland nicht zu spaßen. Vereisen im Winter die Gehwege,bricht sich das alte Mütterchen den Oberschenkelhals. Salz gestreut wird trotzdem nicht. Denn das wissen die Baumschutzbehörden zu vermelden: Streusalz ist eine echte Gefahr für unsere Straßenbäume. Und in Gefahr möchte das alte Mütterchen den Lindenbaum vor seiner Tür keinesfalls bringen. Schnitt sie nicht in seine Rinde so manches liebe Wort? Und fand sie nicht stets Ruhe dort, wenn ein falscher Bube ihr das Herz gebrochen? Bevor der alte Lindenbaum eine Blattrandnekrose riskiert, riskiert das alte Mütterchen den Oberschenkelhals.

Des Mütterchens rüstige Schwester fährt derweil nach Stuttgart, um sich dort an einen Baum zu ketten. Stadt, Land, Bund und Bahn möchten einen neuen Bahnhof bauen. Dafür aber sollen jahrhundertealte Platanen im benachbarten Schlossgarten gefällt werden. Die deutsche Seele blutet. Und kämpft. Umsonst. Die Platanen müssen ihr Leben lassen. Ihre Kronen werden abgesägt, ihre Stämme geschreddert, ihre Wurzeln aus dem Erdreich gerissen. Des Mütterchens rüstige Schwester sagt, sie habe seit dem Zweiten Weltkrieg nichts schrecklicheres gesehen. Die Bilder der schwäbischen Baumschützer bringen es bis in die New York Times.

Wer sich an Bäumen vergreift, dem ist nicht über den Weg zu trauen. Das weiß schon Reichsgründer Otto von Bismarck. In seiner Autobiografie „Gedanken und Erinnerungenurteilt er über Leo von Caprivi, der 1890 als sein Nachfolger ins Berliner Reichskanzlerpalais einzieht: „Ich kann nicht leugnen, dass mein Vertrauen in den Charakter meines Nachfolgers einen Stoß erlitten hat, seit ich erfahren habe, dass er die uralten Bäume vor der Gartenseite seiner, früher meiner, Wohnung hat abhauen lassen.“

Wäre der „Eiserne Kanzler“ bereit, die Schlichtungsverhandlungen im nächsten Baumkampf zu leiten? Oder würde er lieber im schattigen Garten seiner Altersresidenz sitzen bleiben, während vom Nachbargrundstück ein leises Lied herüberweht: „Mein Freund, der Baum, ist tot. Er fiel im frühen Morgenrot ...“

Holzfällen in Deutschland ist eine heikle Mission. Seit 723. Bei Geismar im heutigen Nordhessen stand einst eine mächtige Eiche. Sie war dem Wetter- und Gewittergott Donar geweiht. Die alten Germanen verehrten diese Eiche als eins ihrer wichtigsten Heiligtümer, erflehten in ihrem Schatten freundliches Klima und wanden ihr Kränze. Doch dann kam Bonifatius. Der christliche Missionar war aufgebrochen, den heidnischen Germanen zu beweisen, dass ihre Götter machtlos seien. Unter dem Schutz von Soldaten fällt er die Donar-Eiche. Kein Gewitter verdunkelt den Himmel. Kein Blitz erschlägt ihn. Aus dem Holz der Donar-Eiche lässt Bonifatius eine Kapelle bauen und weiht sie dem Heiligen Petrus. Die Chatten (Hessen) werden als erster germanischer Stamm außerhalb der schon zu Römerzeiten missionierten Rheinlande christlich. (An dieser Stelle eine kleine Empfehlung an den Chef der Deutschen Bahn: Sollten wieder einmal Platanen gefällt werden müssen – nicht schreddern, sondern Wartesaalbänke schreinern lassen.)

Obwohl die bedeutsamste Baumfällung in der Geschichte Deutschlands mit einem Triumph des Christentums endet, scheint sie dunkle Flecken auf der deutschen Seele hinterlassen zu haben. Ist es nicht subtile Rache für die Donar-Eiche, wenn der romantische Poet Max von Schenkendorf knapp tausendeinhundert Jahre später sein Gedicht „Der Dom zu Köln“ mit den Versen eröffnet: „Es ist ein Wald voll hoher Bäume, / Die Bäume seh’ ich fröhlich blüh’n, / Und aus den Wipfeln fromme Träume / Zum fernen Reich der Geister flieh’n.“

Tief im Innern der christianisierten Brust pocht noch immer das altgermanische Baumherz. Das schreckt auch nicht davor zurück, dem donnerndsten aller deutschen Christenmenschen, Martin Luther, von Wittenberg bis Schwieberdingen Eichen, Buchen oder Linden zu widmen, als habe es den Zwischenfall von 723 nie gegeben. Wer glaubt, der Reformator sei mit diesem postumen Götzendienst einverstanden – schließlich habe er selbst erklärt, er würde heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen, wenn er wüsste, dass morgen der jüngste Tag wäre – sei gewarnt: Das sonntagsbeliebte Zitat ist in Luthers Schriften nirgends zu finden. Zum ersten Mal taucht es in einem Rundbrief der hessischen Kirche vom Oktober 1944 (!) auf.

Der Deutsche sucht das Gespräch. Mit Bäumen. Der ertaubende Beethoven flieht, wann immer er kann, in die Natur und notiert dazu in seinem Notizbuch: „Mein unglückseliges Gehör plagt mich hier nicht. Ist es doch, als wenn jeder Baum zu mir spräche auf dem Lande, heilig! Heilig!“ Erich Kästner, sonst nicht gerade für sentimentalen Überschwang bekannt, dichtet in „Die Wälder schweigen“: „Die Seele wird vom Pflastertreten krumm. / Mit Bäumen kann man wie mit Brüdern reden / und tauscht bei ihnen seine Seele um.“ Und Hermann Hesse ist überzeugt: „Wer mit ihnen [den Bäumen] zu sprechen, wer ihnen zuzuhören weiß, der erfährt die Wahrheit.“ Fragt sich nur: Die Wahrheit worüber? Über sich selbst? Über das Wesen des Baumes? Das Wesen des Deutschen, Ring für Ring eingelagert im Gedächtnis des alten Stammes? Lauschen wir den Bäumen selbst!

©Knaus Verlag©

Literaturangabe:

DORN, THEA; WAGNER, RICHARD: Die deutsche Seele. Knaus Verlag, München 2011. 560 S., 26,99 €.

Weblink:

Random House


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