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Paolo Giordanos Debütroman

„Die Einsamkeit der Primzahlen“

© Die Berliner Literaturkritik, 30.09.09

MÜNCHEN (BLK) – Im August 2009 erschien Paolo Giordanos Debütroman „Die Einsamkeit der Primzahlen“ in deutscher Übersetzung im Blessing Verlag.

Klappentext: Ein einziger Tag in ihrer Kindheit, so scheint es, hat über ihr ganzes Leben entschieden. An einem solchen Tag verlor Alice für immer ihre Unbeschwertheit und das Vertrauen zu ihrem halsstarrigen Vater. Mattia hingegen verlor mit sechs Jahren seine Schwester, deren Hilfsbedürftigkeit er ein einziges Mal, für wenige Stunden, missachtet hatte. Seither quälen ihn Schuldgefühle, die er niemandem offenbart.

Sieben Jahre später lernen Mattia und Alice sich auf dem Gymnasium kennen. Die Anziehungskraft zwischen den beiden scheint unwiderstehlich. Jeder erkennt im anderen die eigene Einsamkeit. Alice ist der einzige Mensch, dem Mattia wenigstens einmal seinen Schmerz zu offenbaren wagt. Und umgekehrt würde sie nie einen anderen als ihn bitten, das Tattoo von ihrer Haut zu entfernen, mit dem sie ihre inneren Wunden gleichsam übermalen wollte. Doch mit den Jahren werden die Hindernisse, die die beiden einander unbewusst in den Weg legen, höher und höher. Bis sie sich entscheiden müssen.

Paolo Giordano wurde 1982 in Turin geboren, wo er auch Physik studierte und lehrte. Nach einigen Kurzgeschichten und Auftritten auf Literaturfestivals feierte er mit „Die Einsamkeit der Primzahlen“ ein sensationelles Romandebüt. Es war das meistverkaufte Buch Italiens im Jahre 2008. In der über 60-jährigen Geschichte des Premio Strega – des wichtigsten Literaturpreises in Italien – ist er der jüngste Preisträger überhaupt. Sein Roman wurde in 26 Länder verkauft. (hel)

Leseprobe:

©Blessing Verlag©

Alice Della Rocca hasste die Skischule. Sie hasste den Wecker, der auch jetzt in den Weihnachtsferien morgens früh um halb acht klingelte, und ebenso ihren Vater, der ihr beim Frühstücken zusah und dabei nervös mit dem Bein unter der Tischplatte wippte, wie um zu sagen: Los, beeil dich doch endlich. Sie hasste die Strumpfhose, die an den Oberschenkeln kratzte, die Skihandschuhe, in denen sie die Finger nicht bewegen konnte, den Helm, der ihre Wangen zusammenkniff und dessen Metallschnalle sich in ihren Unterkiefer bohrte, und vor allem diese Skischuhe, die viel zu eng waren und in denen sie wie ein Gorilla lief.

„Was ist denn? Trink doch endlich mal die Milch aus!“, drängte ihr Vater weiter. Und so kippte Alice eine halbe Tasse heiße Milch hinunter, die ihr zuerst die Zunge, dann die Speiseröhre und schließlich den Magen verbrannte.

„Na also. Und heute zeigst du ihnen mal, wer du bist“, sagte er.

Und wer bin ich?, dachte sie.

Dann schob er sie hinaus, eingemummt in den grünen, mit Abzeichen und phosphoreszierenden Sponsorenlogos übersäten Skianzug. Um diese Tageszeit war es zehn Grad minus draußen, und die Sonne war nur eine dunkle Scheibe im Grau des Nebels, der alles umhüllte. Alice spürte, wie die Milch in ihrem Magen rotierte, während sie durch den tiefen Schnee stapfte, mit den Skiern auf der Schulter, die man selbst tragen musste, solange man nicht so gut war, dass andere sie für einen trugen.

„Halte die Spitzen nach hinten, sonst erstichst du noch jemanden“, forderte ihr Vater sie auf. Am Ende der Saison schenkte der Skiclub jedem Mitglied eine Anstecknadel, die mit Sternchen besetzt war. Jedes Jahr ein Sternchen mehr. Die erste erhielt man mit vier Jahren, wenn man groß genug war, um den Liftbügel zwischen die Beine zu klemmen, die letzte, wenn man neun war und sich den Bügel selbst greifen konnte. Drei silberne Sternchen und dann drei goldene. Jedes Jahr eine neue Anstecknadel, die einem sagte, dass man näher herangekommen war an die Wettkämpfe, vor denen es Alice so grauste. Schon jetzt dachte sie daran, obwohl sie erst drei Sternchen besaß.

Treffpunkt war der Sessellift, punkt halb neun, wenn die Anlage geöffnet wurde. Alices Kameraden waren bereits eingetroffen. In einer Art Kreis standen sie da, wie kleine Soldaten eingemummelt in ihre Skiuniformen und starr vor Müdigkeit und Kälte. Sie hatten die Enden ihrer kurzen Skistöcke, die im Schnee staken, unter die Achseln geklemmt und stützten sich darauf. Mit ihren baumelnden Armen sahen sie aus wie eine Schar Vogelscheuchen. Keiner hatte Lust zu reden, am allerwenigsten Alice.

©Blessing Verlag©

Literaturangabe:

GIORDANO, PAOLO: Die Einsamkeit der Primzahlen. Aus dem Italienischen von Bruno Genzler. Blessing, München 2009. 368 S., 19,95 €.

Weblink:

Blessing


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