Von Jens Südkamp
„Du warst Klarheit, jetzt bist du nur Rätsel noch,
dort, wo die Erde endet,
wie der schroffe Rand einer Klippe“
Mit diesem Gedicht von Yves Bonnefoy gelangen wir in die Welt der Lehrerin Anna und ihres geliebten Edo, des Fussballers, der seine Karriere beendet, um eine Buchhandlung zu eröffnen. Doch dann verliert Edo plötzlich sein Gedächtnis und verschwindet. Die Jahre ziehen ins Land, ihre gemeinsamen Töchter Laura und Marguerita werden erwachsen, und bald schon wird Anna sechzig. Keine Spur von ihrem Gatten, und dennoch wartet sie, hofft sie, erinnert sich, spricht mit ihm. Sogar die letzte Stange Zigaretten liegt unberührt in der Schublade bei den Strümpfen.
Beinahe zu perfekt scheint diese Welt zu sein, aus der Anna schöpft. Umgeben von zahlreichen Geistern wie Horaz oder García Lorca, schwebt sie in zeitweise beängstigender Detailtreue entlang ihrer großen Liebe, und das, obwohl ihre Freunde und Verwandten es lediglich aus Mitleid nicht übers Herz bringen, der offenbar Verwirrten ihre Sehnsucht auszutreiben.
Cotroneo liefert Fragmente voller Informationen, die uns erscheinen „wie ein ununterbrochenes Gedicht“. Es überschreitet die Grenzen zwischen Raum und Zeit so selbstverständlich wie Edo Palmieri selbst, den Anna mit allen Sinnen wahrzunehmen imstande ist. Je weiter man liest, desto schneller begreift man, dass „Diese Liebe“ vor allem ein selbstreflexiver Roman ist, dem es durch seine ungewöhnliche Struktur möglich ist, auf eine Art und Weise sentimental zu sein, die oberflächlich betrachtet nah an der Grenze zu Kitsch und Trivialität wandelt, diese jedoch niemals überschreitet.
Aus der unschuldigen Romantik dieser Träume und Erinnerungen kristallisieren sich jedoch im Verlauf immer deutlicher werdende Konzepte der Realität heraus, die uns am Ende des Romans einem ungeheuren Überraschungsmoment aussetzen. „Beginn, Degeneration, Ursprung, Ende, Verlauf, Ungewissheit, Materie, Weg, Zeit“, sind die Begriffe, mit denen wir konfrontiert werden.
Literaturangabe:
COTRONEO, ROBERTO: Diese Liebe. Übersetzt aus dem Italienischen von Karin Krieger. Suhrkamp / Insel Verlag, Frankfurt am Main 2008. 158 S., 17,80 €.
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