Von Haiko Prengel
FRANKFURT (ODER) (BLK) - Es war viel Ehrung für einen Außenseiter. Heinrich von Kleist, geltungssüchtig, aber zeit seines Lebens verschmäht, hätte das Spektakel wohl als Genugtuung empfunden. Mit einem großen Festakt ist am Freitag in seiner Geburtsstadt Frankfurt (Oder) feierlich das Kleist-Jahr 2011 offiziell eröffnet worden. So viel Aufmerksamkeit hat die Grenzstadt lange nicht mehr gehabt.
Auch Kleist war nahezu ein Niemand, als er sich vor 200 Jahren mit seiner Vertrauten Henriette Vogel am Kleinen Wannsee bei Berlin erschoss. Selbst die eigene Familie hieß ihn ein „nichtsnütziges Glied der Gesellschaft“. Erst posthum avancierte der Verfasser von Werken wie „Der zerbrochene Krug“, „Hermannsschlacht“, „Der Prinz von Homburg“ oder „Michael Kohlhaas“ zum Klassiker. Heute gilt Heinrich von Kleist als einer der größten deutschen Dichter - sein Lebenswerk stehe in besonderer Weise für das „Erbe unserer Kulturnation“, befand Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU) am Freitag (4.3.) bei einem Festakt.
Unterstützen Sie dieses Literaturmagazin: Kaufen Sie Ihre Bücher in unserem Online-Buchladen - es geht ganz einfach und ist ab 10 Euro versandkostenfrei! Vielen Dank!
Grund genug also zum Feiern für die Stadt Frankfurt (Oder), die meist weniger Spannendes zu bieten hat und der seit Jahren die Einwohner davonlaufen. Sie ließ ihren bekanntesten Sohn zwei Jahrhunderte nach dessen Freitod wieder „richtig aufleben“.
Den Anfang machte am Freitag ein erster Spatenstich für den 5,4 Millionen Euro teuren Erweiterungsbau des Kleist-Museums. Anschließend wurde die „Kleist-WG“ besichtigt, ein ambitioniertes museumspädagogisches Projekt insbesondere für Schüler und Jugendliche. Abrunden sollte den Festtag eine Theaterversion der Kleist-Novelle „Das Erdbeben in Chili“. Das sprachliche Meisterstück erzählt vom Zufall im Leben, der jede Sinnsuche rasch ad absurdum führen kann.
Bis zu Kleists Todestag am 21. November wird es etliche Unternehmungen geben, um den Dichter über die germanistischen Seminare hinaus wieder ins kollektive Gedächtnis zurückzuholen. Das Maxim Gorki Theater in Berlin etwa will von „Amphitryon“ bis „Penthesilea“ alle acht Dramen Kleists auf die Bühne bringen, außerdem sind mehrere Projekte zu seinem erzählerischen Werk geplant. Von Mai an zeichnet in Berlin und Frankfurt (Oder) die Doppelausstellung „Kleist: Krise und Experiment“ das kurze, aber intensive Leben von Kleist nach. Sogar in Italien, Österreich und der Schweiz sind Veranstaltungen rund um den Poeten mit dem Kindergesicht geplant.
Bleibt die Frage, ob auch wieder mehr Menschen Kleists epochale Werke lesen werden. In Gymnasien und Universitäten mögen seine Dramen und Erzählungen Pflichtlektüre sein, an den Theatern ist er auch weiter gefragt. In der Freizeit greifen die Deutschen aber lieber zu gefälligerer Belletristik und „Autobiografien von irgendwelchen Moderatoren“, wie die Gegenwartsautorin Sibylle Berg jüngst in einem Kleist-Spezial der „Zeit“ beklagte: „Keiner liest Kleist.“
In vielen Bücherregalen wird der Ausnahmedichter also womöglich ein Außenseiter bleiben. Dies zu verhindern, sei nun die eigentliche Aufgabe, sagte Hortensia Völckers von der Bundeskulturstiftung. Insbesondere jungen Leuten müsse Heinrich von Kleist, „dieser wunderbare Künstler“, wieder näher gebracht werden.