Werbung

Werbung

Werbung

Fußball & Migration

Charles Lewinskys Kampf gegen Vorurteile

© Die Berliner Literaturkritik, 08.01.10

MÜNCHEN (BLK) – Im November 2009 ist das Buch „Doppelpass“ des Schriftstellers Charles Lewinsky im Nagel & Kimche Verlag erschienen.

Klappentext: In der Weltwoche schreibt Charles Lewinsky derzeit einen Roman in fünfzig Folgen, über einen Fußballstar und einen illegalen Immigranten - und darüber, wie Scharfmacher in Politik und Boulevardpresse mit beiden umgehen. Hintersinnig und scharfzüngig nimmt Lewinsky, der unter anderem mit seinem Roman „Melnitz“ zu einer wichtigen Stimme der Gegenwartsliteratur in der Schweiz geworden ist, unsere offenen und versteckten Vorurteile aufs Korn.

Der 1946 geborene Charles Lewinsky lebt in Zürich und arbeitet dort als Dramaturg, Regisseur und Redakteur sowie seit 1980 als freier Autor. Neben Hörspielen und Theaterstücken schreibt er auch Romane. (ros)

Leseprobe:

©Nagel & Kimche Verlag©

Der Lastwagen hielt ohne Vorwarnung an. Er hörte den metallischen Schlag, mit dem die Heckklappe entriegelt wurde, und dachte erschrocken: ‚Wir sind in eine Kontrolle geraten.’ Die Kisten, die sein Versteck umgaben wie eine Mauer, wurden zur Seite geschoben. Er hätte sich gern unsichtbar gemacht, aber da war kein Spalt mehr, in dem er sich hätte verkriechen können. Dann fiel auch schon Licht zu ihm herein, nicht grell und blendend, wie er es erwartet hatte, sondern mild und gedämpft. Es musste schon Abend sein. Der Mann, der da stand, trug keine Uniform, nur eine Windjacke über einem T-Shirt. Der Fahrer, wenn es auch nicht derselbe war, den er beim Ein steigen gesehen hatte. Der Mann kratzte sich am Bauch und sagte etwas in einer rauen, fremden Sprache. Es konnte „Hier sind wir“ bedeuten oder „Aussteigen“ oder ganz einfach: „Hau ab!“ Man musste die Worte nicht verstehen; die Geste war so eindeutig wie die Ungeduld. Seine paar wenigen Habseligkeiten waren schnell ein ge sammelt. Den Mantel, der ihm zusammengerollt als Kopf­kissen gedient hatte, zog er an. Damals im Auffanglager hatte er ihn sich aus einer Kleiderspende herausgesucht. Die andern hatten ihn dafür ausgelacht und Marabu genannt, denn der Mantel war zu lang, und manchmal stolperte er über den Saum. Aber er wärmte, und nur darauf kam es an. Sein einziges Reisegepäck war eine blaue Plastiktasche mit dem Logo einer Fluggesellschaft. Irgendwann einmal, das hatte er sich vorgenommen, würde er zum Flughafen gehen und einfach einsteigen. Ein steigen und nach Hause fliegen. Einen Mantel mit Pelzkragen würde er dann anhaben, und ein Angestellter würde ihm die Tasche hinterher tragen. Irgendwann einmal. Als er von der Ladefläche auf die Strasse sprang, knickten seine Knie ein. Er hatte sich allzu lang nicht richtig bewegen können. Der Mann schob ihn mit einer hastigen Bewegung zur Seite und verriegelte die Heck klappe wieder. Er nickte ihm nicht zu, bevor er zur Fahrerkabine zurückging, schaute ihn nicht einmal an. Aber an der nächsten Kreuzung ließ er die Bremslichter aufleuchten, und das konnte man, wenn man wollte, als Abschiedsgruss deuten. Dann war er allein. Das erste, was ihm auffiel: Die Strasse war so sauber. Eine andere Sauberkeit als er sie kannte. Nicht als ob gerade eine Putzkolonne um die Ecke gebogen wäre, sondern als ob hier gar niemand wohnte, als ob sich hinter den Hecken auf beiden Seiten gar keine Häuser versteckten sondern nur unbebautes Land. Oder als ob die Menschen hier gar nicht auf den Gedanken kämen, etwas wegzuwerfen. Obwohl sie doch so viel hatten. Da lag nirgends ein Papierfetzen. Keine Zigarettenpackung und keine Melonenschale. Gab es hier überhaupt Melonen? Bestimmt. Hier gab es alles, hatte Vetter Tom geschrieben. ‚Man kann hier alles kaufen’, hatte in einem Brief gestanden. ‚Man muss nur genug Geld haben’. Oft hatte er ja nicht geschrieben, oder vielleicht waren manche Briefe auch unterwegs verloren gegangen. Der Weg war weit, durch zwei Kontinente und über das Meer, und der Mann, der einmal in der Woche den Postjeep fuhr, war meistens betrunken. Aber wenn eine Nachricht gekommen war, aus dieser fremden Welt, dann hatten sie sie alle gelesen. Oder sich vorlesen lassen. Eine Nachricht aus der Schweiz. Von Vetter Tom, der mit ihm um drei Ecken verwandt war. Vetter Tom mit den goldenen Füssen. Manches hatten sie nicht verstanden, und hatten es sich ausdeuten müssen wie ein Rätsel. ‚Ich habe jetzt ein Haus’, hatte Vetter Tom einmal geschrieben. ‚Es gehört nicht mir, aber es ist doch mein eigenes.’ Darüber hatten sie lang diskutiert.

©Nagel & Kimche Verlag©

Literaturangabe:

LEWINSKY, CHARLES: Doppelpass. Ein Fortsetzungsroman Nagel & Kimche Verlag, München 2009. 320 S., 19,90 €.

Weblink:

Nagel und Kimche Verlag


Bookmark and Share

BLK mit Google durchsuchen: