Von Christof Kerkmann
HAMBURG (BLK) Kunst oder geistiger Diebstahl? Die Jungautorin Helene Hegemann hat mit der freizügigen Auslegung des Urheberrechts bei ihrem Debütroman für heftige Debatten gesorgt. Ganze Passagen aus einem Blog finden sich in „Axolotl Roadkill“ wieder. An ihrem 18. Geburtstag am kommenden Freitag (19. Februar) stellt Hegemann ihren durchaus frei zusammengemixten Roman offiziell vor. Dabei ist die Einstellung der jungen Autorin nicht ungewöhnlich - zumindest nicht für die „Generation Internet“. Das Kopieren liegt vielen Nutzern quasi im Blut, und auf ihren Rechnern zu Hause entsteht aus Texten, Bildern und Videos etwas Neues: ein Remix.
Dass Künstler sich bei anderen Kreativen Inspiration holen oder gar ganze Textpassagen übernehmen, ist nichts Neues. „Kopieren ist gängige kulturelle Praxis“, sagt der Mediensoziologe Volker Grassmuck. Auch Geistesgrößen wie Goethe und Beethoven klauten ungeniert. Aus Alt mach Neu einige Künstler haben dieses Prinzip längst zur Kunstform erhoben, indem sie Collagen aus anderen Werken machten.
Heute ist das Kopieren und Bearbeiten jedoch einfacher denn je. „Im Internet entsteht eine virtuelle, multimediale, globale Gesamt-Bibliothek“, sagt Grassmuck, der als Gast-Professor im brasilianischen São Paulo arbeitet. Immer mehr Texte, Bilder und Videos sind nur noch einen Klick entfernt. Und dank dem Computer als Universal-Werkzeug könne jeder Laie am Schreibtisch Texte, Musik und Videos erstellen oder eben herunterladen und bearbeiten. Dafür hat sich ein Begriff etabliert, der aus der lauten Welt der DJs stammt: Remix.
Der Remix hat die Diskotheken und Ateliers dieser Welt längst verlassen. „Für die neue Generation von Internet-Nutzern ist kennzeichnend, dass sie Inhalte mit großer Selbstverständlichkeit zusammenwürfelt und rekonfiguriert“, sagt der Forscher Urs Gasser, der an der Universität Harvard das Zentrum für Internetforschung leitet. An den Rechnern weltweit wird gemixt, was Tastatur und Maus hergeben.
Manchmal entstehen dabei echte Kunstwerke. Der Hip-Hop-Produzent Danger Mouse mischte 2004 das „White Album“ der Beatles mit dem „Black Album“ des Rappers Jay-Z zum „Grey Album“ - urheberrechtlich nicht sauber, aber künstlerisch auf höchstem Niveau. Der israelische Musiker Kutiman spielte virtuos mit privat erstellten Musik-Videos von YouTube und erstellte daraus neue funkige Songs, die auf dem Portal thru-you.com zu finden sind.
Viele Mischer sind nicht unbedingt Künstler, sondern Liebhaber. Fans der „Star Wars“-Saga schnitten etwa den Film „Episode I – Die dunkle Bedrohung“ (original: „Phantom Menace“) neu. Begründung: Das Original habe sich vom ursprünglichen Stil des Regisseurs George Lucas entfernt. Andere dichten ihren fiktiven Stars ein Sexualleben an was die Originalautoren oft aussparen. Selbst der düstere Zauberlehrer Severus Snape aus den „Harry Potter“-Büchern kommt so zu romantischen Momenten.
Oft dient der Remix auch als politisches Kampfmittel. Das erlebte beispielsweise Wolfgang Schäuble, heute Finanzminister, in seiner Zeit als Chef des Innenressorts. Als ein Wahlkampfplakat mit dem CDU-Politiker erschien, rief der Blog Netzpolitik.org dazu auf, „schönere Slogans abseits der Partei-PR zu bauen“. Einer der rund 1000 Vorschläge: „Wir zur Vorratsdatenspeicherung: Yes, We Scan!“
Längst nicht alle „Mashups“ - so der gängige Begriffe für die Mix-Inhalte sind aber künstlerisch oder kreativ. Zahlreiche YouTube-Videos haben einen neuen Soundtrack verpasst bekommen - mehr nicht. Und im berüchtigten Internetforum 4chan montieren die Besucher hin und wieder im Schutz der Anonymität die Köpfe bekannter Menschen auf die Körper von Pornodarstellern.
Die Gesetze sind den meisten Mischern entweder egal oder nicht bekannt. „Wenn man junge Menschen nach Urheberrechtsregeln befragt, herrscht ein großes Unwissen“, sagt Urs Gasser. Dennoch gebe es durchaus ein Gerechtigkeitsempfinden, hat der Mitautor des Buches „Generation Internet“ beobachtet: „Die Mehrheit findet es in Ordnung, Inhalte zu verwenden und zu verändern. Aber es gilt als fair, die Quelle zu nennen.“
Helene Hegemanns Verhalten passt zu diesem „Copy & Paste“-Ethos: Sie berief sich auf das „Recht zum Kopieren und zur Transformation“, bedauerte allerdings, dass sie so „gedankenlos und egoistisch“ war, die Quellen nicht zu nennen. Das Remixen seiner Texte findet auch der plagiierte Blogger Airen nicht so schlimm - im Gegenteil: „Das Buch entspricht meinem literarischen Stilempfinden und hat seinen Erfolg verdient“, sagte er dem Magazin „Stern“. Nur auf sein Urheberrecht wolle er nicht verzichten.
Der aktuelle Fall zeigt auch, wie die Ökonomie der Aufmerksamkeit im Zeitalter von Blogs, Facebook und Twitter funktioniert: Nachdem der Inhalte-Klau ruchbar wurde, war die Kleinstauflage von Airens Roman „Strobo“ binnen kurzer Zeit ausverkauft, der Blogger kam in vielen Interviews zu Wort. So profitieren beide - Original und Remix.
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