CASTILLO, ERNESTO: loveiathan. Mit 39 Zeichnungen von Frederique Loutz. VOIXédition, Elne 2010. 72 S., 20 €.
Von André Jahn
Außer durch die Teilnahme als einziger Vertreter der Lyrik an der Schlussrunde des letztjährigen Wartholz-Preises ist der aus Berlin stammende deutsche Dichter Ernesto Castillo, der trotz deutsch-kolumbianischer Wurzeln, kein Nachfahre des gleichnamigen symbolistischen Dichters des neunzehnten Jahrhunderts ist, bislang nur durch die Veröffentlichung einzelner Gedichte in Zeitschriften und im Netz hervorgetreten. Kürzlich ist nun sein erster deutschsprachiger Gedichtband mit dem Titel „loveiathan“ in der VOIXédition aus Elne in Frankreich erschienen.
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Die dreißig „loveiathan“-Gedichte sind alle während eines längeren, gemeinsamen Aufenthalts mit der Zeichnerin Frédérique Loutz, von der die wunderschönen Illustrationen stammen, in einem abgelegenen Weingut in der Nähe der Pyrenäen entstanden. Das Chateau de Jau ist sowohl unter Weinkennern als auch unter Kunstkennern ein Begriff. Dort finden seit dreißig Jahren Ausstellungen international anerkannter Künstler wie Antoini Tápies oder Gérard Gasiorowski statt.
Vielleicht hat die Abgeschiedenheit dieser Gegend den Städter Castillo, der vor dem Bionadebiedermeier nach Paris immigriert ist, dazu inspiriert, dass Leviathan-Motiv aufzugreifen, indem die inneren Widersprüche und die Zerrissenheit von Gottes schönstem Tier, was Leviathan wörtlich übersetzt heißt, thematisiert wird. Das lassen einige Zeilen aus dem Gedicht loveiathan XXIX, minus menetekel vermuten:
...// doch die gleichen toten nur begraben // in anderen gesichtern in waschbecken // châteaus situationen bis pregnant hill // innere exile in der küche als beispiel//... Neben einer Fülle von Paraphrasierungen von Heine, Fallada und einigen anderen wird diese Lyrik inhaltlich auch von offen Autobiographischem geprägt. So stellt etwa das Gedicht, loveiathan XXI, traum des systems, das dem DDR-Kosmonauten Sigmund Jähn gewidmet ist, eine Auseinandersetzung mit der Jugend in der DDR dar: ...//am ende aller geschichten die später gegen // uns ja in kraft treten mussten//...
Das zeigt sich auch etwa in dem Gedicht loveiathan XVI verschwommen, in dem die klassische Freibadszene zweier Pubertierlinge mit ersten Schreibimpulsen assoziiert wir: ...// immer das gleiche mädchen gegen // abend das alleine seine bahnen zieht // in deine erste lust schreiben zu wollen // vor der furcht langsam zu erwachen// Das lyrische Ich, das sich hier präsentiert, unterscheidet sich damit inhaltlich deutlich von anderen Vertretern der deutschsprachigen Gegenwartslyrik und deren Hang zum Designer-Gedicht. Durch den weitgehenden Verzicht auf Cut-Up- und Collage-Techniken gilt das auch im Formalen. Es teilt mit diesen aber den Hang zum kunstvollen Enjambement auch über die Zeilenbrüche hinweg. Man sollte sich beim ersten Durchblättern dieses 72-seitigen DIN-A5-Bandes nicht davon irritieren lassen, dass als Gegengewicht zu den teils doch sehr hermetischen Gedichten auch einige comichaft, misogyne Kalauer eingestreut sind: Wer macht hier Anna nass? Oder Knüttelverse: ...besoffen haben wir uns getroffen, nüchtern waren wir schüchtern.
Die 39 Grafiken von Frederique Loutz sind absichtlich sehr grell nachkolorierte Schwarz-Weiß-Zeichnungen, die die Gedichte illustrieren und interpretieren. Zum Teil sind sogar Adaptionen der Gedichte ins Französische in die Bilder eingefügt. Die Motive reichen von aus Mensch und Tier zusammengesetzten, surrealistischen Fabelwesen bei vorzugsweise kopulierender Tätigkeit über Comic-Zitate bis zu abstrakten Landschaften. Der Gesamtstil lässt sich als eine sehr eigenständige Variante von expressiv, surrealistischer Pop-Art charakterisieren, die auf einen traditionellen Zeichenstil mit einem Strich ähnlich dem von Horst Jansen trifft. Die Künstlerin selbst sagt über die Fabelwesen: „Es sind lebensunfähige Tiere, die wie in ein Herbarium zwischen Buchseiten gepresst wurden, um sie wie diese schönen, toten Schmetterlinge zu zeigen.“ Teilweise sind auch Kommentare in die Zeichnungen eingestreut, deren Sinn sich nur dem virtuell, detektivischen Denken enthüllt: Estrelle á un chat, Ernesto,... - eine Anspielung auf die Winzerin des eingangs genannten Weinguts zwischen Mittelmeer und Pyrenäen?