Von Leonie Achtnich
Paris brodelte Mitte des 19. Jahrhunderts von künstlerischer Energie wie ein kultureller Kochtopf. Aus Musikern, Malern, Künstlern und Dichtern aller Art köchelte dort ein vorzügliches und mit renommierten Namen nicht schlecht gespicktes Süppchen. Heinrich Heine war darin ein besonderes Gewürz: etwas scharf, aber äußerst bekömmlich. Der deutsche Dichter und Liedermacher verließ sein Heimatland 1831, um vor den Zensoren und der Restauration zu flüchten. Er kam ins Paris nach der Juli-Revolution 1830. Dort fand er fruchtbaren literarischen Boden vor. Er lebte und arbeitete bis zu seinem Tode als Journalist, Literatur-, Musik- und Theaterkritiker und Schriftsteller in Paris, das er selbst „die Hauptstadt der zivilisierten Welt“ nannte.
Die Beziehung zwischen dem außergewöhnlichen Dichter und der Stadt an der Seine ist eine wahre Schatztruhe für allerhand Disziplinen. Kein Wunder, dass ihr jetzt ein Büchlein gewidmet ist. In „Auf der Spitze der Welt. Mit Heine durch Paris“ beschreiben die Autoren Gerhard Höhn und Christian Liedtke – beide Heine-Spezialisten – in sieben Aufsätzen das Leben und den Alltag des Schriftstellers in Paris. Dabei nutzen sie Architektur, Restaurants und Straßen, Plätze und Denkmäler als Stützpunkte, um das Paris von damals im Paris von heute lebendig werden zu lassen.
Die Kapitel betiteln sich dann zum Beispiel mit „Pariser Bühnen und Salons“, „Das Grab auf dem Montmartre“ oder schlicht „Mythos Paris“. Mit viel Liebe zum Detail werden im Stadtbild Spuren gesucht und gefunden. In leichter Sprache geschrieben, lesen sich die Aufsätze angenehm wie ein auch von Heine geliebter Spaziergang an der Seine. Zahlreiche Zitate beleben den Text und sind – besonders wenn sie von Heine stammen – von belustigender, zynischer Scharfzüngigkeit.
So lassen die Autoren in den berühmten Passagen die nicht minder berühmten Flaneure den Frauenzimmern den Hof machen, schieben Napoleons Leichenwagen durch die Straßen oder erzählen von Heines mal geliebten, mal verspotteten Zeitgenossen Chopin, Meyerbeer, Balzac oder Gautier. Rührend liebevoll auch der Aufruf, sich Heine im modernen Paris zu imaginieren: „Mit etwas Phantasie kann man ihn sich dort auch heute noch vorstellen, zwischen Pont Royal und Pont Carrousel […], lässig die Menschen betrachtend“.
Die Zeitgenossen Heines kommen auch selbst zu Wort, wie zum Beispiel sein Landsmann Ludwig Börne, der durchaus nicht nur Gutes über den Dichter zu berichten hat. Die Neidigkeiten und Zwistigkeiten der Künstlerseelen bringen den Leser dabei mehr als einmal zum Lachen. In die Welt der Musik und des Theaters werden ebenso Einblicke gewährt wie in die Zeitungslesepraxis der französischen Salons und Literaturzirkel.
Die Geschichte der Stadt und des Dichters lassen, solcherart verwoben, einander in neuem Licht erscheinen. Daneben erhält der Leser noch Einblicke in allerhand Wissenswertes über das Verlagswesen, die gängige Theaterpraxis und die Entstehung des klassischen Feuilletonjournalismus. Gespickt wird das ganze mit Kuriositäten wie der Tatsache, dass das ehemals beliebteste Restaurant von Paris, das „Boef à la mode“ noch heute durch einen verblichenen Ochsenkopf über der Tür zu erkennen ist; dass der König seinen Privatgarten vom Volk durch eine Mauer abgrenzen ließ, dass Heine ein Faible für zwielichtige Frauenzimmer hatte oder auch Franz Liszt gerne sogenannte Claqueure, also bezahlte Applaudierer, zu seinen Konzerten bestellte.
Trotz allem Flanieren, Diskutieren und Goutieren ist Paris für Heinrich Heine Exil. Seine schwermütigere Seite zeigt sich in den Kapiteln, die sich mit Heines letzten Lebensjahren, seinen häufig wechselnden Wohnungen und seinem Grab auf dem Montmartre beschäftigen. Einige seiner Domizile tragen Gedenktafeln, andere sind Hotels oder Abrissbirnen zum Opfer gefallen. Das Konzept, Geschichte anhand von Orten zu erzählen, entfaltet sich besonders eindrücklich im Schlusskapitel: auf dem Friedhof Montmartre liegen, nah bei Heine, zahlreiche seiner Zeitgenossen, Freunde und Mitstreiter aus dem „Pantheon der Lebenden“, dem Paris in der Mitte des 19. Jahrhunderts.
Wegen der Detailfreude und Genauigkeit der Beschreibungen könnten Parisunkundige bei der Aufzählung von Straßennamen, Plätzen, Arrondissements und Denkmälern ermüden. Ebenso kommt man nicht auf seine Kosten, wenn man von Heinrich Heine wenig weiß – der Leser mag in dem Namensdickicht der Künstler, Strömungen und zeitgeschichtlichen Insidern zeitweise verloren gehen. Die reizende Aufmachung des Buches mit einer Straßenkarte des alten Paris, sowie die sympathische Kürze und die augenschmeichelnde Übersichtlichkeit weisen bereits darauf hin: Das Buch ist ein nettes Genießerstück für Liebhaber – man möchte sagen, wie die Austern in Heines bevorzugtem Pariser Restaurant.
Literaturangabe:
HÖHN, GERHARD; LIEDTKE, CHRISTIAN (Hg.): Auf der Spitze der Welt. Mit Heine durch Paris. Hoffmann und Campe, Hamburg 2010. 128 S., 10 €.
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