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Neuer Roman von Thomas Pynchon

Heidenspaß auch für Nobeljuroren: „Inherent Vice“

© Die Berliner Literaturkritik, 03.08.09

Von Thomas Borchert

Vielleicht sind die schwedischen Nobeljuroren mal von der schnellen Truppe und lesen Thomas Pynchons neuen Roman in der Hängematte an den schönen Stockholmer Schären oder auf Gotland. Es wäre ihnen zu gönnen, weil die Lektüre des diese Woche im US-Original erscheinenden „Inherent Vice“ („Eingebauter Defekt“, Penguin Group) einfach einen Heidenspaß macht.

Nach den schwer verdaulichen 1000-Seiten-Wälzern „Mason und Dixon“ (englisch 1997) und „Gegen den Tag“ (2006) hat der Dauerfavorit auf den berühmtesten aller Literaturpreise die Spur gewechselt: Pynchon legt einen nicht mal 400 Seiten dicken, witzigen und geradeaus erzählten Krimi mit einer fast immer überschaubarer Personengalerie aus der bekifften Welt der zu Ende gehenden Hippie-Ära vor.

Der eignet sich bestens für sommerliche Hängematten. Der Leser fühlt sich zunächst wie in einer Hippie-Version von klassischen Thrillern Raymond Chandlers: Bei Pynchon heißt der melancholisch-moralische Privatdetektiv nicht Philip Marlowe, sondern Larry „Doc“ Sportello, ist 29 Jahre alt und fast immer bekifft. Seine Ex-Freundin Shasta wendet sich hilfesuchend an den Chef von „LSD Investigations“, weil ihrem Geliebten mit dem angenehmen Vornamen Michael und dem weniger anziehenden Nachnamen Wolfsmann Unheil droht.

Kaum ist die Bitte „Need your help, Doc“ ausgesprochen, sind Shasta selbst und ihr Freund auch schon spurlos verschwunden. Sportello findet als Privatfahnder, wenn er nicht gerade mit seinem Joint an einem TV-Marathon mit alten Serien hängen bleibt, eine Überraschung nach der anderen. Wolfsmann, der als übler Immobilien-Hai gilt und wohl deshalb von Pynchon seinen Namen angehängt bekommen hat, will plötzlich all das durch Ausquetschen von Mietern zusammengeraffte Geld auf Heller und Pfennig zurückzahlen. Das bringt ihn in größte Schwierigkeiten.

Ein totgeglaubter Saxofonist aus der von Pynchon mit enormen Kenntnissen und Witz beschriebenen Rockszene der 60er Jahre kehrt zu den Lebenden zurück und wird Spitzel für die Polizei in Los Angeles. Deren in diesem Buch herausragende Vertreter Bigfoot Bjornson spricht gern von seiner Verachtung für die Hippies, die er aber im Innersten doch liebt. Daheim führt er gern seine umfassende Privatsammlung verschiedenster Stacheldrähte vor.

Das ist Pynchon-Witz, wie man ihn aus seinem Klassiker „Die Enden der Parabel“ (1973) kennt. Auch in „Inherent Vice“, dessen deutsche Übersetzung für 2010 angekündigt ist, haben fast alle Personen schräge Namen wie Japonica Fenway oder Dr. Budy Tubeside. Pynchon fügt wie gewohnt unfreiwillig komische Texte fiktiver Songs ein und hat mit 72 Jahren seinen Spaß an derbem Sex im Text nicht verloren. Auch in „Inherent Vice“ steckt hinter all dem Spaß und den sprachlichen Feuerwerken Pynchons uneingeschränkt ernstes Interesse an Gesellschaft, Geschichte, Politik.

Lob bekam der nie öffentlich auftretende Pynchon von allen heimischen Kritikern nicht nur für die literarischen Qualitäten von „Inherent Vice“. Die „Los Angeles Times“ lobte, dass die detaillierten geografischen Angaben in dem in Südkalifornien sowie Las Vegas spielenden Buch auf Punkt und Komma stimmten. Wie viel der im fernen New York lebende Pynchon dabei wohl gegoogelt haben müsse, fragte sich der Rezensent. Deutsche Pynchon-Kenner wissen, dass der Nobelpreisanwärter das auch schon vor den Internet-Zeiten konnte: Bei seinen detaillierten Schilderungen deutscher Schauplätze wie Cuxhaven in „Die Enden der Parabel“ stimmte in verblüffender Weise auch immer alles.

Literaturangabe:

PYNCHON, THOMAS: Inherent Vice. Penguin Press 2009. 384 S., 20,95 €.


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