Werbung

Werbung

Werbung

Tellkamps „Schwebebahn“

Viel mehr, als eine literarische Zeitreise durch Dresden

© Die Berliner Literaturkritik, 14.01.11

Tellkamp, Uwe: Die Schwebebahn, Dresdner Erkundungen, mit Fotos von Werner Lieberknecht, Insel Verlag, Berlin 2010, 165 Seiten, 19,90 €

Von Jürgen Hein 

„Die Schwebebahn“ ist ganz sicher kein Roman, wie es „Der Turm“ war. Das Buch ist auch kein Bildband, dazu ist der Text zu dominant. Ein Reiseführer könnte es sein, aber nicht, um Dresden touristisch zu durchstreifen. Eher, um mit dem Autor Uwe Tellkamp durch die Zeit zu reisen, durch Erinnerungen, Gedanken. Es wirkt ein wenig wie ein gebundener Zettelkasten, wobei viele Notizen absatzlos über mehrere Seiten fließen. Dieses Buch dürfte manche Leser zwischendurch verlieren, kann sie aber auch immer wieder packen.

Tellkamp (42) hat mit dem Bestseller „Der Turm“, der 2008 erschien, die letzten Jahre der DDR porträtiert. Wer diesen Staat, diese Zeit, das Bildungsbürgertum im Sozialismus erlebt hatte, konnte sich im Roman damit auseinandersetzen. Und wer keinerlei Vorstellung davon hatte, lernte diese Ära kennen.

Nun also die „Schwebebahn“. Wer das Buch liest, wird vieles aus dem „Turm“ wiedererkennen. Man könnte den Verdacht haben, Tellkamp habe nun das Skizzenbuch zum „Turm“ veröffentlicht, Beobachtungen, Dialogprotokolle, Erinnerungen. Aber das kann allenfalls zum Teil stimmen, denn das Buch enthält sehr frische Skizzen, die bis mindestens in den Sommer 2010 hinein entstanden.

Wiederzuerkennen sind auch Tellkamps lange, assoziative Passagen, die sich kaum noch wie Prosa, sondern vielmehr wie Lyrik lesen. „Sonnenstrahlen prallen auf die Wasseroberfläche, die sich als Schmiede zu erkennen gibt und das Quecksilbrige zu vergänglichen Harnischen, Schulterpanzern, Epauletten und leeräugig davongaloppierenden Geisterpferden formt“ heißt es über die Elbe.

Und dann gibt es diese Szenen, mit denen ein neuer Roman anfangen könnte, den man unbedingt weiterlesen wollte. Wie die mit dem Barbier Giuseppe, trauernd über die Vergänglichkeit, voller Heimweh nach dem Gewesenen. „Ach, seufzte er, indem er mit mildem Knall eine Mücke im Cassabuch begrub.“

In dem Zettelkasten oder Skizzenblock stecken hier und da auch Schwarz-Weiß-Fotos. Werner Lieberknecht hat sie beigesteuert. Manche davon sind wie Tellkamps Szenen, könnten der Anfang eines Films sein oder sein Ende, die Paketwagen im nebligen Bahnhof zum Beispiel, der Gartentisch vor der Villa Marie oder die Temporäre Kneipe. Aber längst nicht alle Fotos fesseln.

Unterstützen Sie dieses Literaturmagazin: Kaufen Sie Ihre Bücher in unserem Online-Buchladen - es geht ganz einfach und ist ab 10 Euro versandkostenfrei! Vielen Dank!

Am Ende der „Schwebebahn“ mag man als Leser die Frage stellen, warum wohl Uwe Tellkamp nicht nur die 15 Seiten veröffentlicht hat, die einem wirklich unter die Haut gegangen sind. Eine Antwort könnte lauten, dass es bei jedem Leser andere 15 Seiten wären. Und dem Autor selbst wird jede Seite, jede Zeile gleich viel bedeuten

Weblink: Insel Verlag


Bookmark and Share

BLK mit Google durchsuchen: