Von Gisela Ostwald
NEW YORK (BLK) — Sidney Lumet hat knapp 50 Spielfilme in seinem Leben gedreht und 14 Serien für das Fernsehen. Er wurde mit einem Oscar für sein Lebenswerk geehrt, hat einen Golden Globe und einen Goldenen Bären. Aber an Abschied von Hollywood denkt der amerikanische Meisterregisseur offenbar noch immer nicht. An diesem Donnerstag (25. Juni) wird Lumet 85. Gerade ein Jahr ist es her, dass er seinen jüngsten Leinwandstreifen „Tödliche Entscheidung — Before the Devil Knows You're Dead“ in die Kinos brachte und von der Kritik begeistert gefeiert wurde. In einem Interview mit dem Magazin „Stern“ träumte er davon, noch einen Film mit Julia Roberts zu drehen. Allerdings liege ihm ihre Spezialität, das Genre Liebeskomödie, nicht.
Lumet ist ein „Meister des Justizfilms“. Seine Werke sind düster und gehen unter die Haut, intelligente Thriller, die eine komplexe Story erzählen und meist makellos inszeniert sind. Für sie gewann er viele von Amerikas großen Schauspielern: Marlon Brando, Katharine Hepburn, Paul Newman, Al Pacino, Richard Burton, Sean Connery und Sharon Stone. Lumets Erfolge reichen von „Die zwölf Geschworenen“ (1957) über „Serpico“ (1973), „Hundstage“ (1975), „Network“ (1976) bis zu „Nacht über Manhattan“ (1997).
Schon der Debütfilm, „Die zwölf Geschworenen“ mit Henry Fonda in der Hauptrolle, wird zum Welterfolg. Nach Beurteilung der „Film Encyclopedia“ (USA) ist er „brillant in jeder Hinsicht“. In ihm schafft es Fonda als Mitglied einer Jury, den anderen Geschworenen die Augen zu öffnen und statt des fast sicheren Todesurteils einen Freispruch durchzusetzen. In „Hundstage“ werden zwei Gangster beim Raubüberfall auf eine Bank von persönlichen Sorgen geplagt. Der eine kämpft mit seinen homosexuellen Neigungen, der andere mit seiner Angst vor einer angeblichen Krebserkrankung.
Auch „Tödliche Entscheidung“ (2008) beginnt mit Raub und Mord. Dann aber erzählt Lumet die Geschichte der ungleichen Brüder Andy (Philip Seymour Hoffman) und Hank Hanson (Ethan Hawke), die den Juwelierladen der eigenen Eltern überfallen, um sich von all ihren kleinen, miesen Alltagsproblemen zu befreien. Lumets gnadenlos kalte Porträts von dem „ehrbaren Bürger“ Andy und dem Feigling Hank sind bestechend. Allerdings ist es mitunter schwer, seinem Geflecht aus Flashbacks und unterschiedlichen Perspektiven zu folgen.
Lumet erzählt mit zunehmendem Alter immer komplexere Geschichten, zwischen Polizei, Politik, Korruption und Justiz oder auch nur in der Familie. Moralisten sind für ihn „langweilig und ziemlich unangenehme Zeitgenossen (...), zudem sind sie falsch und verlogen, denn jeder von uns kommt in seinem Leben in Situationen, in denen er unmoralische Dinge tut“, sagt er.
1924 als Sohn eines Schauspielers und Rundfunkautors geboren, stand er schon als Kind auf der Bühne des Jiddischen Theaters in New York und dann auch auf mehreren Broadwaybühnen. Als Theater- und TV-Regisseur beherrschte er sein Handwerk schon, als er schließlich in Hollywood auftauchte. Für „So etwas von Frau“ (1959) holte er Sophia Loren vor seine Kamera, in „Der Mann in der Schlangenhaut“ (1960) übernahmen Marlon Brando, Anna Magnani und Joanne Woodward die wichtigsten Rollen. „Angriffsziel Moskau“ (1964) warnte vor der Gefahr eines Atomkriegs, „Ein Haufen toller Hunde“ (1965) zeigte die Schindermethoden in einem britischen Militärstraflager des Zweiten Weltkriegs.
Darüber hinaus griff Lumet bedeutende Literaturvorlagen für seine Filme auf: „Blick von der Brücke“ von Arthur Miller, „Eines langen Tages Reise in die Nacht“ von Eugen O'Neill, „Die Möwe“ von Anton Tschechow und „Mord im Orient-Express“ von Agatha Christie.